Rock ist tot
Dennoch war in den gut eineinhalb Stunden davor auffallend oft vom Tod die Rede gewesen. Nirvana-Frontman Kurt Cobain, dem Patti Smith das Lied "About A Boy" sowie ein feuriges Cover des Hits "Smells Like Teen Spirit" widmete: tot, seit 30 Jahren. Smiths eigener Ehemann Fred "Sonic" Smith, Gitarrist der Band MC5: tot, kurz nach Cobain im Jahr 1994 gestorben. Die Sängerin widmete ihm das Lied "Summertime Sadness", seinerseits ein Cover der Pop-Croonerin Lana del Rey aus dem Jahr 2012. Davor "Cash", ein Tribut an Johnny Cash, geschrieben nach dessen Tod 2003. Zwischendurch, als sich Smith kurz hinter die Bühne zurückzog, ein Cover von "Fire", dem Klassiker von Jimi Hendrix - auch er schon lange tot, natürlich.
Dass Smith bei all den Nachruf-Songs dennoch eine so positive, vorwärtsgewandte Stimmung verbreiten konnte, lag natürlich an ihrer eigenen Präsenz und Tiefgründigkeit: Seht her, schien sie zu sagen, wir sind alle Teil eines großen Kontinuums, es gibt ein Davor und Danach, alle gehören dazu. Es hilft gewiss, dass Smith sich selbst stets mehr als Poetin denn als Popstar definierte, ihre Refenzgrößen waren stets Arthur Rimbaud, der skandalumwitterte Dichter des 19. Jahrhunderts, dessen Haus Smith 2017 kaufte, und die Beat-Poeten der 1950er.
Lyrik lebt
Anders als bei früheren Auftritten, wo sie auf der Rockbühne auch schon mal einen Lyrikband zückte, blieb Smith in Wien innerhalb des Rock-Universums - freilich nicht, ohne jedes Wort mit großer Deutlichkeit und großer Geste zu formen und in den Sommerabend hinauszuschicken. Eine Geschichte über einen hundertjährigen Kapitän, den Smith angeblich einst in Wien getroffen haben will, zeigte ihre Erzählqualitäten. Literaturnobelpreisträger Bob Dylan - Smith war bei der Verleihungszeremonie aufgetreten - wurde als eine der wenigen lebenden Referenzgrößen mit "Man in the Long Black Coat" herbeizitiert. Doch es gab auch die Hits: "Because the Night", "Redondo Beach", "Dancing Barefoot".
Das Quartett spielte alles höchst dynamisch und aufgeräumt: Insbesondere Smiths Sohn Jackson an der Leadgitarre tat sich als Virtuose hervor, die Sounds, die er aus seiner völlig un-punk-mäßig hoch gehängten Telecaster-Gitarre holte, strotzten vor Effekten, passten sich aber doch auch sehr uneitel an Patti Smiths Vortrag an. Rock-Nostalgiker konnten hier die akademische Balsamierung und fehlenden Rotz beklagen - sie hätten aber auch zugeben müssen, dass man Smiths Musik selten so klar und transparent gehört hat.
Solidarität ja, Agitation nein
Bleibt die politische Botschaft, um die die Rock-Ikone bisher nie verlegen war: 2021 hatte sie, gemeinsam mit Pink-Floyd-Problembär Roger Waters und rund 600 anderen, ihre Unterschrift unter einen Boykottaufruf israelischer Kulturinstitutionen gesetzt. In Wien zog sie in einer Ansage eine Parallele zu dem Song "Ghost Dance", den sie 1978 indigenen Amerikanern gewidmet hatte, und all denen, die "heute Flüchtlinge in ihrem eigenen Land" seien. Später spielte sie den 2004 geschriebenen Song "Peacable Kingdom" und widmete ihn "dem palästinensischen Volk".
Smith ist aber kein Roger Waters, sie ist zu sehr Poetin, weiß zu sehr um die Kraft der Sprache, um in die Agitation zu kippen. Der Text des besagten Lieds ("Vielleicht werden wir eines Tages stark genug sein / um es wieder aufzubauen") wird auch schwer anders auszulegen sein denn als Ausdruck der Hoffnung auf Versöhnung. Dass es in den Händen aller liegt, war dann auch der Punkt der frenetisch mitgesungenen Zugabe "People Have the Power": "Menschen haben die Macht, die Taten von Narren wieder gut zu machen". Eine Botschaft, zeitlos wie der Rock'n'Roll.
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