Schneyder: "Man müsste die Religionen mundtot machen"

Werner Schneyder.
Werner Schneyder über sein neues Buch "Gespräch unter zwei Augen", Kern, Merkel, Trump, Clinton, die Flüchtlingskrise, die Oper, das Theater, Bernhard, Heller und den Tod. Und über Werner Schneyder.

KURIER: Ihr Buch "Gespräch unter zwei Augen" ist die Bilanz Ihres Lebens – in Form eines Selbstgesprächs. Man hört zwei Schneyders im Dialog, sie erinnern ein wenig an den Optimisten und den Nörgler in "Die letzten Tage der Menschheit". Welcher der beiden ist Ihnen sympathischer?

Werner Schneyder: Ich möchte beide nicht missen. In der Außensicht habe ich ein paar sehr strikte Urteile. Aber in der Beurteilung der eigenen Persönlichkeit gibt es einen gewissen Spielraum (lacht). Man sagt ja: In guten und in schlechten Zeiten. In schlechten Zeiten neigt man dazu, mit sich abzurechen, in guten Zeiten sagt man, es war eh alles richtig.

Erinnert an das Ehegelöbnis. Sind Sie mit sich selbst verheiratet?

Verheiratet mit mir selbst ... Ja, das sind wir doch alle!

Sie befassten sich mit Oper, Theater, Gesang, Kabarett, Literatur, Politik, Sport. Wie fanden Sie Zeit für all diese Themenbereiche?

Wenn man neugierig aufwacht und neugierig schlafen geht, dann geht sich das aus. Ich werde panisch, wenn ich mich nicht auskenne. Es gibt Dinge, da kann ich mich nicht auskennen, da gehe ich erst gar nicht in die Nähe. Wenn Sie mich fragen, warum mein DVD-Player nicht geht, kriege ich schon Angst bei dem Gedanken. Weil ich das Gefühl habe, das Gerät mag mich nicht, es kennt meine Abneigung gegenüber Technik und es rächt sich.

Heute muss man ja bei allem mitreden ...

Ich finde es schlicht widerwärtig, wenn man glaubt, man muss zu Dingen, bei denen man sich nicht auskennt, auch etwas sagen. Man kann schon universell sein, aber man muss seine Grenzen kennen. Ich beteilige mich daher auch nicht an der CETA-Debatte. Ich hatte immer Fachleute, denen ich vertraut habe. Beim Thema CETA würde ich gerne den von mir verehrten John Maynard Keynes ausgraben und fragen: Mr. Keynes, ist CETA gut oder schlecht?

Wahrscheinlich würde er es nicht gut finden.

Wahrscheinlich.

Keynes gilt als linker Ökonom, er ist nicht sehr angesagt zurzeit.

Viele gescheite Leute sind nicht angesagt. Aber sie kommen wieder! Bei TTIP sehe ich das noch einmal ein bisschen anders, denn da geht es um den Handel mit den USA. Ich erinnere mich an das Bild in einem US-Präsidentschaftswahlkampf, wo darunter stand: Würden Sie diesem Mann einen Gebrauchtwagen abkaufen?

Würden Sie Trump einen Gebrauchtwagen abkaufen?

Nein. Und übrigens auch nicht der Frau Clinton.

Was ist schiefgegangen, dass extreme Figuren wie Donald Trump heute so viel Zulauf bekommen?

Die Weltwirtschaft und die Weltsoziologie sind aus dem Ruder gelaufen. Man hat Geld zur Ware gemacht. Mit Geld wird Geld gekauft, mit dem Verkauf Geld verdient, damit wieder Geld gekauft. Es ist eine abgekoppelte Wirtschaft, die die andere Wirtschaft aushöhlt. Es ist ein Betrugsmechanismus, ein Betrug an der Menschheit, die sich an dieser Schattenwirtschaft nicht beteiligen kann.

Kann Politik überhaupt etwas tun?

Innerhalb kürzester Zeit sogar, über die Steuer. Ein bekannter Politiker hat einmal zu mir gesagt, jede Zehntelsekunde drückt jemand auf einen Knopf und verschiebt ein paar Millionen. Wenn jeder dieser Knopfdrücke ein paar Cent kostet, dann gäbe es auf der Welt keinen Armen mehr.

Warum tun die Politiker das dann nicht?

Meine These: Sie sind bestochen, und zwar nicht nur direkt, mit Geld, sondern auch indirekt, durch die Bedeutung, die sie sich beimessen.

Als jemand, der sich in einer lebenslangen Liebesbeziehung an der Sozialdemokratie abarbeitet: Wie sehen Sie Christian Kern?

Nach dem Start war ich voll der positiven Erwartungen. Jetzt muss er sich halt an den gegebenen Ritualen einer großen Koalition abarbeiten. Aber ich stelle mit Vergnügen fest, dass man in Deutschland jetzt ernsthaft Rot-Rot-Grün andenkt. Der Jammer ist, dass es in Österreich keine Linkspartei gibt. Ich hielte das für eine Frage der Hygiene – damit ist ja nicht gesagt, dass ich sie wählen würde. Aber allein die Wortmeldungen des Herrn Gysi und der Frau Wagenknecht im deutschen Parlament sind eine intellektuelle Aufwertung.

Was ist Ihrer Meinung nach ein Linker?

