„I can’t breathe“ – „Ich kann nicht atmen“, waren die letzten Worte des Afroamerikaners George Floyd, ehe er am 25. Mai durch Polizeigewalt in Minneapolis zu Tode kam. „I can’t breathe“ stand auch auf den Plakaten wütender Menschen zu lesen, die weltweit – darunter in Wien – gegen Rassismus und Polizeiübergriffe demonstrierten.
Es ist kein Zufall, dass der Slogan „I can’t breathe“ eng mit der Menschenrechtsbewegung „Black Lives Matter“ verknüpft ist. Auch die Afroamerikaner Manuel Ellis und Eric Garner starben während der Arretierung durch die Polizei, ungeachtet ihres mehrfachen Flehens, nicht mehr atmen zu können.
Ursprünglich stammt der Satz von Eric Garner, der im Juli 2014 in New York bei seiner Verhaftung starb: „I can’t breathe“ keuchte Garner, während ein Polizist auf seinem Hals kniete. Wenn man diese Bilder sieht, wähnt man sich kurz im falschen Film, so sehr ähneln sie jenen von der Tötung George Floyds. Doch die Aufnahmen von Garners Tod stammen aus „Der 13.“, einer mitreißenden Doku der afroamerikanischen Regisseurin Ava DuVernay aus dem Jahr 2016 (auf Netflix).
DuVernay hat sich mit aufwühlenden Menschenrechtsdramen wie „Selma“ einen Namen gemacht und lässt auch in „Der 13.“ nichts an emotionaler Spannung missen.
Warum, so fragt sich die Filmemacherin, sitzen so überproportional viele Afroamerikaner in den US-Gefängnissen, vor allem wenn es um kleinere Delikte geht? Wie kommt es, dass das Bild des „schwarzen Kriminellen“ so stark in den Köpfen der Menschen verankert ist? Und wer profitiert von boomenden Gefängnissen?
Um diese Fragen zu beantworten, unternimmt DuVernay einen faszinierenden Streifzug durch die US-Polit-Geschichte und beginnt mit der Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1865. Ihr Filmtitel „Der 13.“ bezieht sich dabei auf den 13. Zusatzartikel zur US-Verfassung, in dem die Sklaverei aufgehoben wird. Jeder ist frei, heißt es da sinngemäß – es sei denn, er ist kriminell.
In Ava DuVernays Lesart ist es kein Zufall, dass nach Aufhebung der Sklaverei ein guter Teil der schwarzen Bevölkerung im Gefängnis landete: Dort konnte man ihre Arbeitskraft weiter nutzen.
Den Mythos vom „schwarzen Kriminellen“ findet sie bereits in dem ersten „Blockbuster“ der Filmgeschichte wieder, in D. W. Griffiths Monumentalwerk „The Birth of a Nation“ (1915), wo weiße Schauspieler mit schwarzer Schmiere im Gesicht unschuldige weiße Frauen bedrohen; ihre Untaten müssen von dem rassistischen Geheimbund Ku-Klux-Klan bestraft werden.
DuVernay lässt führende (afroamerikanische) Intellektuelle – wie Henry Louis Gates Jr. oder Angela Davis –, Historiker, Aktivisten und Wissenschaftler zu Wort kommen und zeichnete mit atemberaubender Präzision die Entwicklung einer konsequenten Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung nach.
Nixons Ruf nach „Law and Order“, Reagans „Krieg gegen Drogen“ bis hin zu Bill Clintons Novellierung des Strafgesetzes entlarvt DuVernay als politische Strategien, die (strukturellen) Rassismus beförderten.
Bis zum Ende von „Der 13.“ bleibt man im Sessel kleben, so spannungsreich, vielschichtig und klug erzählt Ava DuVernay eine Geschichte, deren Ende längst nicht absehbar ist, sondern deren Konsequenzen in der aktuellen Tagespolitik ihre traurigen Wellen schlagen.
Schwarze Erfahrung
Nicht nur eine Doku wie „Der 13.“ bemüht sich darum, Facetten von „black experience“ für ein breites Publikum sichtbar zu machen. Auch finden sich vermehrt Spielfilme und Serien, die eine „alternative“ Geschichtsschreibung anbieten und Personen ins Zentrum rücken, die üblicherweise übersehen werden.
Für einen Regisseur wie Spike Lee stehen immer die Erfahrungen jener im Mittelpunkt, deren Perspektive oft unsichtbar bleibt. Auf sein neues Drama „Da 5 Bloods“ (ab Freitag auf Netflix) kann man gespannt sein. Es erzählt von schwarzen Vietnam-Veteranen, die 40 Jahre nach dem Krieg die Leiche eines Kameraden bergen wollen: „Literatur, Film und Fernsehen erzählen alle eine falsche Geschichte: die von weißen mythischen Helden“, sagte Spike Lee in einem Interview mit der New York Times. In „Da 5 Bloods“ hingegen will er von einer schwarzen Erfahrung im Vietnamkrieg erzählen, wie sie bisher noch in keinem Spielfilm vorkam.
Auch die erste Eigenproduktion von Apple TV+ bemüht sich um einen ungewöhnlichen Filmstoff. „The Banker“ (2020) handelt von zwei Immobilienhändlern, die als erste Afroamerikaner der Geschichte in Los Angeles ein Bankgebäude kaufen – nachdem man sie dort zuvor aufgrund ihrer Hautfarbe kaum über die Schwelle gelassen hat.
Dass man sie als Schwarze – trotz genügend Eigenkapital – eine Bank besitzen lässt, ist in Los Angeles im Jahr 1954 undenkbar. Daher müssen sie unsichtbar bleiben und einen jungen Weißen engagieren, der an ihrer Stelle die Geschäfte abwickelt.
Weiße Fassade
Bernard Garrett und Joe Morris agieren als schwarze Entrepreneurs hinter weißer Fassade. Als heimliche Bankbesitzer vergeben sie Kredite an schwarze Familien, die ansonsten keine Kredite bekämen, und verhelfen ihnen so zum Erwerb von Eigenheimen. Zudem ermöglichen sie kaufkräftigen Afroamerikanern Wohnungen in Stadtvierteln, die Weißen vorbehalten sind.
Anthony Mackie und Samuel L. Jackson spielen ihre Rollen als Garrett und Morris mit dem Gusto von Geheimagenten in eigener Sache. Besonders Samuel L. Jackson als Morris entwickelt eine Form von höherem Galgenhumor, mit dem er sich gegen den herrschenden Rassismus seiner Umgebung wappnet und komische Momente garantiert. „The Bankers“ lebt von seinen Schauspielern, weniger von der etwas einfallslosen Regie. Es ist gepflegtes, sehenswertes Geschichtskino, das sich mit seinem Anliegen dezidiert (auch) an ein weißes Publikum wendet.
Von einem gepflegten weißen Publikum ist in der Komödie „Dolemite Is My Name“ (2019) keine Rede mehr. Eddie Murphy in der Rolle des schwarzen Comedian Rudy Ray Moore, der als „Dolemite“ mit vulgären Sprüchen sein schwarzes Publikum begeisterte und mit dem Trash-Filmchen „Dolemite“ einen Blaxploitation-Klassiker hinlegte, ist absolut sehenswert (auf Netflix).
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