Thomas Maurer im Interview: "Keine Komfortreise in eine strahlende Zukunft"

Kabarettist Thomas Maurer, Teil der Gruppe „Wir Staatskünstler“, wollte für sein neues Solo „Trotzdem“ wissen, wie viele Minuten er an einem durchschnittlichen Tag auf sein Handy schaut. Mit dieser Bildschirmzeit kann man viel über sein eigenes Leben erfahren. Wie viele Minuten oder Stunden Maurer täglich am Smartphone hängt, hat er dem KURIER nicht verraten: Es sind aber „viel mehr, als ich gedacht hätte“, so Maurer, der am 8. Oktober im Wiener Stadtsaal mit „Trotzdem“ Premiere feiert.
KURIER: Ein Programm kurz nach der Wahl: Wird es in „Trotzdem“ politisch zur Sache gehen, oder lassen Sie davon lieber die Finger?
Thomas Maurer: Aktuelle Tagespolitik habe ich weitgehend an „Wir Staatskünstler“ ausgelagert. Da wir in den kommenden Tagen etliche Termine spielen, adaptieren wir unser Programm natürlich. In meinem Soloprogramm wird Politik nur im Rahmen des Grundthemas behandelt. Aber wenn man sich mit Social Media beschäftigt, kommt man an Populismus, Rechtsruck und irrationaler Emotionalisierung eh nicht vorbei. Und ja, doch, immerhin Herbert Kickl wird einen Gastauftritt haben.
Wer ist der Protagonist des Abends?
Ein Mann in mittleren Jahren, der meinen Namen und meinen Beruf hat. Er hat sich vorgenommen, sich eine digitale Auszeit zu gönnen, obwohl er persönlich der Meinung ist, diesbezüglich eigentlich überhaupt gar kein Problem zu haben. Okay, vielleicht hat er früher mehr gelesen und sich besser konzentrieren können, aber wer hat das nicht? Wo soll da bitteschön das Problem sein? Anders formuliert, geht es in „Trotzdem“ um den Versuch, in einer immer mehr durch digitale Filter wahrgenommenen, überfordernden, verunsichernden Welt trotzdem noch irgendwie halbwegs bei Trost zu bleiben.

Macht uns das Internet also krank?
Das ist eine Frage, mit deren Beantwortung man ein paar Regalmeter Bücher füllen könnte, mit noch ein paar freien Regalmetern zusätzlich für all das, was wir noch nicht wissen. Ein bisschen was davon wird aber in „Trotzdem“ jedenfalls zumindest angestupst werden.
Was wird uns die Künstliche Intelligenz bringen?
Was genau Künstliche Intelligenz in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit der Welt, der Gesellschaft, der Wirtschaft und jedem Einzelnen machen wird, ist komplett unabsehbar. Ich wage aber die Vorhersage, dass es keine Komfortreise in eine strahlende Zukunft sein wird.
Die Kommunikation via Smartphone kann, wie Sie vielleicht selbst beobachten konnten, zu Missverständnissen führen, da das Gegenüber, die Mimik, die direkte Reaktion fehlen. Da helfen auch keine Emojis. Und trotzdem kommunizieren wir mehrheitlich so. Warum?
Auf die Gefahr hin, wie ein pensionierter Gymnasialprofessor für Deutsch zu klingen: Emojis nehmen einem die Mühe ab, zu formulieren, was man sagen möchte. Und damit auch die Mühe, sich vorher überlegen zu müssen, was genau man sagen möchte. Klar kann man ein Trauriges-Gesicht-Emoji anhängen, wenn man was absagen muss oder ein Lachtränen-Emoji, wenn man sich als Troll outen möchte. Aber viel komplexere Mitteilungen kann man so nicht machen. Und Ironie im Internet ist ja überhaupt ein eigenes, trauriges Kapitel.
Haben Sie sich aus den Social-Media-Blasen auch Inspiration zum neuen Programm geholt?
Ich habe im Vorfeld des Programms mehr Zeit in diesem Umfeld verbracht als sonst – und das hat nicht gutgetan. Sogar, wenn man das alles nur aus Interesse und mit Distanz verfolgt, beginnen der Umgangston und die absurden Verrücktheiten schleichend in einen reinzukriechen.
