Das verordnete und von Paul Gessl, Chef der Niederösterreich Kulturwirtschaft (NÖKU), exekutierte Festival sollte internationalen, aber auch lokalen Künstlern eine Bühne geben. Doch zum Intendanten machte man im November 2020 aus nicht nachvollziehbaren Gründen den deutschen Dramaturgen Christoph Gurk, der kurz zuvor mit Volkstheaterdirektor Kay Voges nach Wien gekommen war und keinen Schimmer von St. Pölten hatte.
Er suchte daher auch nicht die Nähe zur Szene: Die resolute Filmemacherin Anita Lackenberger musste viel Energie aufwenden, um sich ins Programm zu reklamieren. Gurk vergab auch keine Aufträge an Künstler, die in St. Pölten aufgewachsen sind, darunter der äußerst talentierte Regisseur Moritz Franz Beichl. Er vertraute einzig auf sein deutsches Netzwerk samt Matthias Lilienthal, der im Hintergrund agierte. Und so kam es zu einem Akt der Kolonialisierung: Vornehmlich in Berlin lebende, der Volksbühne oder der Münchner Kammerspiele nahestehende Künstler durften das Biotop, aus deutscher Sicht eine Brache, urbar machen. Was ziemlich schief ging. Schon früh mehrten sich die Anzeichen, dass die Tangente scheitern würde. Doch Gessl hielt an Gurk fest.
Erst im Juni 2023 ließ er verschämt bekannt geben, dass „eine personelle Veränderung“ anstehe: Als Nachfolger für Gurk wurde dessen sympathischer Assistent Tarun Kade verpflichtet, der auch keinen Schimmer von St. Pölten hatte. Zu jenem Zeitpunkt waren Abänderungen kaum mehr möglich.
Funktioniert hat daher nur, was ohnedies von langer Hand geplant gewesen war: Die renovierte Synagoge wurde eröffnet, das KinderKunstLabor nahm den Betrieb auf – und das Stadtmuseum steuerte die sensationelle Ausstellung „Blick in den Schatten. St. Pölten und der Nationalsozialismus“ bei, die bis 25. Mai 2025 läuft. Der große Rest war ein müder Abklatsch der Wiener Festwochen – mit „Justice“, einer Art Oper, in der Regie von Festwochenintendant Milo Rau zu Beginn.
Die APA schrieb über „Alfa Romeo und die elektrische Giulietta“ im Landestheater: „Viel dramatisches Potenzial enthält der Plot allerdings nicht“, „eine dramaturgische Entwicklung ist kaum erkennbar“ und „ein dürftiger Schluss“. Über „Maria Stuart“ war zu lesen: „Die Charaktere im Stück bleiben leider insgesamt hölzern, wenig Interaktion ist sichtbar, aber viel Deklamation hörbar.“
Insgesamt gab es im Landestheater (357 Sitzplätze) neun Vorstellungen in Kooperation mit der Tangente. Man zählte 2.006 Besucher. Viele müssen mehr oder weniger gratis hineingekommen sein. Denn es wurden nur 29.000 Euro erlöst – also nicht einmal 15 Euro pro Person. Die regulären Karten kosten jedoch zwischen 26 und 56 Euro. Und die Auslastung wurde mit 72,4 Prozent angegeben. Was bedeutet: Die Premiere war voll, die zweite Vorstellung halb leer. Im Festspielhaus dürfte es nicht viel anders gewesen sein.
Es krankte auch massiv an der Vermittlungs- und Pressearbeit. Das Programmbuch lag selbst Wochen nach der Präsentation nicht auf. Es gab eine „unabhängige Festivalredaktion“ namens KREDO: Als „zeitgemäße Form der Kunstkritik und Kulturberichterstattung“ wollte sie, von der Tangente finanziert, die Tangente begleiten und ihr auf den Zahn fühlen. Das elfköpfige (!) Team veröffentlichte gerade einmal 38 Beiträge. Kritische Anmerkungen gab es schon auch – zur FPÖ etwa.
Im Gegensatz zu Bad Ischl hielt man in St. Pölten nichts davon, die Presse zu informieren. Einzig zur Eröffnung von „The Way of The Water“ – ein Kunstparcours entlang der Traisen und des Mühlbachs mit 23 Installationen – organisierte man eine Führung. Aber den Journalisten wurden bloß sechs Arbeiten (im Süden, zwei davon nicht im öffentlichen Raum) präsentiert. Ihr Tratschpartner borgte sich also ein Fahrrad aus. Der Lageplan war dürftig, manche Arbeit noch nicht fertig, die Enttäuschung groß.
Eine Niederlage gesteht Paul Gessl aber nicht ein. Bereits im Juli zog er eine „erfolgreiche Zwischenbilanz“. Und nun ließ er auf Anfrage wissen: „Gesamt gesehen konnte die Tangente unterschiedlichste Zielgruppen nach St. Pölten bringen und die Bekanntheit und das Image der Stadt steigern. (…) Vieles von dem, was die Tangente in diesem Jahr an Initiativen und Plattformen geschaffen hat, soll in Zukunft ausstrahlen.“ Im Regierungsviertel von St. Pölten sieht man das ein wenig anders: Eine solche Tangente werde es, flüstert man, ganz sicher nicht wieder geben.
PS: Wer sagt hierzulande „Pömpel“? Man redet z. B. vom „Stempfl“ oder „Stampfer“ oder „Steßl“. Und im Österreichischen Wörterbuch ist „Hektor“ angeführt. So nennen auch die heimischen Installateure die Saugglocke ...
Kommentare