Älter machen mit FaceApp: Warum der Handy-Spaß gefährlich ist
Das Internet hat ein neues Lieblingsspielzeug. In der scheinbar unendlichen Spaßwelt des World Wide Web ist eine App aufgetaucht, die uns mit einem Klick älter macht.
„FaceApp“ heißt die Smartphone-Applikation, die zwei Jahre nach ihrer Entstehung ein Popularitätshoch erlebt. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz werden Porträtfotos und Selfies so bearbeitet, dass die Person um Jahrzehnte älter aussieht – Falten, Tränensäcke und ergraute Haare inklusive. Weil die sozialen Medien aus allem eine Challenge machen, teilen seit dem Wochenende Tausende Nutzer, unter ihnen Stars wie Kanye West und Heidi Klum, ihre Seniorenbilder im Netz. Kurz vor Wahlkampfbeginn kommen auch heimische Politiker in die virtuelle Zeitmaschine.
Sebastian Kurz
Ist das eigentlich noch lustig? Nein, sagen Datenschützer und warnen vor Missbrauch.
„So eine App gehört in die Hände der Polizei“, sagt auch die Psychotherapeutin Rotraud Perner und stellt zugleich die Methode in Frage: Seit Jahren würden wir von der Polizei daran erinnert, wie Tibor Foco, der meistgesuchte Österreicher, heute aussehen könnte. „Letztlich ist das aber Spekulation. Denn niemand kann voraussehen, wie das Schicksal uns verändern wird. Es ist vermessen, diesen Faktor auszuschließen. Fest steht lediglich, dass wir mit unserem Lebenswandel viel beeinflussen können. Seriöserweise müsste eine solche App also auch Varianten mit viel und wenig Schlaf, Alkohol und Umwelteinflüssen haben.“
Letztlich zeige die FaceApp vor allem eines: „Dass den Leuten fad ist. Sie sollten lieber über den Sinn des Lebens nachdenken. Da hätten sie genug zu tun.“
Für immer jung
Ein Porträt zu besitzen, das anstatt einem selbst altert: Oscar Wildes Roman über den schönen Dorian Gray, der nur innerlich altert und den äußerlichen Alterungsprozess einem Porträt seiner selbst überlässt, illustriert wie kaum ein anderes Gleichnis unseren Umgang mit dem Alter. Wir müssen diesen Prozess als Teil unseres Lebens erdulden, wollen ihn aber tunlichst ausblenden. Und ausgerechnet in dieser Zeit der polierten Oberflächen wird eine App, die Nutzer virtuell altern lässt, zum Hype.
Beate Meinl-Reisinger
Beate Meinl-Reisinger auf Zeitreise: Derzeit 41 und via FaceApp gealtert
Auch die Psychologie beschäftigt die Frage: Warum wollen inmitten einer anhaltenden Anti-Aging-Hysterie auf einmal so viele Menschen dabei zusehen, wie sie ergrauen und verrunzeln?
In erster Linie, um unterhalten zu werden, sagt der Psychologe Dominik M. Rosenauer. Ein Blick in die eigene Zukunft, ein Spiel mit der Realität – die neuen Medien machen es einfach, in andere Rollen zu schlüpfen. Etwa in die des anderen Geschlechts – ebenfalls eine beliebte Funktion der FaceApp.
Peter Pilz
Peter Pilz und sein altes Alter Ego
Altern ist Teil des Lebens, im Gegensatz zu Tieren wissen Menschen das. Junge Menschen allerdings halten sich meistens für unsterblich – oder zumindest unverwundbar. „Wenn man 15, 16 ist, kommt es einem wie eine Ewigkeit vor, bis man so aussieht wie auf den FaceApp-Fotos“, sagt Rosenauer. Zudem streben junge Menschen meist danach, ja nicht so wie ihre Eltern zu werden. Die gealterten Fotos zeigen aber häufig genau den gegenteiligen Effekt, die Ähnlichkeit zu Mutter oder Vater ist in vielen Fällen erschreckend. „Ob das jemanden stört oder nicht, hängt vom Verhältnis ab, das man zum Elternteil hat“, sagt der Psychologe.
Vielleicht aber soll man das alles nicht so ernst nehmen. Rosenauer: „Für die meisten Menschen ist das einfach ein neues Spielzeug, das genauso schnell wieder vorbei sein wird, wie es angefangen hat.“
Norbert Hofer
Norbert Hofer, eben noch 48, einen Klick später bereits in der Pension
Die Lust an der Angst
Es ist die so genannte Angstlust, mit der Psychologen die Popularität von Halloween oder Horrorfilmen erklären – sie könnte ebenfalls ein Motiv für die Faszination der Alters-App sein. „Nach dem Motto: ‚Jössas na, so schau ich also aus, wenn ich älter bin.‘ Die Auseinandersetzung mit dem Altwerden ist in unserer Gesellschaft schwierig geworden, weil man nicht mehr so wie früher permanent mit allen Generationen in Kontakt steht“, sagt Psychologe Rosenauer.
Graue Haare führen einem die eigene Endlichkeit vor Augen. „Das macht natürlich Angst. Daher wird die Auseinandersetzung mit dem Alter für gewöhnlich auch so lange wie möglich hinausgezögert.“
Werner Kogler
So mancher US-Präsident ergraute im Amt. Werner Kogler könnte es eines Tages ähnlich ergehen
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