Sigur Rós: Singende Blinddarmentzünung

Sigur Rós: Singende Blinddarmentzünung
Kritik: Die Isländer verwandelten mit einem fantastischen Auftritt den Gasometer in ein Stück Traumlandschaft.

Island ist ein bemerkenswertes Land. Es besteht angeblich je zur Hälfte aus gefrorenem (Eis) bzw. kochendem Wasser (Geysire). Es hat eine interessante  Vogelwelt – auf Island findet man Trottellummen und Basstölpel. Es hat eine unverwechselbare Sprache: „Kommissar Rex“ heißt z. B. Lögregluhundurinn Rex, worauf höfliche  Menschen mit „Gesundheit“ antworten (wobei – wer weiß, wie unsere Sprache in isländischen Ohren klingt).

Basstölpel

In Island wachsen Gletscher, Steine, Elfen, gute Fußballer und beeindruckende Musik. Zu Recht weltberühmt ist Björk  – ihre Musik hört sich ein wenig so an, als würden der Basstölpel und Lögregluhundurinn Rex miteinander singen, sie ist nicht wirklich angenehm, aber trotzdem großartig.

Und dann sind da natürlich auch noch Sigur Rós, die am Samstag den Gasometer in Wien heimsuchten.

Ein Konzert der vier vereint die Prinzipien Rock (es wird laut) und Kunst. Das merkte man schon vor dem Auftritt: Die Zuschauer gingen höchst bedächtig von A nach B, gesprochen wurde nur in gedämpftem Ton, während das Konzert langsam in Form schwer auf der Seele lastender Keyboard-Akkorde heranwaberte.

Herbstdepression

Es begann zur Begeisterung des Publikums mit „Untitled #1“ – ihrem vielleicht verträumtesten Stück, das wie ein Soundtrack zu einer von schweigenden Haubenköchen zärtlich zubereiteten Herbstdepression klingt.

Bei aller Kunsteifrigkeit bewiesen die schroffen Isländer durchaus Sinn für das Erfreuen der Masse: Sie spielten ihr populärstes Album „( )“ (also Klammer auf, Klammer zu) fast zur Gänze.

Die Stücke der Band klingen wie eine singende Blinddarmentzündung, und das ist als dickes Kompliment gemeint. Sie kosten einerseits die Langsamkeit bis an die Grenzen des Verschwindens aus – man bewundert den Schlagzeuger, dass er so langsam spielen kann, ohne aus dem Takt zu kommen.

Andererseits bäumen sie sich immer wieder wild auf, während Sänger und Gitarrist Jón Þór „Jónsi“ Birgisson dazu seine Gitarre mit einem Geigenbogen quält und in seiner Geheimsprache „Hoffnungsländisch“ heult und zähneklappert, dass Radioheads Thom York dagegen wie ein gut frisierter Sängerknabe klingt.

Gen Himmel

Ein erster Höhepunkt ist  das traumhafte „Untitled #3“, das die Halle tief einnebelt. Es folgen noch mehrere. Etwa das sich windende „Svefn-g-englar“, das wild entschlossen gen Himmel strebende „Festival“, oder das majestätisch dröhnende „Kveikur“.

Am Ende des inklusive Pause fast zweieinhalb Stunden langen, aber nie langweiligen Konzerts gab es frenetischen Applaus. Ein großes Erlebnis!

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