Extremkünstler und Exzentriker

Extremkünstler und Exzentriker
Heute ist Wagners 200. Geburtstag. Manker schreibt über den großen, kleinen Mann.

Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche!“ – das war seine Maxime. Die Welt war für ihn ein Theater, er selbst sein Hauptdarsteller: Richard Wagner, dessen 200. Geburtstag heute gefeiert wird. Er war er ein Ausnahmekünstler, der alles, was er dachte, auch realisierte. Und wenn die Bedingungen dafür nicht gegeben waren, schuf er sie. Sein Jünger Heinrich von Stein sagte über ihn: „Er tatet Ideen.“

Extremkünstler und Exzentriker

Er war mit 1,65 Metern so klein, dass er fürchtete, ohne Kostümierung übersehen zu werden. Wenn er ausging, trug er meist einen Schlapphut, als „Heckerhut“ Symbol der 1848er-Revolution, den er auch seinem Wotan aufsetzte. Zu Hause trug er ein Rembrandtkostüm mit Holbein-Barett, pelzverbrämte Umhänge und vor allem: Seide, Seide, Seide.

Rosa Höschen

Morgenmäntel, feinste Negligés, Capes, Stolas – Kreationen, für die er Unsummen zahlte – vielfarbige Stiefeletten aus Maroquinleder und darunter rosa Höschen mit Röschen und Schleifchen, von einer Wiener Damenschneiderin gefertigt, die er sich in seinem Geheimkabinett anzog. In allem war er überlebensgroß – lauter, aggressiver, böser als alle anderen: Er wollte ein Theater, das für seine Konkurrenten tabu war, und er kriegte es; er wollte jede Frau, die ihm unterkam, und er kriegte sie. Als Opernkomponist war er sowieso eine Nummer größer als alle anderen: größeres Orchester, größere Instrumente, größere Lautstärke und endlose Länge. Das war Wahnsinn mit Methode.

Helden und Schurken

Er war zugleich Prophet und Possenreißer (so sein Schwager Émile Ollivier), Hamlet und Don Quichote (Selbstaussage). Seine Opernfiguren waren, wie er selbst sagte, Spiegelbilder seiner eigenen wechselnden Identitäten. Und jede Helden- oder Schurkenrolle stand dabei für eine bestimmte Phase seines Lebens. Tragödie und Komödie fanden abwechselnd und gleichzeitig statt. Über die schnellen Übergänge schrieb Cosima, sie sei schockiert, wie schnell ihr kleiner Exzentriker von Spaß zu Ernst umschlug.

Und er war Überlebenskünstler, führte ein Leben zwischen Absteige und Palast. Bevor er 1842 mit „Rienzi“, seinen ersten Erfolg feierte, waren seine Kompositionen alle durchgefallen, man hatte ihn bereits aufgegeben. Aus Riga floh er 1839 vor den Gläubigern, in Paris wäre er 1840 fast verhungert, in Dresden, wo er königlicher Hofkapellmeister war, konspirierte er 1849 gegen seinen Arbeitgeber und wäre um ein Haar wegen Beteiligung an der Revolution für Jahre hinter Gittern verschwunden.

Besserwisser

Er wusste immer alles besser, war königlicher als der König, anarchistischer als Bakunin und philosophischer als Schopenhauer. Er konnte nicht zuhören, unterbrach jeden, stieß jeden, gleich ob Freund oder Feind, vor den Kopf. Er übertönte alle, machte sich über jeden lustig, egal, wie ernst das Gespräch war. Gegenüber Männern trumpfte er auf, weil er Alphatier war, Frauen machte er den Hof, zielstrebig wie Don Giovanni. War überlaut, gestikulierte, warf sich auf den Boden, vollführte Purzelbäume, kletterte an Fassaden hoch und verblüffte mit Kopfständen.

Rampensau

In seiner Welt aus Wille und Vorstellung stand alles Kopf, und alles musste nach seiner Pfeife tanzen. Wenn nicht, stampfte er wütend mit dem Fuß auf wie Rumpelstilzchen. Dabei war er Darsteller seiner selbst, Rampensau, immer auf der Szene und im Mittelpunkt. Und er hatte immer das letzte Wort. Nebenbei rauchte er Haschisch und trank Laudanum, das Flüssigopium, dem auch sein Bewunderer Baudelaire zusprach.

