"Einheitsbrei“: Influencer in der Sinnkrise
Es waren überraschend nachdenkliche Worte, mit denen sich Katharina Hingsammer an ihre Instagram-Follower wandte. Mit über 80.000 Abonnenten ist die 30-Jährige, die sich im Netz ketchem nennt, eine der erfolgreichsten österreichischen Lifestyle-Influencerinnen, ihre Fotos könnten genauso gut einem Hochglanzmagazin entstammen.
Seit zwei Wochen hat sie keines mehr gepostet. Sie fühle sich „uninspiriert“ und „unter Druck“, es fiele ihr immer schwerer, Inhalte für die Gute-Laune-Plattform zu finden. Die vielen Kommentare zeigen, dass die Salzburgerin mit ihrem Beitrag einen Nerv getroffen hat. In den vergangenen Jahren wuchs Instagram, vor allem bei den unter 35-Jährigen, so rasant wie keine andere Social-Media-Plattform.
Was anfänglich als virtuelles Fotoalbum für private Momente gedacht war, entwickelte sich zum lukrativen Geschäftsmodell.
Überall wimmelt es vor perfekt ausgeleuchteten, gefilterten und gestellten „Schnappschüssen“ in traumhafter Kulisse, meist versehen mit dem Zusatz „ad/Anzeige“. Influencer mit besonders hoher Reichweite (ab ca. 500.000 Follower) können pro Posting mittlerweile Zigtausende Euro verdienen. Doch die Professionalisierung hat ihren Preis.
Algorithmus mit Folgen
„Es gibt noch immer viele tolle, authentische Accounts. Aufgrund des Algorithmus entdeckt man sie aber nicht mehr so leicht wie früher“, bringt es Hingsammer auf den Punkt. Instagram reiht Beiträge mit Produktplatzierungen und hoher Reichweite automatisch weiter nach oben, bis vor drei Jahren wurden die Fotos noch chronologisch angezeigt. „Dadurch bekommt man das Gefühl, Teil eines Einheitsbreis zu sein und sich in einer extrem oberflächlichen Welt zu bewegen“, sagt die Bloggerin.
Die Aussicht auf schnelles Geld lockte schwarze Schafe an, gekaufte Fake-Follower und -Likes wurden zum Dauerthema. Schließlich gilt im Social-Media-Business ein Grundsatz: Je mehr „Gefällt mir“-Angaben, desto höher die Reichweite und desto größer die Chance, als Influencer erfolgreich zu sein.
Umso überraschender kam die Nachricht, dass Instagram in einigen Ländern ein neues Modell testet: Die Anzahl der Likes soll nur noch für denjenigen sichtbar sein, der das Posting verfasst hat. So soll der Druck auf die Nutzer, permanent populäre und makellose Fotos zu teilen, sinken. „Eine großartige Idee“, findet Influencerin Hingsammer, deren Postings an die 2.000 Mal geliked werden. „Dann steht wieder der Inhalt im Vordergrund und nicht die Zahl darunter. Das würde die Plattform ganz schön umkrempeln.“
Klasse statt Masse
Einiges deutet darauf hin, dass sich auch die Nutzer an der visuellen Dauerperfektion sattgesehen haben. Ein Bauarbeiter aus Texas, der auf seinen Fotos typische Influencer-Posen parodiert, wurde binnen kürzester Zeit zum neuen Instagram-Star. Später stellte sich heraus, dass es sich um den Marketing-Gag eines Kaffeeherstellers handelte.
Eine Analyse der Marketingfirma InfluencerDB ergab kürzlich, dass die Menge der Likes im Verhältnis zur Zahl der Follower dramatisch eingebrochen ist. Je größer der Account, desto weniger User lassen sich zu einem „Gefällt mir“ hinreißen. „Ich glaube, dass der Trend wieder zu kleineren Accounts gehen wird, die nicht so eine Masse an Usern erreichen, dafür aber eine enge Zielgruppe haben und dem ursprünglichen Gedanken von Instagram entsprechen, nämlich Einblicke ins echte Leben zu gewähren“, sagt Hingsammer.
