Spike Lees erster Film für Netflix: Krieg statt College
Es beginnt mit Muhammad Ali und seiner Weigerung, in den Vietnam-Krieg zu ziehen und endet mit einer Rede von Martin Luther King. Dazwischen entfacht Spike Lee in seiner ersten Netflix-Produktion „Da 5 Bloods“ die brennenden Erinnerungen an ein amerikanisches Trauma aus der Perspektive von vier schwarzen Vietnam-Veteranen.
Der profilierte Regisseur – zuletzt in seiner Rassismus-Dramedy „BlacKkKlansman“ – interessiert sich für „black experience“ im Rahmen eines Filmkanons, der bisher einer weißen Perspektive vorbehalten blieb. Der verlorene Vietnam-Krieg fand zwar im populären US-Kino seinen legendären Niederschlag, wurde aber meist aus der Sicht weißer, amerikanischer GIs wahrgenommen.
Wie unverhältnismäßig dieser Erzählgestus ist, ergibt sich allein aus dem Umstand, dass Afroamerikaner zur Zeit des Vietnam-Kriegs rund zehn Prozent der US-Bevölkerung ausmachten, aber trotzdem ein Drittel der eingezogenen Soldaten stellten.
„Die weißen Jungs gingen stattdessen aufs College“, kommentiert einer der vier Ex-Soldaten, die gemeinsam nach vielen Jahrzehnten nach Vietnam zurückkehren. Die „Bloods“, wie sie sich nennen, haben sich im Krieg verbrüdert, doch der fünfte ihrer Gruppe hat nicht überlebt. Nun wollen sie seine sterblichen Überreste bergen – und bei der Gelegenheit einen verborgenen Goldschatz, den sie einst versteckt haben, aus dem Land schmuggeln.
Marvin Gaye
Bevor die Kriegsveteranen in den Dschungel aufbrechen, machen sie Party in Ho-Chi-Minh-City und kommen sich auch persönlich wieder näher. Leider stellt sich heraus, dass Paul (Delroy Lindo) ein verbissener Trump-Anhänger geworden ist und mit seinem roten „Make America Great Again“-Käppchen allen auf die Nerven geht. „Apocalypse Now“ steht in rosa Neon-Buchstaben auf einer Wand zu lesen, vor der ein vietnamesischer DJ seine Platten auflegt, während die vier Bloods in einer delirierenden Kamerafahrt zu einem Marvin-Gaye-Song tanzen.
Entfesselt wirft Spike Lee Zutaten aus Buddy-Comedy, Polit-Manifest, Soap Opera, Kriegsfilm-Genre und Goldrausch-Thriller durcheinander und verbindet sie zu einer provokant-brisanten, ausufernden Mischung aus Popcornkino und Geschichtslehrstück. Wagners „Walkürenritt“ findet sich im smarten Zitat aus Coppolas „Apocalypse Now“ ebenso wieder wie Anklänge an John Hustons „Der Schatz der Sierra Madre“, der vor allem im zweiten Teil der Erzählung als Inspiration für blutrünstige Dschungelkämpfe sorgt.
In Rückblenden schwenkt Spike Lee zu den Kriegshandlungen von 1970 zurück und macht sich dabei nicht die Mühe, die angegrauten Herren mittels „De-Aging“ auf jung zu trimmen, sondern wechselt nur das Bildformat. Die alten Bloods treffen auf den jungen Norman („Black Panther“ Chadwick Broseman), einen Kämpfer für die schwarze Bürgerrechtsbewegung. Die Konfrontation der alten Darsteller mit dem jungen Mann verfremdet die Begegnung und lässt die Vergangenheit umso stärker in die Gegenwart hineinbluten – wie immer bei Spike Lee.
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