Stimmt die Qualität nicht?
Das dürfte tatsächlich in qualitativen Überlegungen der Operndiva zu finden sein. Die Premiere am vergangenen Samstag bei den Salzburger Festspielen war nicht annähernd jenes Ereignis, das man von Netrebko-Shows sonst kennt. Ihr KURIER-Kritiker schrieb von einer routinierten Performance, davon, dass sie sich diesmal stimmlich dem Niveau ihres Ehemannes Yusif Eyvazov (der den Cavaradossi sang) angenähert hätte. Und man das Gefühl nicht los wurde, Netrebko sei in Salzburg nur auf der Durchreise mit dem "Tosca"-Zug, der sie noch während der Salzburger-Aufführungsserie auch nach Budapest bringen wird.
Eigene Ansprüche nicht erfüllt
Hinter vorgehaltener Hand hört man auch, dass Netrebko wisse, dass sie diesmal ihre eigenen Ansprüche nicht erfüllt hätte. Das mag an der stimmlichen Disposition liegen, aber auch an der Inszenierung von Michael Sturminger (eine Übernahme aus dem Jahr 2018 von den Osterfestspielen), in der sie wie ein Fremdkörper wirkt. Offenkundig ist es ihr kein großes Bedürfnis, dass so eine Aufzeichnung ausgestrahlt wird und jahrelang zu finden ist. Die größte Sängerin will nur mit dem Größten an die Öffentlichkeit – irgendwie verständlich. Dennoch fragt man sich, warum es dann für das zahlende Publikum in Salzburg gut genug sein soll.
Das "System Netrebko"
Da es einen solchen Vorfall noch nie zuvor gab, beginnt man natürlich auch das "System Netrebko" zumindest im Ansatz zu hinterfragen. Sie scheint ja neuerdings fast nur noch an der Seite ihres Mannes aufzutreten. Sie singt vor allem Galakonzerte und nicht so oft wie früher Opern. Sie hat den Ruf, kaum noch proben zu wollen (und ist dann bei den Vorstellungen dennoch zumeist grandios). Sie hat nicht immer Lust, sich auf ihr unbekannte Regisseure einzulassen (so sagte sie etwa vor einigen Jahren in München eine Premiere von "Manon Lescaut" ab, weil sie nicht mit Hans Neuenfels arbeiten wollte).
Und man erzählt sich auch, dass sie nicht immer bestens vorbereitet zu Produktionen komme. Bei ihrer allersten "Tosca" in New York (der KURIER war dabei) hatte sie etwa bei der letzten Probe noch Probleme mit dem dritten Aufzug, die Premiere war dann genial. Auch ein geplantes Bayreuth-Debüt als Elsa im "Lohengrin" sagte sie kurzfristig ab und sorgte damals für Irritation. Kurz davor hatte sie als Elsa in Dresden debütiert.
Mehr Fokus auf die Essenz
Am 18. September wird Netrebko 50, und nach so vielen Karrierejahren sind manche unliebsame Vorfälle logisch. Dennoch wünscht man sich wieder mehr Fokus auf die Essenz, auf die Kunst, als es zuletzt der Fall war. Vielleicht ist das nun ein erster Schritt.
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