Pfau oder Chamäleon: Was Verkleidungen bedeuten

Pfau oder Chamäleon: Was Verkleidungen bedeuten
Was Verkleidung mit Anpassung und Individualität zu tun hat. Historiker, Kulturwissenschafter und Kostümverleiher geben Auskunft.

Manche Dinge ändern sich nie. Zum Beispiel die nicht nur unter Fünfjährigen im Fasching diskutierte Frage: „Als was gehst du?“

Fünf Cowboys, vier Indianer, drei Prinzessinnen und ebenso viele Piraten finden sich auf so gut wie jedem Kinderfasching. Vielleicht noch zwei Pippi Langstrumpfs und der eine oder andere Ausreißer: Emil, der sich als Eichhörnchen verkleidet oder Hannah, die als Kleopatra kommt.

Bei den Erwachsenen, sagt Kostümverleiherin Carla Dögl, gibt es zwar Moden („der Schuh des Manitu“ ist heuer gut gefragt), ansonsten sind die Dauerbrenner seit Jahren dieselben: Filmstars und Superhelden, Zauberfeen und Krankenschwestern. „Gerade erst war eine Gruppe von Pensionisten da, alles Matrosen und Kapitäne. Für nächstes Jahr haben sie schon Schottenröcke vorreserviert“, frohlockt Frau Dögl kundig. Ihr Kostümverleih hat jetzt Hochsaison.

Pfau oder Chamäleon: Was Verkleidungen bedeuten

Kinderfasching mit königlichem Ambiente

Es ist die Zeit der Umzüge, der Partys und der Faschingsgilden. Eine österreichische Besonderheit ist das Faschingsgschnas. „Diese Tradition hat mich doch überrascht, als ich vor neun Jahren nach Österreich gekommen bin“, sagt Theaterhistoriker Thomas Hulfeld. „Da hat man gerade noch zusammengearbeitet, und plötzlich verkleiden sich alle – und reden trotzdem noch über die Arbeit.“

Pause vom Ich

Das bemerkenswerte Zusammentreffen von Joballtag und Narrenkostüm ist nur eine von vielen Spielarten des Verkleidens, sagt Psychologin Natalia Ölsböck. Da ist einerseits das Verlangen, einmal Pause vom Ich zu machen. Annähernd anonym sein zu können und sich anders geben zu dürfen, als man eigentlich ist – für einen Abend Zauberfee statt Mauerblümchen.

„Wir alle tragen unterschiedliche Ich-Anteile in uns. Das Verkleiden ist eine Möglichkeit, einen anderen Ich-Anteil in den Vordergrund treten zu lassen.“ Zudem könne das Verkleiden die Empathiefähigkeit fördern, weil, wer in eine andere Rolle schlüpft, spüre, wie sich das anfühlt.

Pfau oder Chamäleon: Was Verkleidungen bedeuten

Im Fasching eine Pause vom Ich einlegen

Für manche ist der Alltag allerdings Verkleidung genug. „Schließlich haben wir auch am Arbeitsplatz eine Rolle zu spielen. Das kann Vor- und Nachteile haben. Das Kostüm abzulegen kann das Abschalten erleichtern. Das Thema Rollenklarheit ist für viele momentan ein Problem“, sagt die Psychologin.

Städter im Dirndl

Aus der Tierwelt kennt man das Thema Verkleiden als Tarnung. Bei Menschen ist das nicht anders, sagt die Trachten-Unternehmerin und Volkskundlerin Gexi Tostmann. Sie bekennt: „Wir leben von Verkleidung. Etwa von Großstädtern, die im Salzkammergut Dirndl und Trachtenkostüm anlegen. Natürlich ist das Verkleidung – allerdings keine schlechte. Wer gewisse Kleidertraditionen einhalten und nicht auffallen will, muss sich verkleiden. Das ist bei Trachtenhochzeiten genauso wie bei der Loveparade. Beides finde ich völlig in Ordnung.“

Pfau oder Chamäleon: Was Verkleidungen bedeuten

Trachten-Unternehmerin Gexi Tostmann (re.), Tochter Anna

Verkleiden heißt immer, in eine Rolle zu schlüpfen, „das kann genauso gut Anzug und Krawatte sein. Letztlich ist Verkleidung einfach vernünftig: Es heißt, sich der Umgebung anzupassen“.

Kostümierung bedeutet also ebenso in eine Rolle als aus einer Rolle fallen. Ist der Mensch nun eher ein Chamäleon, das sich anpasst, oder ein Pfau, der auffallen will? „Eher Pfau, wenn’s ums Verkleiden geht. Es baut darauf, sich zu verfremden und größere Aufmerksamkeit zu erzielen. Wir betreiben viel Aufwand, um uns bemerkbar zu machen“, sagt Theaterhistoriker Thomas Hulfeld.

