Während es in den Nachrichten meistens bloß um Opferzahlen von Raketenangriffen, Verlusten an der Front, strategische Ziele und politische Botschaften geht, versucht die in Kiew lebende Fotojournalistin, die persönliche Seite des Krieges in den Mittelpunkt zu stellen. Dafür dokumentiert sie seit dem russischen Überfall auf die Ukraine (2022) unter dem Projektnamen "War Is Personal" das Kriegsgeschehen.
Neben Fotos sind auch persönliche Texte zu lesen und Audiofiles zum Anhören verfügbar. Es ist eine Art Tagebuch, das ein Gefühl, einen Eindruck davon gibt, was es bedeutet, in einem Kriegsgebiet zu leben, Freunde zu verlieren, das eigene Elternhaus beschädigt wurde und neben einem Raketen, Artillerie- und Panzergranaten eingeschlagen sind.
Persönliche Ebene
„Man muss nicht versuchen, das ganze Ausmaß der russischen Invasion aus der Perspektive einer Drohne darzustellen und dabei Hektar von ausgebrannten Feldern und zerbombten Dörfern zu zeigen“, sagt Kochetova im KURIER-Gespräch. Stattdessen legt sie den Fokus auf persönliche Geschichten. Denn dieser Krieg sei zwar der bislang am besten dokumentierte – er ist sogar auf Tiktok –, „aber ich hatte das Gefühl, dass in dieser enormen Menge von Bildern das Gesicht der Menschen verloren geht. Der Einzelne verschwindet in der Masse, geht in der Gruppe unter. Deshalb muss ich diesem Krieg einen Namen und ein Gesicht geben. Sonst können die Russen die Geschichte neu schreiben“, sagt Julia Kochetova.
Wenn man der Gewinnerin des World Press Photo Award 2024 zuhört, merkt man, welchen psychischen Belastungen sie beinahe tagtäglich ausgesetzt ist. Die Kamera gebe ihr dabei zwar eine seltsame Distanz zu den Grausamkeiten, aber sie schütze sie nicht vor den Kugeln, die ihr oft um die Ohren fliegen. „Ich erinnere mich in solchen Situationen immer an jene Worte, die mir jemand bei der Übergabe der schusssicheren Weste mit auf den Weg gab: ‚Ihr Journalisten denkt immer, dass euch nichts passieren kann, aber das ist nicht wahr.‘ Ich weiß, dass es mich jederzeit erwischen kann. Oft habe ich auch das Gefühl, dass ich mich in einem Spiel befinde, in dem meine Überlebenschance immer geringer und geringer wird. Eigentlich müsste ich längst aufhören. Aber es geht nicht. Das Land zu verlassen, aufzuhören, ist für mich keine Option“, sagt die 31-Jährige.
Geschenk
Bei ihrer Arbeit geht Julia Kochetova stets nach dem Credo vor: Zuerst helfen, wenn es Hilfe braucht, dann fotografieren. Im Einsatz hat sie dabei zwei Digitalkameras und noch eine alte analoge Kamera aus Sowjetzeiten, eine Zenit ET, „die circa zehn Jahre älter ist als ich“. Es ist ein Erinnerungsstück, ein Glücksbringer. Die Fotografin verbindet damit auch ihre unbeschwerte Kindheit: „Es war die erste Kamera meines Lebens, ein Geschenk meines Vaters.“
Infos
Julia Kochetova (31) ist Ukrainerin, Fotojournalistin und Dokumentarfilmerin und seit Beginn der russischen Invasion am 24. 2. 2022 in ihrem Land unterwegs. Neben dem Krieg beschäftigt sie sich in ihrer Arbeit mit Feminismus sowie den Träumen und Sorgen der jungen Generation in ihrem Land. Ihre Bilder veröffentlicht sie in internationalen Medien, ihrem Instagram-Profil (@seameer) und ihrer Homepage (kochetova.rocks). Dort findet man auch ihr Projekt „War Is Personal“, bei dem Kochetova ihre Fotos mit Texten und Audiofiles kombiniert. Noch bis 10. 11. ist eine Auswahl ihrer Bilder bei der World-Press-Photo-Schau im Wiener Westlicht zu sehen.
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