Kulturstadträtin Kaup-Hasler: „Es ist eine paradoxe Situation derzeit“
Das Büro von Veronica Kaup-Hasler im Wiener Rathaus ist riesig. Und der Besprechungstisch lang. Der KURIER traf die parteifreie Kulturstadträtin von Angesicht zu Angesicht zum ernüchternden Gespräch über die aktuelle Lage.
KURIER: Die Stadt Wien hat im Kulturbereich zwei zentrale Maßnahmen gesetzt. Einerseits werden Arbeitsstipendien in der Höhe von maximal 3.000 Euro vergeben.
Veronica Kaup-Hasler: Interessanterweise haben einige Personen um weniger Geld angesucht. Aber der Ansturm ist gewaltig: Es sind bereits 750 Anträge eingetroffen. Wir müssen daher nachlegen. Bürgermeister Michael Ludwig und Finanzstadtrat Peter Hanke sind dafür, wir werden das hoffentlich gleich nach Ostern umsetzen.
Noch eine Million Euro?
Ich würde mir zwei Millionen wünschen. Denn es gibt viele Künstler, die wir nie gefördert haben. Zum Beispiel Musiker, die sich mit anderen Jobs über Wasser gehalten haben, aber nun zu wenig verdienen. Was mich freut: Andere Bundesländer sehen diese Arbeitsstipendien als Modell an und wollen sie auch anbieten. Denn mit ihnen kann man schnell helfen. Und jetzt zählt jede Woche.
Emmy Werner, die ehemalige Volkstheaterdirektorin, erzählte mir von verzweifelten Schauspielern, die nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen.
Zum Glück gibt es immer wieder neue oder erweiterte Maßnahmen der Bundesregierung. Das Kulturstaatssekretariat betreibt, auch auf Drängen der Landeskulturreferenten, eine Hotline und informiert kompetent über die Möglichkeiten.
Die zweite Maßnahme ist die Zusicherung, dass niemand Förderungen zurückzahlen muss, nur weil das vereinbarte Programm nicht umgesetzt werden kann.
Uns geht es um eine simulierte Normalität. Also, dass zum Beispiel die Verträge, die mit Künstlern abgeschlossen wurden, eingehalten werden können. Das ist die einzige Chance, wie wir durch diese schwierigen Zeiten kommen können. Wenn aber ein Veranstalter Fördermittel definitiv nicht gebraucht hat, weil zum Beispiel keine Materialkosten angefallen sind, dann muss er diese natürlich zurückzahlen.
Das heißt aber auch: Es soll sich niemand über die Corona-Krise sanieren können.
Genau. Wir werden in der Abrechnung schon drauf schauen, dass nicht ungerechtfertigt Ausgaben geltend gemacht werden. Mir ist zudem wichtig, dass es auch eine Unterstützung für jene Kulturbetriebe gibt, die bisher nicht subventioniert werden mussten, aber nun in eine große Krise schlittern. Ich denke da an das Globe von Michael Niavarani. Oder an den Stadtsaal. Solche Häuser, die auch die kulturelle Landschaft in Wien bereichern, dürfen nicht dafür bestraft werden, dass sie bisher kein oder kaum Geld von der öffentlichen Hand benötigt haben. Darüber hinaus gibt es noch ein Problem, der den ganzen Kultursektor betrifft: Es ist derzeit fast unmöglich, Drittmittel zu lukrieren.
Die Kulturjournalisten haben immer wieder gewarnt: Die öffentliche Hand darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Denn was ist, wenn die Sponsoren wegbrechen. Und nun ...
Die Stadt Wien hat sich immer für eine öffentliche Kulturförderung eingesetzt. Aber man merkt jetzt, wie fragil, wie verletzbar eine kulturelle Landschaft ist.
Die Kulturinstitutionen werden leider nicht als „systemrelevant“ angesehen.
Krankenhäuser sind jetzt wichtiger, das ist klar. Aber in kulturellen Veranstaltungen manifestiert sich zum Beispiel gemeinschaftliches Erleben. Und obwohl ich am Abend gerne daheim bei der Familie bin: Schon nach wenigen Tagen hatte ich Entzugserscheinungen. Dieses Gefühl teilen jetzt sehr viele Menschen.