Sehnsucht nach Echtheit
Die Sehnsucht nach „dem Echten“ in der perfekten Scheinwelt ist auch für den Sozialpsychologen und Konsumentenforscher Arnd Florack von der Uni Wien nachvollziehbar. „Wir betrachten gerne schöne Dinge und noch lieber schöne Menschen, das wirkt belohnend. Dieser Effekt ist stärker, wenn etwas authentisch ist. Dann fühlen wir uns der Person nahe, haben mehr Vertrauen und kaufen eher ein Produkt.“ Ein Schnappschuss mit suboptimalem Winkel und unvorteilhafter Pose wecke eher Interesse als das eintausendste Foto vom Plastikeinhorn im tiefblauen Swimmingpool. „Das ist alles austauschbar und wird irgendwann langweilig.“
Als Gegentrend zum gefilterten Einheitsbrei entstanden die „Sinnfluencer“, Influencer, die ihre Reichweite nutzen, um auf Sozialprojekte oder globale Probleme wie Ressourcenverschwendung hinzuweisen. Andere führt der Weg aus der Sinnkrise ins Analoge.
Madeleine Alizadeh alias DariaDaria kandidiert für die Grünen, Katharina Hingsammer eröffnet im Herbst das Kosmetikstudio Babetown. Auf Insta möchte sie weiterhin aktiv bleiben, jedoch sei der Wunsch nach einem haptischen Projekt immer größer geworden. Nach sieben Jahren in der Digitalbranche, sagt sie, sei das vermutlich eine natürliche Entwicklung.
Influencer
Als Influencer (engl. to influence = beeinflussen) werden Personen bezeichnet, die auf Social-Media-Kanälen hohe Reichweiten erzielen und dort über Marken berichten oder Produkte präsentieren. Laut einer deutschen Studie hat mehr als die Hälfte der 16- bis 19-Jährigen bereits ein- oder mehrmals ein Produkt gekauft, das von einem Influencer beworben wurde. Der derzeit größte Social-Media-Star ist Kylie Jenner: Sie soll bis zu 1,2 Millionen US-Dollar pro Posting bekommen.
Die zu Facebook gehörende Plattform ermöglicht Nutzern, Fotos hochzuladen, zu bearbeiten und zu kommentieren. Mit einer Milliarde Nutzern weltweit ist „Insta“ nach Facebook und WhatsApp das derzeit größte soziale Netzwerk. 90 Prozent der Nutzer sind jünger als 35. Immer wieder gerät Instagram in die Kritik, durch die verschönerten Bilder unerreichbare Schönheitsideale zu propagieren. Erst kürzlich belegte eine Studie, dass eine häufige Nutzung Essstörungen verstärken kann.
Blogger
Personen, die ein privates Online-Magazin betreiben: Blog kommt von Weblog, ein Mix aus „Web“ und „Log“ für Logbuch. Die Themen reichen von Beauty über Kulinarik bis Politik und Reisen. Als erfolgreichste Bloggerin gilt Chiara Ferragni, die mit ihrem Modeblog „The Blonde Salad“ ein Millionenimperium schuf. Die meisten Blogger nutzen Social-Media-Kanäle, um ihre Inhalte zu verbreiten. Seit dem Siegeszug von Instagram erreichen viele Influencer auch ohne Blog ein großes Publikum.
DariaDaria und die Symbol-Politik
Warum sich die Influencerin jetzt bei den Grünen engagiert.
Öko-Influencerin Madeleine Alizadeh alias DariaDaria folgen bei Instagram fast eine Viertelmillion Menschen. Sie gestaltet einen Podcast, verkauft faire Mode und hat gerade ein Buch geschrieben. Im Schau-TV-Gespräch erklärt die 30-Jährige, warum sie jetzt auch noch Politik macht und für die Grünen kandidiert. „Ich bin auf dem letzten Listenplatz. Das ist eine symbolische Kandidatur, um Menschen darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig Politik ist – auch Parteipolitik.“ Politisches Engagement ist ihr nicht neu – bereits der erste Blogeintrag überhaupt, den die damalige Studentin der Politikwissenschaft 2010 veröffentlichte, war ein Bericht einer Demo der Grünen. Im Interview erzählt Alizadeh außerdem von ihrem Werdegang: Von der politisch interessierten, aber konventionellen Mode- und Beauty-Bloggerin zur Öko-Influencerin. Darüber hinaus erklärt sie, warum sie ein Modelabel gegründet hat, ausgerechnet in Bangladesh produzieren lässt – und dennoch das Label „Öko“ verdient hat. (Barbara Mader)
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