Thomas Glavinic, die FPÖ und die "Urhure"

Der streitbare Schrifsteller: Thomas Glavinic
Ein Interviewband des Fleisch-Magazins zeigt: Es lohnt sich, mit dem polarisierenden Literaten ausführlich zu sprechen

Thomas Glavinic eignet sich für viele oberflächliche Betrachtungen hervorragend: Der FPÖ-Versteher, der Mann, der Kokain offenbar für eine sinnvolle Droge hält, der Hells-Angels-Freund, der Literat, der sich mit Vea Kaiser abgibt und Stefanie Sargnagel als sprechenden Rollmops bezeichnet.

Nun: Es gibt auch den Glavinic, dem es sich zuzuhören lohnt, weil eine Auseinandersetzung mit ihm sich nicht auf 140 Zeichen, einen fünfzeiligen Rant auf Facebook oder Spott über die Midlifecrisis beschränken lässt. An dieser Stelle sei daher das Wiener Magazin Fleisch empfohlen, das Glavinic eine ganze Ausgabe gewidmet hat - in Gesprächsform. Herausgeber Markus Huber und der Kulturjournalist Christian Seiler haben sich mit Glavinic zu mehreren Gesprächen getroffen und mit ihm über alles debattiert, was ihn und seine Rezeption ausmacht. Und das ist mehr als lesenswert.

Taxifahrer haben was im Blut

Soviel vorweg: Der bullige Rechtsanwalt Werner Tomanek ist sein bester Freund, sagt Glavinic. Und sein Vater war Taxifahrer. Diese Kombination mündet in solche Weisheiten: „Mein Freund Werner Tomanek sagt ja, alle Taxifahrer stammen von einer Urhure ab.“ Glavinic findet den Gedanken amüsant. Wahrscheinlich, weil er selbst Taxifahrer war und freimütig berichtet, dass er in seiner aktiven Karriere auch anderes im Blut hatte. Und als starker Facebookuser offenbar immer noch nicht verstanden hat, wie ein Shitstorm entsteht.

Auch das Thema Drogen wird in dem Interview offen und breit besprochen. Bis hin zu den Nebenwirkungen, die bis zum Beinahetod nicht lange vor dem Interview reichen. „Benzodiazepine wirken atmungsdepressiv. Diese Kombination wäre mir beinahe zum Verhängnis geworden“, erklärt Glavinic dazu. Aber der Rausch gehöre nun einmal dazu. Trinken helfe ihm, sich zu betäuben, weil er zu übersensibel auf die Welt reagiere. „Wenn Alkohol so gut wirkt, weil er diese Wahrnehmungen gedämpft hat: Warum sind Sie dann vom Alkohol zum Koksen gewechselt?“, wollen die Interviewer wissen. Sie sehen: Das Gespräch wird sehr offen geführt.

"Keine Guten"

Es geht weiter bis zur Politik: „Ich finde diese kollektiven Ausbrüche von ,Ich zeige allen, dass ich ein Guter bin‘ so unerträglich. Wir sind nämlich alle keine Guten. Wenn wir uns dessen bewusst sind, dass in uns auch Böses ist und wir nicht rein gute Menschen sind, haben wir wenigstens eine Chance, die dunklen Seiten in Schach zu halten. Aber dieses Bewusstsein fehlt den Guten. Mit solchen Leuten kannst du ein KZ betreiben.“

Puh. Starker Tobak. Aber es geht weiter: „Hätten ein paar dieser Scheinheiligen und Moralbesitzer vor 80 Jahren gelebt, hätte man mit ihnen die NSDAP aufbauen können. Sowohl vom Charakter her, als auch vom Vernichtungswillen. Und jetzt wollen sie einen Gedankenpolizeistaat errichten bzw. sind dabei schon weit gekommen.“

Glavinic liebt es, sich mit Michael Fleischhacker zu unterhalten. Und will tatsächlich sympathische Seiten an FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache entdeckt haben (aber er hat als Literat ja ausgewiesenermaßen eine starke Fantasie): „Ich habe überdies bemerkt, dass er selbstironisch ist und über sich selbst lachen kann, eine Eigenschaft, die mir sympathisch ist und ich ihm aus der Ferne nicht zugetraut hätte.“

Stoff für Empörungssturm? Ganz sicher. Ist das eine Leseempfehlung? Noch ganz sicherer.

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