Was sich ändert, was bleibt: August Sanders Typen im Westlicht
Das Werk ist einer der ganz großen Klassiker der Fotografiegeschichte: Als August Sander die Serie „Menschen des 20. Jahrhunderts“ in den 1920er-Jahren entwickelte, wollte er ein komplettes Porträt der Gesellschaft seiner Zeit schaffen. In sieben Kategorien – neben „Bauern“, „Handwerkern“ und „Künstlern“ ist eine Mappe den „letzten Menschen“ gewidmet – ging der Fotograf der Frage nach, inwieweit sich in der Abbildung einzelner Personen universelle Charakteristika einfangen ließen.
Sander gelang es dabei, das Allgemeine und das Spezielle in einem Spannungsverhältnis zu halten, das auch nach Jahrzehnten nicht erschlafft. Die Präsentation von 60 großformatigen Abzügen, die bis 20. Mai im Fotomuseum Westlicht zu sehen ist, nimmt einen daher auf verblüffende Weise gefangen: Wer sind diese Menschen, die ihre Betrachter da aus einer vergangenen Epoche anblicken? Könnte der Zuckerbäcker auch in der Konditorei gegenüber stehen, der „Couleurstudent“ mit den Schmissen im Gesicht Gehilfe eines Ministers sein?
Hinter der Maske
Die Personen, die Sander ablichtete, tragen eine Maske, die ihnen die Gesellschaft anpasste. Doch die Montur konnte die Persönlichkeit nicht verdecken: Die Gesichter der Porträtierten sind unsicher, mitunter lächerlich, auch deshalb verboten die Nationalsozialisten den 1929 veröffentlichten Auszug „Antlitz der Zeit“: Idealtypische Deutsche sucht man bei Sander vergebens.
Doch es ist gerade das Abweichende, Nicht-Typische, das in der zeitlichen Distanz besticht: Ungeachtet ihrer epochetypischen Hülle wirken die abgelichteten Menschen als Menschen nahe, dank ihrer Präsenz und Würde, aber auch dank der Nicht-Perfektion. In einer Zeit, in der das eigene Abbild unermüdlich optimiert und mit „Hashtags“ in Kategorien eingepasst wird, könnte man daraus auch den Appell destillieren, das eigene „Image“ öfters zu hinterfragen.
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