Eine Reaktion auf Corona war die Lesung des Romans „Die Pest“, die man auf der Website von FM4 anschauen kann. Generell wird viel im Netz angeboten. Sind aber auch Projekte geplant, die in der Realität stattfinden? Vielleicht eine Klangwolke?
Ich erhalte derzeit vorwiegend Hilferufe. Aber ich hätte nichts gegen Vorschläge, die auch die Sicherheitsvorkehrungen mitbedenken.
Die Festwochen finden nicht statt, die Theater sind bis Saisonende geschlossen ...
Und wir wissen nicht, ob es im Herbst überhaupt Premieren geben wird. Denn es ist fraglich, ob im Juni geprobt werden kann. Es gibt die Überlegung, die Theaterferien vorzuziehen – und im August zu proben. Aber das ist auch schwierig, weil etwa mit den Gastschauspielern bestimmte Zeiten ausverhandelt wurden. Hinzu kommt, dass wir nicht wissen, wie es mit dem Coronavirus weitergeht. Derzeit haben wir aufgrund der Maßnahmen die Situation im Griff, die Krankenhäuser sind nicht überlastet. Das heißt: Die Krankheit ist noch gar nicht richtig ausgebrochen. Wird sie ausbrechen? Und wann? In Wellen? Den Ausnahmezustand kann man aber nicht auf Dauer aufrechterhalten. Es ist eine paradoxe Situation derzeit!
Es steht zu befürchten, dass jede Vorstellung eine prächtige Corona-Party würde.
Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek hat daher bei der letzten Landeskulturreferentenkonferenz erklärt, dass die kulturellen Veranstalter die letzten sein werden, die wieder öffnen dürfen. Aber selbst wenn man zum ehestmöglichen Zeitpunkt Veranstaltungen wagen würde: Würden die Menschen überhaupt kommen? Wie ist das mit der Scheu, die man entwickelt hat? Wird es nicht vielleicht Monate dauern, bis man wieder Vertrauen fasst – und nicht in jedem Menschen eine Gefahrenquelle sieht? Ich glaube, dass das nur schrittweise gehen wird: Zunächst werden sich die Menschen in die Schanigärten setzen, dann in kleine Säle. Die großen Häuser werden es, befürchte ich, schwer haben.
Für das Volkstheater ist die Schließung bis Weihnachten kein Problem. Das Gebäude wird ohnedies saniert …
Die Bauarbeiten waren kurz unterbrochen, aber nach Ostern geht es weiter.
Auch auf den anderen Baustellen gibt es keine Verzögerungen: weder im Raimundtheater, noch im Wien Museum. Doch wie geht es mit dem Brut weiter? Wird das Koproduktionshaus ins Atelier Augarten einziehen?
Der Coronavirus hat 99,9 Prozent der Arbeitskapazität in Beschlag genommen. Die Zukunft des Augartens liegt zudem in der Entscheidungskompetenz des Bundes. Nach Ostern müssen wir einen fast schizophrenen Parallellauf starten: Weiterhin die Kulturlandschaft – so gut es geht – schützen. Und uns um die anderen Baustellen kümmern.
Um welche denn?
Wichtig wäre ein Zoom-Kindermuseum links der Donau. Dort ist für Kinder eine Wüste. Und es braucht für die großen Theater, an denen die Stadt beteiligt ist, einen zeitgemäßen Kollektivvertrag. Also für das Volkstheater, das Theater der Jugend und die Josefstadt. Es braucht ein nachvollziehbares, faires und transparentes Gehaltsschema – ohne Kutten- und Klaviertragezulagen und das ganze Tralala. Ich möchte aber auch etwas fragen: Wie geht es dem KURIER in der Krise?
Wir haben Rekord-Leserzahlen – und machen gleichzeitig riesige Verluste. Weil es derzeit kaum Inserate gibt.
Ich finde das Medienpaket der Regierung demokratiepolitisch bedenklich. Denn es bevorzugt die Boulevardmedien. Es darf nicht nur die Zahl der gedruckten Exemplare darüber entscheiden, wer wie viel an Unterstützung bekommt! Die Krise darf nicht dazu genutzt werden, um Weichen in die Zukunft zu stellen, die zu einem Abbau von Demokratie und Transparenz und seriösem Journalismus führen!
Kommentare