Viele Menschen informieren sich nur noch auf Tiktok und Instagram. Der Algorithmus liefert Ihnen dann das, was Sie interessiert, gut finden. Das ist per se nichts Schlechtes. Was ist das Problem?
Keinen Widerspruch mehr aushalten zu müssen, jederzeit auf Knopfdruck das eigene Weltbild bestätigt bekommen zu können, ist natürlich attraktiv, vor allem für unsichere Menschen. Aber halt um den Preis, weite Teile des Urteilsvermögens einzubüßen beziehungsweise überhaupt zu verstehen, dass es sehr komplexe Fragen gibt, die niemand aus dem Stand beantworten kann. Man lebt irgendwann in einer Schwarz-weiß-Freund-Feind-Welt. Es ist ja auch kein Zufall, dass Parteien, die auf grobe Vereinfachung und negative Emotionen setzen, enorm erfolgreich beim Errichten von geschlossenen Parallelwelten im Internet sind.
Die Grundstimmung in der Gesellschaft ändert sich alle paar Jahre. Was hat sich seit Ihrem letzten Soloprogramm „Zeitgenosse aus Leidenschaft“, das im Jahr 2022 Premiere hatte, geändert?
Ich fürchte, dass sich eine gewisse resignierte Erschöpfung ausbreitet. Und dieses Gefühl möchte ich, auch wenn im Programm unschöne Entwicklungen erörtert werden, auf keinen Fall verstärken. Es braucht – trotzdem – wache, humorbegabte Menschen, die etwas verbessern wollen.
Sie haben in einem Interview gesagt, dass ein Kabarettabend kein vertonter Leitartikel sein sollte. Was soll er stattdessen sein?
Ein Kabarettabend ohne Pointen wäre eine Themenverfehlung. Es ist schon ein Unterhaltungsformat. Aber man kann ja auch relevante Themen mit hoher Pointendichte behandeln. Und mir ist auch wichtig, dass so ein Abend nicht zufällig auf einer Bühne stattfindet, also auch Theater und Emotion ist.
Viele Künstler haben im Vorfeld der Nationalratswahl zum Boykott der FPÖ aufgerufen. Haben Sie sich beteiligt? Und wie beurteilen Sie diese Initiative? Überschätzen sich da die Künstler ein bisschen?
Ich habe mich diesmal nicht aktiv angeschlossen, weil ich befürchte, dass diese Form der Intervention mittlerweile zu einem Stück Folklore geworden ist, etwas, das man mit einem „Ja, eh“ zur Kenntnis nimmt. Ich bin aber ebenfalls fest überzeugt davon, dass eine Regierung, die von der inzwischen komplett radikalisierten FPÖ geprägt wird, die mit Riesenabstand schlechteste aller Möglichkeiten wäre, vor allem perspektivisch. Der Wunsch, Österreich bleibend in eine „illiberale Demokratie“ à la Ungarn umzubauen, wird ja dort mittlerweile ohne Genierer artikuliert. Und zu glauben, dass eine Regierungsbeteiligung nicht dazu genutzt würde, das zumindest mit aller Kraft zu versuchen, ist naiv.
Was sind die Konsequenzen, die Sie als Kabarettist ziehen können, wenn am Ende doch die FPÖ Österreich regiert?
Weiterhin so gut, gescheit und witzig, wie man kann, kommentieren, was ist. Mehr Macht hat man nicht. Man könnte natürlich zynisch sagen, dass so ein politisches Jahrhunderthochwasser für Kabarettisten eine sprudelnde Themenquelle wäre. Aber man ist halt auch Staatsbürger.
- Thomas Maurer wurde 1967 in Wien geboren und hat in seinem Leben schon einiges gemacht: Er war Buchhändler, moderierte für den ORF eine Literatursendung und schrieb für den KURIER eine Kolumne.
- Er ist Autor von Büchern, spielte Theater und stand als Schauspieler für Filme vor der Kamera.
- Seit 1988 ist er als Kabarettist unterwegs – solo und gemeinsam mit Florian Scheuba und Robert Palfrader als „Wir Staatskünstler“.
- Sein neues Soloprogramm „Trotzdem“ (Regie: Petra Dobetsberger) feiert am 8. Oktober im Wiener Stadtsaal Premiere.
- Karten, Infos und Termine unter stadtsaal.com bzw. thomasmaurer.at
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