Macht über die anderen

Maskierung und Verkleidung gibt es in jeder Gesellschaft, unabhängig von Raum und Zeit. Die Frage, warum sich der Mensch verkleidet, beantwortet Thomas Macho, Kulturwissenschaftler und Direktor des Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) mit einem Zitat von Elias Canetti:

„Die Fähigkeit des Menschen zur Verwandlung, die ihm so viel Macht über alle übrigen Geschöpfe gegeben hat, ist noch kaum ins Auge gefasst und begriffen worden. Sie gehört zu den größten Rätseln: Jeder hat sie, jeder wendet sie an, jeder hält sie für ganz natürlich. Aber wenige legen sich Rechenschaft darüber ab, dass sie ihr das Beste von dem, was sie sind, verdanken.“ („Masse und Macht“).

Kurz gesagt: Der Mensch verwandelt sich, weil er es kann. Und zwar so oft, wie er will. Wesentlich ist immer der Kontext: Verwandlung kann ebenso Identifikation mit dem anderen, etwa mit einem Vorbild, wie eine Art Uniform sein – vom Zivilisten zum Soldaten. Nicht zuletzt aber auch Verwandlungen ins Unheimliche – wie etwa bei Perchtenläufen.

Eine verkehrte Welt

Möglicherweise, sagt Macho, stecken hinter Verwandlungen oft rituelle Gesten im Sinne einer verkehrten Welt: In seinem Text „Das zeremonielle Tier“ beschreibt er etwa die Saturnalien, einen römischen Festtag zu Ehren des Gottes Saturn, wo alles, was sonst verboten, plötzlich erlaubt war: Es war unter anderem der Tag, an dem die Herren die Sklaven bedienten.

Die Tradition, dass die Reichen Unterschicht spielen, kennt man noch Jahrhunderte später am Wiener Hof, wo sich die Adeligen gerne als einfache Bauersleute und Mägde verkleideten.

Ein Faschingsbrauch, der bis ins 19. Jahrhundert beliebt war. „Theaterdirektor Karl hat einmal für den Fürsten Metternich ein Fest ausgerichtet und dort mit Laien geprobt. Er ist drauf gekommen, dass die Aristokraten sehr gut einfache Bauersleute darstellen können. Alles andere konnten sie nicht“, erzählt Historiker Hulfeld.

Was das Volk denkt

In besonders „einfach gestrickten Gesellschaften“ ist die Figur des Heilers, des Herrschers und des politischen Spaßmachers die selbe. Ihr Privileg ist die Maskierung, Schamanen mit Masken und Trommeln sind politsche Opinionleader und Heiler sozialgenerierter Krankheiten zugleich, sagt der Historiker.

Manchmal steckt hinter dem Privilegierten, der sich mit Maske unter das Volk mischt, auch auch der Wunsch, herauszufinden, was die Menschen über ihn oder die herrschende Klasse allgemein denken.

Aktuelles Beispiel ist die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, die als „Putzfrau Gretel“ ausspricht, was „das Volk denkt“.

Erst vor wenigen Tagen schlüpfte „AKK“ auf der „Saarländischen Narrenschau 2019“ wieder in diese Rolle und teilte in kräftigem Saarländer Dialekt gegen Berlin und die Weltpolitik aus. Vor Begeisterung darüber, dass die Volksnähe trotz nunmehriger Spitzenfunktion erhalten blieb, vergaßen manche, dass Kramp-Karrenbauer selbst Teil des kritisierten Establishments ist. Ein Phänomen, das auch hierzulande bei so mancher „Aschermittwochsrede“ zu beobachten ist.

Der Bauer als Millionär

Historisch gesehen gab es immer Masken, für die sich jemand ein Vorrecht gesichert hat. „Jede soziale Schicht hat ihre Verkleidungsmomente“, sagt Hulfeld.

So gab es etwa in Venedig die Maskenprivilegien der Oberschicht: Maschera und Bauta, weiße Gesichtsmaske mit Dreispitz und Cape, waren Norm und zugleich Vorrecht der besseren Gesellschaft.

Die Vorstellung, dass hinter der Maske alle gleich sind, ist romantisch, aber unrealistisch. „Von oben nach untern sind Maskenbräuche durchlässig, aber nicht umgekehrt.“

In Wahrheit geht also eher der Millionär als Bauer als der Bauer als Millionär.

Kommentare