Wagner war so groß, weil er so klein war: Von Körpergröße und Zartheit gebaut wie ein kleiner Junge, mit einem Riesenkopf wie ein Monster, musste er den anderen immer um Längen voraus sein, da er sich als zu kurz gekommen ansah. Angeblich hat ihn sein verhasster Konkurrent Jacques Offenbach in seiner „Ballade vom Klein-Zack“ sogar als Zwerg verspottet.

Judenhasser

Angetrieben von einem Ehrgeiz, der durch seinen Kleinwuchs befeuert wurde, übertraf er alle – an Kunst wie an Schlechtigkeit. Überdynamisch, explosiv, mit normalen Maßstäben nicht zu messen. Er dichtete, philosophierte, komponierte Werke, die heute zum Weltkulturerbe zählen. Ein perfider Judenhass, entstanden aus Neid, gehört auch ins Repertoire des Extremkünstlers, für den alles Lebendige nur in feindlichen Gegensätzen existierte, die einander bekämpften wie Siegfried und der Drache, bis einer auf der Strecke geblieben und sein Leben ausgehaucht hatte.

Schuldenkaiser

Zeitlebens häufte er Schulden auf Schulden. „Luxus muss ich haben! Schönheit, Glanz und Licht!“ war seine Erklärung. „Ich bin anders organisiert, ich habe reizbare Nerven!“ Allein in Riga, als er noch miserabel bezahlter Kapellmeister war, verbrauchte er 24 Meter Seide und Atlas, 18 Meter Damast, 35 Meter Musselin, Seidentücher aus grünem Florence, elfenbeinerne Stöcke und vier Paar Glacéhandschuhe – ohne einen Groschen Geld dafür zu haben. Doch als er 1864 endlich im exotischen Bayernkönig Ludwig II. einen Dummen fand, der ihm die Schuldenlast abnahm, verspielte er sein Glück aus Arroganz und Überheblichkeit.

Seine Cosima wurde zum Bayreuther Hausdrachen

Tragisch: Was 1876 der absolute Höhepunkt seines Lebens werden sollte, das Bayreuther Nibelungentheater – von Friedrich Nietzsche „erste Weltumsegelung der Kunst“ genannt – , hing ihm, kaum fertiggestellt, zum Hals heraus, denn alles glich bis aufs Haar dem konventionellen Operntheater, das er eigentlich hatte überwinden wollen – und das tut es heute mehr denn je. Wagner wollte ein Turnschuh-Festival bei freiem Eintritt, nicht Thomas Gottschalk neben Angela Merkel und Roberto Blanco. Sie wären ihm ein Gräuel gewesen. Wie auch fast alle seine präpotenten Nachkommen. Auch litt er darunter, sein Haus im fränkischen „Sauklima“ gebaut zu haben und hätte am liebsten alles an seinen jüdischen Impresario Angelo Neumann verkauft, der ihm glänzende Einnahmen versprach. Da er aber nun einmal in Bayreuth festsaß, tröstete er sich durch tägliche Wirtshausbesuche, wo er, seinen Neufundländer Russ zu Füßen (Tierliebe war sein einzig schöner Zug, er unterbrach sogar die Arbeit am „Parsifal“, um einen flammenden Aufsatz gegen Vivisektion zu verfassen), Zigarre rauchte, Weizenbier trank und seinen Schlapphut trug.

Gottesanbeterin

Noch tragischer: Seine zweite Frau Cosima, Tochter des Zukunftsmusikers Franz Liszt, um die er wie der Teufel geworben und sie seinem Bewunderer, dem Dirigenten Hans von Bülow, abspenstig gemacht hatte, entpuppte sich schon bald nach den Flitterwochen als Bayreuther Hausdrache. Nicht Richard Wagner stand plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern sie. Er kränkelte aus Frust, bis er in Venedig 1883 an Herzinfarkt starb – natürlich nach einem Eifersuchtsstreit mit Cosima. Worauf diese es eilig hatte, sich seine Dürer’sche Geniemütze aufzusetzen und sich, zur Sicherheit, den Sargschlüssel um den Hals hängte. Sie war der neue Herr von Bayreuth. Womit sich ein Albtraum Wagners bewahrheitete: Er hatte sie als Gottesanbeterin gesehen.

