Die Ahnengalerie der Taylor Swift: Ein Museumsguide
„Taylor Swift ist die Meisterin des Das-gab-es-noch-nie“, schrieb die deutsche ZEIT in ihrem großen Erklärstück über den Popstar. Ein solches braucht derzeit jedes Medium in Rufweite der „Eras“-Tour – weil viele Menschen sich für Swift interessieren, aber auch, weil der Hype vielen Nicht-Fans unerklärlich scheint.
Dass die Sängerin viele „Noch-nie“-Marken durchbrochen hat (etwa in punkto Streams auf Spotify oder bei den Platz-eins-Platzierungen in den US-Albumcharts), ist wohl richtig. Was ihren Kultstatus, ihre Starperson oder auch ihre Lyrik und Musikalität angeht, steht Swift freilich genauso auf den Schultern von Riesinnen und Riesen wie andere Berühmtheiten auch.
Der Unterschied liegt aber in der Mobilität, mit der Swift verschiedene Modelle des Stardaseins durchwandert. Ähnlich wie im Video zum Song „Anti-Hero“, in dem es auch eine übergroße und eine kleine, eine wilde und eine brave Taylor gibt, vereint Swift typische Ideen des Nahbar- und Unnahbarseins, des Intimen und des Öffentlichen, des Poetischen und des Plakativen – und bleibt damit für viele unfassbar.
Neben den Fans widmet sich wie berichtet eine wachsende Schar akademischer Forscherinnen und Forscher mittlerweile diesen Aspekten. Ohne swiftologische Deutungshoheit zu beanspruchen, lassen sich dabei einige Traditionslinien erkennen.
Gequälte Poeten
„Tortured Poets Department“ heißt Swifts aktuelles (Doppel)-Album, und wie alles wurde auch dieses in der Swiftie-Sphäre längst eingehend auf mögliche Referenzen analysiert. Gleich im Titeltrack etwa verweist die Zeile "You're not Dylan Thomas, I'm not Patti Smith/This ain't the Chelsea Hotel, we're modern idiots" auf zwei bedeutende Poetenfiguren und das legendäre Künstlerhotel, in dem auch Bob Dylan, William Burroughs und andere Gestirne der Bohème des 20. Jahrhunderts abstiegen.
Von hier weist der Pfeil in eine selbstverzehrende Künstler-Tradition, die man durchaus mit Swifts symbolgeladener, leidensfroher Lyrik in Verbindung bringen kann: Etwa auf Patti Smiths großes Vorbild Arthur Rimbaud, „Bad Boy“ und Dichterstar des 19. Jahrhunderts, von dem u. a. die Zeile „Ich ist ein anderer“ überliefert ist. Oder auf Sylvia Plath, jener 1963 tragisch früh verstorbenen Dichterin, deren Werk als Zentralgestirn der Bekenntnislyrik gilt.
Prominente Philosophen
Ob Swifts Leben und Werk den Vergleich mit überragenden Geistesgrößen rechtfertigen, ist auch in Fachkreisen umstritten. Akademiker suchen – und finden – aber durchaus auch hier Anknüpfungspunkte. Etwas steil die These des New Yorker Philosophiedoktoranden Jack Condie, der Swift als „modernen Alkibiades“ bezeichnet – mit Verweis auf einen prominenten griechischen Staatsmann, der im 5. Jahrhundert vor Christus lebte und als politischer Wendehals galt, der Athen und Sparta stets gegeneinander ausspielte (er soll auch eine Affäre mit Sokrates gehabt und mit seinen Pferdewagen einen Olympiasieg errungen haben).
Die Analogien von Alcibidiades‘ Allianzen zu den diversen „Eras“ in Swifts Karriere und insbesondere den Auseinandersetzungen rund um das Album „Reputation“ sind Stoff für fortgeschrittene Swiftologen. Swift selbst nimmt aber durchaus Anleihen an der Antike, etwa im Song „Cassandra“ vom aktuellen Album: Hier geht es um die antike Seherin, der niemand glaubte – aber auch um Swifts seit 2009 schwelenden Konflikt mit Super-Celebrity Kim Kardashian und deren Mann Kanye "Ye" West.
Diven und Damen
Zwischen den Antipoden Kardashian und Swift entlädt sich in der Arena der Berühmtheiten wohl auch deshalb so viel Energie, weil beide Figuren eine recht gegensätzliche, aber nicht völlig konträre Art des Superheldinnentums verkörpern. Kardashian ist ein Produkt der Reality-TV- und Influencer-Kultur, in der es darum geht, jeden Aspekt des eigenen Daseins zu veröffentlichen und dabei doch stets makellos und überirdisch auszusehen. Swift ist dagegen auf eine direktere Art um Nahbarkeit bemüht – in ihren Texten, die die Nähe zur Empfindungswelt der Fans suchen, aber auch in Botschaften und halböffentlichen Auftritten.
Stars früherer Generationen wie Madonna, die ihre öffentliche Person stets überhöht und übergroß zeichneten, konnten sich auf Schauspielstars des 19. Jahrhunderts wie die legendäre Französin Sarah Bernhardt berufen, die ebenfalls auf Welttournee ging und dabei frenetisch gefeiert wurde.
Wenn die Reality-TV-Ära, mit Stars wie Paris Hilton und Kardashian, diese Selbstinszenierung torpedierte und letztlich demontierte, so verkörpert Swift die Generation, die daraus gelernt hat. Jene, die den Appeal nicht verstehen, weil Swift ja „so normal“ sei, hängen womöglich einem überkommenen Star-Bild an.
Kultige Kumpels
Auch in Punkto Fankult dockt Swift an durchaus etablierte Vorbilder an: Wie die Forscherin Eva Schörgenhuber im KURIER ausführte, gibt es etwa in der Art und Weise, wie die K-Pop-Band BTS ihre Fangemeinde in allen Lebenslagen abholt, direkte Vorbilder. Aber auch die Country-Music-Szene, der Swift ja ursprünglich entstammt, ist dafür bekannt, dass sich ihre Stars viel zugänglicher und bodenständiger präsentieren als die Diven des Pop.
Mit Loretta Lynn, Tanya Tucker oder der für die junge Taylor Swift sehr prägenden LeeAnn Rimes gibt und gab es hier zahlreiche Orientierungspunkte – dass Bodenhaftung mit Glitzer und Glamour sehr wohl zusammengeht, beweist nicht zuletzt die Country-Queen Dolly Parton immer wieder aufs Neue.
Nicht zu vernachlässigen ist auch die Welt der so genannten Jam-Bands, die sich in den USA bildete, als sich der Rock’n’Roll mit dem Geist der bunten Wanderzirkusse und Sideshows zusammenschloss: Die Sixties-Band The Grateful Dead gilt als Urahnin dieses Phänomens, Acts wie Phish oder Widespread Panic tragen die Tradition bis heute weiter.
Die Fans dieser Bands reisen mit den Tourneen mit und planen ihr Leben um sie herum. Auch hier gibt es einen Kosmos aus Kostümierungen, Accessoires und Symbolen, die die Community zusammenhalten – „Deadheads“ und „Swifties“ sind vielleicht gar nicht so weit entfernte Verwandte.
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