Tief gespalten: Menschenbilder aus den USA des 21. Jahrhunderts
Wer immer versucht, die Stimmungslage in den USA vor der anstehenden Präsidentenwahl zu messen, entdeckt dasselbe Motiv: Das Land ist tief gespalten, die weltanschaulichen Fronten sind verhärtet.
Brüche verlaufen nicht nur zwischen Stadt und Land, Nord und Süd, Küsten und Binnenstaaten, sondern auch quer durch Familien, die es etwa zunehmend vermeiden, einander zum Thanksgiving-Dinner zu treffen, wie eine Studie mit Handydaten ergab.
Statistiken ergeben aber ein unvollständiges Bild – weswegen das Schweizer Fotografenpaar Mathias Braschler und Monika Fischer beschloss, den Menschen direkt ins Gesicht zu schauen.
Gemeinsam entzweit
Für ihr Fotobuch „Divided We Stand“ reiste das Paar durch 40 US-Bundesstaaten. Ihr Wagen beinhaltete ein mobiles Studio, das es ermöglichte, Menschen vor neutral weißem Hintergrund abzulichten. Die Porträtierten geben im Buch bloß kurze Statements ab: Eine Waffenhändlerin erklärt etwa, dass sich Feuerwaffen unter republikanischen Präsidenten schlechter verkaufen, weil dann niemand aus Angst vor Verschärfungen der Waffengesetze Hamsterkäufe tätige. Ein Rancherjunge erklärt nur, dass er gern fischen und jagen gehe. Der Lehrer aus der Amish-Gemeinde mag Trump nicht, hat ihn aber trotzdem gewählt.
Don Jackson, Sheriff, Texas
David Geiger, Lehrer aus der Amish-Gemeinde, Wisconsin
Bradford Schlei, Hollywood-Produzent
Cliff Broussard und Thor Delcambre, Waffenhersteller, Louisiana
Ronald Lue-Sang, Softwareingenieur im Silicon Valley
Philip Whiteman Jr., Cheyenne-Häuptling, Montana
Pamela Burke, Waffenladenbesitzerin, Pennsylvania
Kristal Allen, Mutter von acht Kindern, Mississippi
Royce Smith, Rancherjunge, Oregon
Braschler/Fischer: "Divided We Stand", Hartmann Books, 39 €
Das Buch reiht sich in eine lange Historie von Versuchen, die Essenz der Bewohner eines Landes fotografisch einzufangen: In den 1920er Jahren schickte sich der Fotograf August Sander an, „Menschen des 20 Jahrhunderts“ in einer groß angelegten Serie zu erfassen. Die Schau „The Family of Man“ 1955 im New Yorker MoMA behauptete, mit Fotografie die Universalität menschlicher Empfindungen auf der ganzen Welt zeigen zu können; der Schweizer Robert Frank entwarf aber wenig später auf seinem US-Roadtrip, der zum Buch „The Americans“ führte, ein deutlich brüchigeres Bild.
In einer Zeit, in der sich US-Amerikaner (und nicht nur sie) zunehmend durch Ablehnung der „Anderen“ definieren, kommt eine neue fotografische Status Quo-Analyse also zur rechten Zeit. Sie behauptet nicht, dass alle eine Familie seien. Aber sie beharrt auf der Menschenwürde jedes einzelnen.
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