Auf in eine neue Welt
Es ist natürlich kein Zufall, dass wir an der Staatsoper anlässlich des Wagner-Jubiläums dessen, von Friedrich Nietzsche als Opus metaphysicum aller Kunst bezeichneten „Tristan“ als Neuproduktion herausbringen. Und so möchte ich im Folgenden aufzeigen, was mir an dieser Oper zentral erscheint.
Richard Wagners „Tristan und Isolde“ respektive der fast schon mythenumrankte Tristan-Akkord beschäftigt ja gleichsam parallel zur Aufführungsrezeption seit jeher Legionen von Musikwissenschaftler, Musiktheoretiker und Musikliebhaber. Und tatsächlich besteht kein Zweifel daran: Die Musikwelt seit der „Tristan“-Uraufführung ist eine andere als sie es davor war. Das liegt sicher einerseits daran, dass hier Wagner die in Europa seit Jahrhunderten gültige Tonalität über ihre Grenzen geführt, quasi ausgebeult hat und den fast zwei Generationen später von anderen endgültig vollzogenen Schritt der Sprengung des Tonika-bezogenen Dur-Moll-Systems gewissermaßen antizipierte.
Wobei mit Sehnsucht nicht das oftmals fälschlicherweise mit diesem Wort assoziierte Suhlen in Emotionen verstanden wurde, sondern das unerfüllbare ideelle oder geografische Sehnen nach einem Ort, nach jemandem, nach etwas. Nicht umsonst war das Schiff ein beliebtes Symbol der Romantik – man denke beispielsweise an Wagners „Fliegenden Holländer“.
Der Trick
Die starke Wirkung des „Tristan“ auf das Publikum und die Interpreten basiert also auf diesem in Musik gesetzten Sehnen, dem alle, bewusst oder unbewusst, beim Hören des Werkes ausgesetzt sind. Wagner erreichte dies genau genommen durch einen Trick: Zentrales Element der Oper ist die traditionelle Liebestonart E-Dur, die aber im gesamten Stück außer in zwei Takten (am Ende des zweiten Aufzuges, wenn Tristan Isolde frägt, ob sie ihm in das Land, in das er geht, folgt) gar nicht vorkommt. Der Beginn, der erwähnte Tristan-Akkord, bezieht sich auf die Subdominante, somit auf a-Moll und der Schluss endet in der Dominante, in H-Dur.
Wir haben genau genommen in „Tristan “ ein einfaches und gerade dadurch so geniales harmonisch-architektonisches Gefüge vor uns: Die ganz normale IV-V-I-Kadenz, wie sie in jeder Volksmusik oder volkstümlichen Musik vorkommt, mit dem Unterschied, dass Wagner auf die I, die Grundstufe als Auflösung verzichtete und dadurch einen musikalischen „Ort“ schuf, der von jedem ersehnt, nie erreicht wird.
Ein weiterer wichtiger in der Romantik typischer Aspekt ist die gleichzeitige Betonung und Auflösung der Form. In „Tristan“ (aber auch in manch anderem seiner Werke) funktioniert das so, dass Wagner die überkommenen Wege der Opernschreibweise verließ, alte dichterische Formen auf ein doch sehr symphonisches Gebilde umlegte und dadurch eine Form schuf, die es bis dahin nicht gab.
Die Auflösung
Zusätzlich benutzte Wagner diesen Auflösung-der-Form-Gedanken sowie den Sehnsuchtsgedanken inhaltlich, indem er die in der Romantik im Gegensatz zur Aufklärung vorherrschende Ich-Betontheit dadurch umspielte, dass er die Ichs der beiden Personen Tristan-Isolde in einem sich gegenseitigen Ersehnen physisch nach und nach auflöst („So stürben wir, um ungetrennt ewig einig, ohne End“, namenlos in Lieb umfangen, ganz uns selbst gegeben, der Liebe nur zu leben!“), was sich wiederum musikalisch im Tristan-Akkord, der sich keiner funktionellen Heimat zuordnen lässt und daher letztlich auf ein nicht existentes harmonisches Ziel gerichtet ist, ausdrückt.
Meines Erachtens nach sollten beim Rezipieren des „Tristan“ also diese Gedanken im Vordergrund stehen und nicht die Sucht nach der überbordenden emotionalen Befriedigung.
ORF III steht am Dienstag den ganzen Tag im Zeichen von Richard Wagner. Um 10.35 Uhr ist die Oper „Tristan und Isolde “ zu sehen: Die ersten beiden Akte stammen aus Jean-Piere Ponelles Bayreuther Inszenierung aus dem Jahr 1983 mit René Kollo als Tristan, der dritte Akt stammt aus Heiner Müllers Inszenierung aus dem Jahr 1995, ebenfalls aus Bayreuth. Daniel Barenboim steht in beiden Inszenierungen am Pult steht. Um 14.40 Uhr folgt: Junge Burg – „Tricky love“ (Tristan & Isolde). Um 16 Uhr ist der Nibelungenring für Kinder (Wr. Staatsoper, 2007) mit Daniela Fally und Ildiko Raimondi zu sehen. Um 18.10 Uhr folgt der erste Teil der vierteiligen Künstlerbiografie „Richard Wagner“ (GB/A/H 1983) mit Richard Burton und Vanessa Redgrave. Um 20.15 Uhr zeigt ORF III den „Ring“ aus dem Teatro Colon in Buenos Aires (2012). Regie: Valentina Carrasco.
Am 13. Juni kommt es an der Wiener Staatsoper zur Premiere von "Tristan und Isolde" – einer der geplanten Höhepunkte im Wagner-Jahr. GMD Franz Welser-Möst dirigiert das Staatsopernorchester, für die Inszenierung ist David McVicar verantwortlich. In den Titelpartien werden Peter Seiffert und Nina Stemme zu erleben sein, Stephen Milling singt den König Marke, Janina Baechle die Brangäne, Jochen Schmeckenbecher den Kurwenal.
Tipp: Lesen Sie am Mittwoch (22. Mai) im KURIER: Paulus Manker über den Exzentriker Wagner.
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