Thielemann über Wagner: Das unsichtbare Orchester

APA7380434-2 - 28032012 - SALZBURG - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT KI - Der Künstlerische Leiter der Osterfestspiele Salzburg ab 2013, Christian Thielemann, anl. des Pressegespräches der Salzburger Osterfestspiele "Programm Osterfestspiele 2013" am Mittwoch, 28. März 2012 in Salzburg. APA-FOTO: BARBARA GINDL
Dirigent Christian Thielemann über den Graben in Bayreuth, den magischen Ort für Wagners Musik

Im Festspielhaus angekommen, führt mich mein allererster Gang immer durch den Graben. Ich muss ihn riechen, muss ihn inhalieren: das Holz, das teerige Schwarz, die Anstrengung und Mühe so vieler genialer (und weniger genialer) Stunden, den Stolz der Tradition auch, die Euphorie, wenn an einem Abend alles zusammenpasst. Seit den ersten Bayreuther Festspielen von 1876 sind hier unten, im sagenhaften „mystischen Abgrund“, schätzungsweise 9700 Stunden Wagner gespielt worden, nur die Vorstellungen gerechnet, ohne Proben. Über 400 Tage Wagner am Stück! All diese Musik nistet tief in den Poren, Fasern und Ritzen. Sie hat das alte Gebälk regelrecht imprägniert, das spürt man.

Drachenblut

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Meist sind so früh in der Saison, Anfang Juni, die Stühle der Orchestermusik noch beiseite geräumt und aufeinander gestapelt, Notenblätter liegen herum, Probenpläne vom vergangenen Jahr. Diesen Moment genieße ich sehr. Die Grabenluft ist für mich ein bisschen wie das Drachenblut, in dem Siegfried badet. Sie verleiht Mut und Stärke, sie kann ungemein beflügeln – aber auch ungemein einschüchtern. Sie sagt nicht, nur weil du heute in Bayreuth dirigierst, bist du für alle Zeit unverwundbar. Im Gegenteil: Wer in Bayreuth dirigiert und sich mit den sehr speziellen Gegebenheiten des Hauses arrangiert hat, setzt sich selbst die Grenzen. Der scheitert, wenn er scheitert, an den eigenen Möglichkeiten.
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Hier, im Unterleib des Festspielhauses, ist man auch baulich nah dran an der Wahrheit. Man muss nur einmal kräftig mit dem Fuß aufstampfen: alles hohl. Da gibt es keinen festen Grund, bloß Sand, Spinnweben, loses Gestein, totes Getier. Und jede Menge Wasser (erst 2010 hat man um das Haus eine neue Drainage gelegt, um zu verhindern, dass bei Gewitter oder Platzregen in kürzester Zeit die Foyers volllaufen).

Ein Blick in diese Katakomben verrät: Das Haus steht auf Stelzen, fast wie in Venedig, und bis auf die gemauerten Fundamente ist alles aus Holz. Für die Akustik ist das hervorragend, denn Holz schwingt. Und 1872 war es natürlich billiges Baumaterial, leicht zu beschaffen, leicht zu verarbeiten. In den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts wurden dann Teile der Konstruktion durch Beton oder Stahl ersetzt, allerdings nur oberirdisch. Das bedeutet: Bis heute kann im Festspielhaus keine Klimaanlage eingebaut werden. Wenn es draußen heiß ist und drinnen kalt, wenn man den Räumen zu viel Feuchtigkeit entzieht, dann droht das Holz zu platzen, und alles verzieht sich. Also muss dem Zuschauerraum die 1990 installierte moderate „Zu- und Abluftanlage“ genügen, und wir im Graben büßen während einer „Götterdämmerung“ bei gefühlten 48 Grad alle unsere Sünden ab. Der Kollege Karl Böhm soll an solchen Tagen immer zwei Schüsseln mit kaltem Wasser geordert haben, für jeden Fuß eine. Und ich habe mir mit Wolfgang Wagners Erlaubnis zwei Luftschläuche ans Pult legen lassen. Das sieht zwar nicht besonders attraktiv aus, sorgt aber für Zirkulation. Mit seinen Lämpchen und Leuchten, seinen Kabeln und Strippen wirkt das Dirigentenpult ohnehin recht vorsintflutlich, wie ein Cockpit unter Tage – und gar nicht wie eine Kanzel oder ein Katheder. Immerhin wird das Sitzpolster des Dirigentenstuhls jeden Sommer frisch bezogen, das beruhigt mich.

Unding und Unikum

Der berühmte Graben ist ein Unding und ein Unikum zugleich. Ein Schacht, steil ins Hügelinnere getrieben, ein Stollen mit doppelter hölzerner Klangblende: Die erste ist über den Blechbläsern montiert, die zweite, für das Publikum sichtbar, über den Streichern. Wagner wollte keine Pulte sehen, keine Instrumente, keine Musikergesichter und erst recht keine gestikulierende Dirigentensilhouette. Er wollte das „unsichtbare Orchester“ – und hat es in Bayreuth erfunden. Musik als mystisches Ereignis, als Naturgewalt: Nichts soll vom reinen Hören ablenken. Ein Klang wie die Luft zum Atmen, einfach da. Und Wagner wusste offenbar genau, wie dieses Ideal akustisch zu erreichen war.

Der Bayreuther Graben ist terrassenförmig angelegt, sechs Stufen führen vom Dirigentenpult nach unten, zu oberst sitzen die Geigen, gefolgt von den tieferen und tiefen Streichern, dann Holzbläser und Harfen, dann das leichte Blech und schließlich Tuben und Posaunen. Rechnerisch macht das 1,129 m² pro Person samt Instrument (bei 124 Menschen auf 140 m²), nicht eben viel Platz. Da müssen die Celli ihre Bögen und die Posaunen ihre Züge schon fein hüten, und dass bei den Tutti-Geigern die etwas beleibteren oder mit mehr Haupthaar gesegneten Kollegen eher an den hinteren Pulten arbeiten, versteht sich ohnehin von selbst.

Auszug aus Christian Thielemann Buch "Mein Leben mit Wagner" (C. H. Beck Verlag)

Thielemann über Wagner: Das unsichtbare Orchester

Auf der KURIER-Doppel-CD "Richard Wagner" sind Auszüge aus vielen Opern des Bayreuther Meisters zu hören – von „Rienzi“ bis „Parsifal“, mit Passagen aus dem „Ring“, „Tannhäuser“, „Lohengrin“, „Tristan“ etc. Als Dirigenten hört man u. a. Furtwängler, Karajan, Solti, Boulez, Thielemann, Welser-Möst am Pult der besten Orchester. Als Sänger sind Birgit Nilsson, George London, Plácido Domingo, Thomas Quasthoff, Jonas Kaufmann und weitere Stars vertreten. Seit Freitag, 17. Mai, ist die CD auf den Markt. Sie kostet 19,90 Euro im Handel bzw.15,50 Euro über den KURIER-Club. Weitere Bestellinfos bei Universal Music.

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