Wiewohl ich zugeben muss: Auch ich sehe fern wie nie. Und ich erschrecke über meine Verhaltensweise. Sie erinnert mich stark an den durchritualisierten Abend meiner Großmutter.
In der Kindheit wurde ich oft zu ihr geschickt. Um sie zu trösten, weil sie ihren Mann verloren hatte. Die Wochen bei der Oma waren großartig. Denn sie hatte, im Gegensatz zu meinen Eltern, einen Fernseher.
Um Punkt halb acht wurde abendgegessen – zur „Zeit im Bild“. Viel Bewegtbild gab es aber nicht, es gab vor allem viel mit bedeutungsschwerer Miene abgelesenen Text.
Es war furchtbar langweilig, ein Dazwischenreden jedoch nicht erlaubt. Damals galt noch der Spruch: „Wenn die Erwachsenen reden, haben die Kinder zu schweigen.“ Meine Großmutter redete zwar nicht, ihr Gesprächspartner aber war zum Beispiel Peter Fichna. Und jetzt, ein halbes Jahrhundert später, ertappe ich mich zu meinem Erschrecken dabei, wie ich es meiner Oma gleichtue.
Irgendwie scheinen wir auch in einer Zeitschleife gefangen zu sein. Wie beim Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Die „ZiB“ beginnt immer gleich, nur die Zahlen der Infizierten bzw. Toten sind wieder gestiegen. Und die Pressekonferenzen der Regierung laufen immer nach der gleichen Dramaturgie ab. Karl Nehammer kommt immer als Letzter dran.
Da schweifen mitunter die Gedanken ab. Etwa über den von Sebastian Kurz verwendeten Begriff „Marathon“. Der ist eben 42,2 Kilometer lang. Und das Ziel ist zum Beispiel auf dem Heldenplatz. Aber jetzt? Auch die Taktik, uns die Wahrheit nur dosiert zuzumuten, erinnert mich an die Kindheit. Meine Eltern liebten Wanderungen. Es war furchtbar langweilig. Wir gingen stundenlang durch Wälder; ein Ziel, eine Bergspitze etwa, war nicht auszumachen. Irgendwann fragte meine Schwester oder ich, wie lange es denn noch dauere. Meine Eltern meinten jedes Mal: eine halbe Stunde. Längst weiß ich, dass sie es einfach nicht wussten. Wie es wohl auch Kurz nicht weiß. Aber eines weiß ich auch noch: Wir haben das Ziel immer erreicht. Und dann war es schön.
Sie werden daher auch zurückkehren: die Arbeitsplätze, die offenen Grenzen, das Wirtschaftsleben. Nicht zurückkehren muss allerdings die Kultur. Denn sie ist ja nicht weg. Wir sind, auch wenn sich manche gehen lassen und aufs Rasieren vergessen, nicht zu kulturlosen Barbaren geworden. Wir essen weiterhin mit Messer und Gabel, wir beherrschen weiterhin die „Kulturtechniken“.
Eine Einschränkung gibt es bloß in der Hoch- und Unterhaltungskultur, eben bei der untersagten Aufführung künstlerischer Produktion vor leibhaftig anwesenden Menschen. Die Kunst selbst aber lässt sich nicht totkriegen. Die Komponisten komponieren, die Maler malen.
Und manche sind durch den Virus sogar aufgestachelt. Veronika Schubert schafft Collagen aus Überschriften, die täglich auf KURIER.at veröffentlicht werden. Und das Grazer Literaturhaus publiziert online die Corona-Tagebücher von Valerie Fritsch, Monika Helfer, Julya Rabinowich, Kathrin Röggla, Thomas Stangl, Michael Stavarič und anderen.
Leider ist nun „Walking on Sunshine“ zu Ende. Ottos Satz aber bleibt: „Alles wird gut!“
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