Tangente in St. Pölten: 100 Minuten unbezahltes Product Placement

Der Alfa ist angeblich der Ferrari der Armen: „Alfa Romeo und die elektrische Giulietta“
Wie das eben so ist: Stückentwicklungen müssen erst entwickelt werden. Vermarktet aber werden sie schon davor. Mitte März 2023 gab die Tangente bekannt, dass im Landestheater von St. Pölten „Der Fall der Götter“ (so der Arbeitstitel) des niederländischen Schauspielerkollektivs Wunderbaum zur Uraufführung gelangen werde: „In der Produktion geht es um den Wandel des Statussymbols ,Auto‘ mit Bezügen zur Marke Alfa Romeo.“
Im Programmbuch des Festivals, im Dezember 2023 vorgestellt, erfuhr man: „Ein Dinner: Um den Tisch sitzen Familienmitglieder aus der Dynastie eines bekannten Autoherstellers. Bald geht es ans Eingemachte. Unter anderem wird heftig über schnelle Sportwägen (sic!) in Zeiten des Klimawandels diskutiert.“ Erzählt werde „die Geschichte „am Beispiel des Familienunternehmens Alfa Romeo“. (Ein Familienunternehmen?) Der Hersteller stehe stellvertretend für viele Unternehmen, die sich nicht mit „ihrer Rolle im Faschismus auseinandergesetzt haben. Nach der Ächtung des fossilen Verbrennungsmotors muss er aus verschiedenen Gründen sein Image neu ausrichten. 2023 brachte Alfa Romeo immerhin sein erstes E-Auto auf den Markt.“ Der Titel daher: „Alfa Romeo und die elektrische Giulietta“.
Die Giulietta wird zwar nicht mehr produziert, es gibt auch keine elektrische Variante. Aber Romeo und Julia – das ist Theater pur! Doch weit gefehlt, wie sich am Samstagabend herausstellte. Statt einem „Dinner“ mit Debatte gibt es eine 100-minütige „Road Show“: Sechs Alfistas sind aus Holland, Berlin und Rom nach St. Pölten geglüht, um das unwissende Publikum – im nicht voll besetzten Saal sitzen bloß zwei bekennende Alfa-Fahrer – kabarettistisch etwas Nachhilfe-Frontalunterricht zu geben: über die Modelle, den Sound der Motoren und das verräterische Glucksen aus dem Auspuff.
Alfa-Fans, Alfa-Schals
Das völlig uninspirierte Bühnenbild aus Ziegelsteinmauern (von Maarten van Otterdijk) hätte es nicht gebraucht: Die Alfa-Fans mit den Alfa-Schals lehnen ohnedies meist an den drei Stehtischen und hören sich gegenseitig beim überschwänglichen Ereifern zu. Auf diverse Fahrzeugteile, die im Programmheft mehrfach abgebildet sind (etwa ein Auspuffrohr und ein Sportlenkrad), dürfte man im Endeffekt verzichtet haben.
Jede und jeder hat zumindest ein Solo: Walter Bart (als Ed) erinnert sich an die autovernarrte Kindheit, Marleen Scholten (als Jackie) brilliert mit Fachwissen, Simone Cammarata (als Giulio) schmachtet, Giovanni Franzoni (als dessen Vater Tazio) beklagt den Niedergang einer Marke. Die Sophie-Christine der Lara Laufenberg lästert über Max Verstappen und Red Bull – und deren Mann Manfred (Tobias Artner) ist mit einem SUV hergeschwebt, der sich „Junior“ nennt und keinen Laut von sich gibt. Weil eben: elektrisch. Kein Heulen der Motoren: Das finden die anderen schon etwas bitter.
Das Beste an der Show sind die hörspielartige Ouvertüre und die bombastischen Alfa-Arien von Annelinde Bruijs, die Jamie Petutschnig intonieren darf – etwa über die Giulietta Berlina: „Schnell, modern, sicher, ikonisch!“ Mehr Product Placement – noch dazu gratis – geht definitiv nicht.
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