Das ist jemand, der mit aller Anerkennung der Fehler und Unschärfen dem Philosophen Karl Marx glaubt. Aber das Links-Rechts-Schema braucht man nur noch für die Wahlen, für uns denkende Menschen hat es sich erübrigt. Ich kenne viele hoch interessante, aufgeklärte Konservative, und ich kenne blöde Linke – vor allem dort, wo es in die Romantik übergeht. Links sein hat etwas zu tun mit dem Wunsch nach Gerechtigkeit und mit Solidarität. Dazu gehört aber auch die Solidarität mit der Natur, und man muss auch die kaufmännische Moral mit einbeziehen.

Derzeit wird die Politik durch die Flüchtlingsfrage bestimmt und die Angst ist das bestimmende Zeitgefühl. Ist diese Angst ernst zu nehmen?

Es sind abstrakte Ängste, die Leute haben ein ungutes Gefühl. Der Ausgangspunkt der Malaise war der Satz von Frau Merkel, wir werden das schaffen. Sie hat aber nicht dazugesagt, was und in welchem Zeitraum. Es einfach passieren lassen und hoffen, es wird schon gut gehen, das ist falsch.

Sie erneuern in Ihrem Buch Ihre Kritik an dem Menschen und Schriftsteller Thomas Bernhard. Ihre Voraussage, er werde in wenigen Jahren vergessen sein, ist nicht eingetroffen. Warum bleiben Sie dabei?

Weil ich sage, man kann so was nicht aufgeben. Vielleicht ist das eine gewisse Eitelkeit, aber es kommt der Moment, da sagt man: Sieht er jetzt endlich ein, dass er unrecht hat? Und das kann ich nicht machen.

Sie gehen auch mit Ihrem früheren Freund André Heller sehr hart ins Gericht in Ihrem Buch.

Ich habe ihm einmal in einem Gespräch gesagt: Franzi, ich höre damit (ihn zu kritisieren; Anm.) nicht auf! Er hat mir dann auch bald wieder Gelegenheit dazu gegeben. Er hat wieder irgendeinen Zirkus gemacht und gesagt: Einhorn! Wir brauchen als Symbol das Einhorn! Da werde ich wahnsinnig. Das ist unter jeder Jahrmarktgaukelei! Man muss Menschen, die in so was hineinfallen, sagen, dass sie deppert sind. Und da riskiere ich jede Freundschaft!

Sie schreiben, die Oper ist tot.

Ja, weil es weltweit nur noch ein Ensemble gibt. Eine mafiose Struktur. Ich stamme aus Klagenfurt und sympathisiere daher mit Flensburg und anderen Städten. Die Leute müssten dort in die Oper gehen und sagen: Das war ein toller Tenor! Stattdessen sagen sie: Er ist kein Weltstar. Man hat die zweite Ebene zerstört ... Das Einzige, was die Oper noch retten könnte, wären intelligente deutsche Texte. Aber das wird nicht passieren.

Und das Theater? Auch tot?

Die Leute wissen, wer Goldoni und Molière waren. Aber bei Neil Simon und Allan Ayckbourn sagen sie: Das ist ja nur Boulevard! Dabei ist der Ayckbourn der Molière von heute. Man hat das Gebrauchstheater abgewertet und ein Kunsttheater etabliert, das die Menschen halt leider ein bissl vertreibt.

War früher alles besser?

Nein. Denn wir nörgeln ja auf hohem Niveau. Wir haben kein Sklaventum mehr! Wir haben nur keine soziale Balance. Wenn die Rechten sagen, dass heute eine "Umvolkung" stattfindet, dann kann ich nur sagen: Gott sei Dank! Wer waren denn die Völker, die früher ununterbrochen Krieg in Europa geführt haben? Vielleicht bringen wir jetzt eine Mischkulanz zusammen, die das Kriegführen nicht mehr nötig findet. Man müsste nur die Religionen mundtot machen. Man muss den Mut haben, zu sagen: Eine Religion, die behauptet, die Scharia stehe über dem Landesgesetz, widersetzt sich gegen die Staatsgewalt.

Die Tradition der Sozialdemokratie war ja antiklerikal. Warum sind Linke heute sehr tolerant gegenüber Machtansprüchen von Religionen?

Sie sind wie kleine Kinder, die woanders eingeladen sind – dort schmeckt es ihnen besser. Das ist eine vollkommen infantile Haltung! Über den eigenen Pfarrer spotten sie, und kaum bezeichnet sich ein Halbkrimineller als Imam, sagen sie: Freie Religionsausübung. Das ist grotesk!

Sie befassen sich in Ihrem Buch auch mit dem Thema Alter und Sterben. Sie schreiben, Sie wollen den Prozess des Sterbens ...

... möglichst lange hinziehen. Wenn ich weiß, dass ich auf das Ende hinlebe, kann ich das maximal gestalten. Vergnüglich und mit guter Zeiteinteilung (lacht)! Wollen Sie mich zum Thema Sterbehilfe befragen?

Gerne. Sie sind dafür, Sterbehilfe zu legalisieren?

Im Rahmen eines Korsetts, ja. Ich kämpfe dafür, dass diese Grauzone aufgehellt wird.

Am Ende des Buches erteilen Sie der Idee des Lebens nach dem Tod eine Absage. Aber Ihre zweite Stimme lässt die Möglichkeit dann doch offen.

Ja, so ist es. Ich bin neugierig. Wenn mir jetzt jemand sagte, du wirst in ein paar Stunden vielleicht nicht mehr aufwachen, würde ich nicht sagen: Oje. Sondern: Ist spannend ...!

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