„Seit unserer ,Alma‘ warten die Leute auf eine Fortsetzung, auf unser nächstes Projekt“, sagt der Schauspieler, Regisseur und Theatermacher Paulus Manker. Nun ist das Geheimnis gelüftet: Das neue Werk des Erfolgsduos Joshua Sobol/Paulus Manker dreht sich um Richard Wagner. Die Uraufführung von „Wagnerdämmerung“ findet am 18. Juli statt.

Der Ort, bei allen Sobol/Manker-Aufführungen besonders wichtig, ist atmosphärisch phänomenal: Das ehemalige k.k. Post- und Telegrafenamt am Wiener Börseplatz. Allerdings wird diesmal nicht in den einzelnen Stockwerken (wie bei „Alma“) gespielt, sondern in den drei Kelleretagen begonnen. Der KURIER konnte sich bei einer Begehung mit Manker von der Einzigartigkeit der Location überzeugen.

Parsifal-Kapelle

Es gibt lange Kellerschluchten, große Räumlichkeiten mit beeindruckenden Gewölben, eine Art „Parsifal“-Kapelle, Feueröfen, in denen Loge sitzen wird, einen Sarg, möglicherweise von Titurel, und vieles mehr. Monatelang wurde im Keller des Gebäudes gearbeitet, die Firma Immovate, die dort ab Herbst Wohnungen errichtet, hat Manker das Haus zur Verfügung gestellt.

An allen Ecken wird gespielt, selbstverständlich erklingt Wagner-Musik mit Ausschnitten aus „Parsifal“, „Tristan“, dem „Ring“ und „Lohengrin“. Die Akustik ist exzellent.

Manker: „Normalerweise sitzt man ja stundenlang in der Oper und pfeift sich eine Wagner-Oper rein. Bei unserem Parcours ist man mittendrin und kommt hoffentlich trunken heraus.“ Der Regisseur, der selbst mitspielen wird, nennt den Abend „Eine Reise in Wagners Gehirn – ohne Visum“. Sowie: „Eine unterirdische Droge“.

Warum hat er sich nach Alma Mahler nun Wagner vorgenommen? „Weil der 200. Geburtstag ein idealer Anlass ist. Alma war ja eine Fußnote der Geschichte, Wagner ist ein Protagonist. Schon zu seinen Lebzeiten sind 10.000 Bücher über ihn erschienen. Nur über Hitler, Jesus und Wagner gibt es so viele Bücher.“ Die Beschäftigung mit einem „solchen Unsympathler“ sei nicht leicht gewesen und stellte Manker vor die Frage: Hat ein genialer Mensch das Recht, auch ein großer Schuft zu sein? Von der Stadt Wien kriegt er übrigens kein Geld. „Man hat ,Alma‘ mit dem Argument nicht mehr gefördert, dass sie so alt sei. Jetzt machen wir etwas Neues – und bekommen trotzdem nichts.“Info:Subkriptionskarten (inkl. Dinner und Getränke) bis 31. Mai um 115 Euro.

Zum aktuellen Projekt "Wagner 200" von Paulus Manker und Joshua Sobol

Extremkünstler und Exzentriker

Auf der KURIER-Doppel-CD "Richard Wagner" sind Auszüge aus vielen Opern des Bayreuther Meisters zu hören – von „Rienzi“ bis „Parsifal“, mit Passagen aus dem „Ring“, „Tannhäuser“, „Lohengrin“, „Tristan“ etc. Als Dirigenten hört man u. a. Furtwängler, Karajan, Solti, Boulez, Thielemann, Welser-Möst am Pult der besten Orchester. Als Sänger sind Birgit Nilsson, George London, Plácido Domingo, Thomas Quasthoff, Jonas Kaufmann und weitere Stars vertreten. Seit Freitag, 17. Mai, ist die CD auf den Markt. Sie kostet 19,90 Euro im Handel bzw.15,50 Euro über den KURIER-Club. Weitere Bestellinfos bei Universal Music.

Kommentare