Tinder, Spritzwein und Stress
In dem eineinhalb Stunden dauernden Stück zeichnet Verena Titze im ersten Teil den Weg ins Burnout nach. Diese Reise Richtung völliger Erschöpfung, die einem selbst irgendwie bekannt vorkommt, macht sie an Regeln fest, an Zweizeilern, damit man sich das auch gut merken kann.
Den Boomern im Saal erklärt sie dann recht witzig, was es bedeutet, wenn man von jemanden „geghostet“ wird und wie Dating-Plattformen funktionieren. Denn auch dort kann man sich gut von sich selbst, seinen Problemen ablenken. Titze berichtet über selbstgemachte Erfahrungen bei Dates, die sie mit Investmentbankern und Hipstern, die mit ihren teuren Rennrädern, schlechten Tattoos und Fotos aus der Boulderhalle nerven. Aber Frau macht weiter, wischt und wischt, datet und datet. Denn irgendwann muss er doch kommen, der Prinz ... Auf Tinder und Co. lässt er sich aber selten herbeiwischen.
Verena Titze lässt in ihren gelassen und souverän vorgetragenen Ausführungen tief in die Abgründe einer Ausgebrannten blicken, die 80 Stunden die Woche arbeitet, ständig verfügbar und ständig gestresst ist, deren Chefin mit Napoleon-Komplex dauernd nervt. Zum „Runterkommen“, zur Stress- und Frustbewältigung geht sie täglich in Bars, wo dann beim Spritzwein nach Erlösung gesucht wird. Am Wochenende hält man dann Prosecco-Orgien ab und schießt sich mit Drogen aus dem Leben. Einfach mal den ganzen Druck wegballern.
Endlosschleife
Das tiefgründige, daher auch selten lustige, dafür aber gesellschafts- bzw. systemkritische Programm lockert Titze mit umgetexteten Songs von ABBA bis Helene Fischer auf. Klar fallen dabei auch einige Lacher ab, aber die bleiben einem oft im Halse stecken. In gewissen Situationen erkennt man sich selbst, oder erkennt jemanden, dem es bereits ähnlich gegangen ist. Gefangen in der Endlosschleife: sehr viel arbeiten, sehr viel trinken, sehr viel arbeiten, sehr viel …
Es ist ein Absturz mit Ansage, den Verena Titze nie ins Lächerliche zieht, das wäre auch der falsche Zugang gewesen. Sie zeigt stattdessen die (möglichen) Folgen eines steten Leistungs- und Optimierungsdrucks: Wer nicht liefert ist nichts wert ...
Entzugsklinik
Nach der Pause geht es in die geschlossene Psychiatrie. Nichts geht mehr. Eine harte, aber wichtige Landung. Man begleitet die stets gelassen, gefestigt und mit sich im Reinen wirkenden Titze durch diverse Therapien, kann ihr dabei zuhören, wie sie sich wieder aufrichtet, sich selbst findet, die Krone richtet und das Beste aus der Situation macht: Wozu braucht man einen Prinzen, wenn man selbst längst Prinzessin ist?!
Wer sich auf einen locker-leichten Kabarettabend freut, ist bei "Erfolgreich ins Burnout" falsch. Bei der auf der Bühne verarbeiteten Lebenskrise, dem freien Fall in Richtung Burnout fallen nämlich nur vereinzelt Pointen ab. Das Programm ist auch kein Kabarett, sondern eine Art Gruppentherapiesitzung, ein persönlicher, kluger und auch sehr kurzweiliger Vortrag darüber, wie leicht und schnell es gehen kann, die Beziehung zu sich selbst zu verlieren.
Kommende Termine:
3. 12. - Kulisse/Wien
18. 1. - Danubium/Tulln
4. 2. - Orpheum/Wien
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