Volksopern-Musikdirektor Wellber: "Theater ist unsere neue Kirche"
Seine Feuertaufe hat er bereits bestanden. Mit der „Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart gab Omer Meir Wellber im Haus am Gürtel seinen akklamierten Einstand als neuer Musikdirektor, ein Konzert mit dem Orchester im Konzerthaus hat er auch absolviert. Heute, Sonntag, aber steht die erste Premiere unter seiner Ägide auf dem Spielplan: „Jolanthe und der Nussknacker“ von Piotr Iljitsch Tschaikowsky in einer Inszenierung von Neo-Direktorin Lotte de Beer und in der Choreografie von Andrey Kaydanovskiy mit Omer Meir Wellber am Pult.
Überraschungen
Doch wie soll das gehen? Eine einaktige Oper wie „Jolanthe“ verwoben mit einem berühmten Ballett? Wellber: „Wir wollten hier etwas machen, das alle Abteilungen der Volksoper mit einbezieht. Auf das Ballett wird ja so gerne vergessen. ,Jolanthe‘ ist ein wunderbares Werk mit schöner Musik über eine blinde Prinzessin, aber zu kurz. Womit kombiniert man das? Also haben wir uns entschieden, diese ,Jolanthe‘ mit dem ,Nussknacker‘ zu kombinieren, sodass beide Werke ineinander übergehen. Entstanden ist ein neues Musiktheaterstück, für das ich auch ein paar Übergänge in Tschaikowsky-Manier komponiert habe. Ganz wenige und sehr dezent. Wir waren diesen Stücken extrem treu, wollen aber an diesem Haus auch einen Raum für Überraschungen schaffen. Und für die ganze Familie.“
Zum Inhaltlichen: „Es stellt sich hier die Frage: Wer sieht besser: Die blinde Jolanthe oder wir? Die Antwort ist klar: Jolanthe, die sich in der Welt des Nussknackers zurechtfindet und davor die Augen nicht verschließt. An diesem Abend können wir in den Kopf dieser jungen Frau schauen.“ Nachsatz: „Solche ineinander verwobenen Abende wird es auch in Zukunft ein Mal pro Saison geben.“
Partnerschaften
Doch was hat den auch am Teatro Massimo in Palermo und international tätigen Dirigenten an der Position des Musikdirektors gereizt? „Zuallererst Lotte. Ich kann als Musiker noch so viele Ideen haben, aber ich brauche einen guten Partner. Das ist Lotte. Wir haben gemeinsam viele Entscheidungen getroffen, in Fragen der Dirigenten, der Sänger, der Regisseure und auch der Stücke. Mir etwa sind alle Sparten des Hauses gleich wichtig, ich möchte sie oft zusammenführen. Wir können keine Anna Netrebko an die Volksoper holen, das wollen wir auch nicht. Aber wir können unsere Talente nützen und davon gibt es in diesem Theater unendlich viele – quer durch alle Künstlergruppen.“
Und Wellber weiter: „Man muss in Wien seinen Weg finden und das Publikum nach der Pandemie in die Theaterzurückholen. Dazu braucht es Qualität. Ich habe bei meinen Dirigaten der ,Zauberflöte‘ und bei all denen meiner Kollegen so viele glückliche Kinder im Publikum gesehen. Das ist wichtig. Der erste Theaterbesuch zählt. Ich habe in Dresden etwa darum gekämpft, Ligetis ,Le Grand Macabre‘ für Schulen zu machen und nicht Mozarts ,Così fan tutte‘. Das ist zwar eine wunderschöne Musik, aber Ligeti hat auch fabelhaft funktioniert.“ Und: „Ich werde hier in Wien auch sehr viele Wiederaufnahmen leiten, das ist mir ein großes Anliegen.“
Kooperationen
Dass Omer Meir Wellber nebenbei noch (sehr lesenswerte) Bücher schreibt, demnächst mit den Wiener Symphonikern auf Tournee geht und längst an den Spielplänen der nächsten Saisonen feilt, versteht sich. Chefdirigent der Symphoniker will er allerdings nicht werden, „dazu ist mir die Volksoper jetzt viel zu wichtig. Aber man kann ja auch über den Tellerrand schauen und sehen, ob sich etwas in Form von Kooperationen ergibt.“
Denn: „Gerade nach der Pandemie sollte uns klar sein: Theater ist unsere neue Kirche. Ein Zufluchtsort, an dem wir für ein paar Stunden verzaubert werden und zusätzlich alle elektronischen Geräte abschalten dürfen. Neugier, Kreativität, Qualität, das sind die Zutaten für diese ungeahnte Freiheit, wie sie nur auf der Bühne möglich ist.“
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