"Sign Week": Auch Buchstaben haben eine Seele

Ein Schriftzug in der Graumanngasse 3-5.
Das Festival "Sign Week" erinnert an die Wiener Schilderkunst, die vom Aussterben bedroht ist.

Individualität statt Austauschbarkeit. Diversität statt Einheitsbrei. In Folge der um sich greifenden Globalisierung und Kapitalisierung der Gesellschaft kommt es neuerdings zu einem erhöhten Drang der Identitätssuche, der sich durch alle Bereiche des Lebens zieht. Daher ist es nur logisch und konsequent, dass sich auch Metropolen zunehmend fragen, was sie einzigartig macht. Einfach nur Stadt zu sein, genügt nämlich nicht mehr. Und so ist man jetzt "Messestadt", "Kulturhauptstadt", "Stadt der Wissenschaft" oder "smartest city of the world" – was auch immer das bedeuten soll.

Auch "Wien ist anders". Das verspricht einem zumindest seit Jahren ein Slogan von Wien-Tourismus. So viel "anders" als München oder Hamburg ist Wien aber gar nicht. Zumindest dann, wenn man sich die ewig gleichen Geschäftsportale in den Einkaufsstraßen ansieht. Das war aber nicht immer so. Denn Wien war einst eine Metropole der Schilderkunst. Die Betonung liegt auf "war", denn heute müssen Unternehmen, die ein gemaltes Fassadenschild möchten, in Deutschland bestellen.

"Das Midi, ein Lokal am Hohen Markt 5 im ersten Bezirk, wollte zum Beispiel so ein gemaltes Schild. Weil das in Wien keiner mehr macht, ließ man es sich von einer Berliner Firma anfertigen", sagt Achim Gauger, der sich im Rahmen seines Fotoprojekts "ViennaCityTypeFace" intensiv mit historischen Fassadenbeschriftungen in Wien beschäftigt, im KURIER-Interview.

Der letzte, der in Wien die Kunst der Schildermalerei beherrschte, war Josef Samuel, der seit Jahren in Pension ist und seine Werkstätte in der Mühlgasse 4 (1040 Wien) zum Museum umfunktioniert hat. Durch dieses führt er im Rahmen der von Tom Koch und Achim Gauger ins Leben gerufenen "Sign Week Vienna". Der Besuch des Museums gleicht einer Reise in alte Zeiten, als kleine Händler aus der Vorstadt mit handgemalten Schildern warben, Schriftzüge sorgfältig konstruiert wurden und die Buchstaben noch eine Seele hatten.

"Sign Week": Auch Buchstaben haben eine Seele

Fotografiert in der Rotenturmstaße 21.
"Sign Week": Auch Buchstaben haben eine Seele

Fotografiert in der Lange Gasse 56.
"Sign Week": Auch Buchstaben haben eine Seele

Fotografiert am Lerchenfelder Gürtel 53
"Sign Week": Auch Buchstaben haben eine Seele

Fotografiert in der Burggassse 6-8
"Sign Week": Auch Buchstaben haben eine Seele

Fotografiert in der Theresiengasse 75-77
"Sign Week": Auch Buchstaben haben eine Seele

Fotografiert am Schottering 14.
"Sign Week": Auch Buchstaben haben eine Seele

Dieses Schild hängt noch: In der
kubanischen Hauptstadt Havanna
wird neuerdings Wert auf den Erhalt
historischer Signs gelegt
"Sign Week": Auch Buchstaben haben eine Seele

Aufgenommen von Steve Spiegel in Havanna.

Für immer verloren

Viele Unternehmen können und wollen sich so ein Einzelstück aber nicht mehr leisten. Denn "der Preis für so ein handgefertigtes Kunstwerk geht schon mal in den fünfstelligen Bereich – und daher kommen kaum noch neue Schilder dazu", erklärt Gauger, der seit 2012 auf seiner Instagram-Seite "ViennaCityTypeFace" die schönsten Schriftzüge der Wiener Geschäfte dokumentiert. Mit der traurigen Erkenntnis, dass immer mehr Signs verschwinden. Für immer. "Mittlerweile sind von den 1.200 Fotos, die ich seit Mitte 2011 gemacht habe, bereits 300 Schilder nicht mehr in der Stadt zu finden, da die Geschäfte zugesperrt haben. Für Gauger gehe damit nicht nur die regionale Vielfalt verloren, sondern auch das spezielle Erscheinungsbild der Stadt.

Die Hauptausstellung der "Sign Week" zeigt in der Mariahilferstraße 103 Schriftzüge, die in den vergangenen fünf Jahren aus dem Stadtbild verschwunden sind. Der Grund: Viele Traditionsbetriebe und Familienbetriebe, die noch solche Schilder hatten, sind verschwunden. Gauger macht dafür die steigenden Mieten und das wachsende Online-Geschäft verantwortlich. "Die Mieten in guten Lagen der Stadt sind für viele nicht mehr leistbar, und daher ziehen verstärkt internationale Ketten ein, die keinen Wert auf die Schilderkunst legen", sagt Gauger.

Damit sind sie nicht alleine, denn auch der Wiener Stadtverwaltung sei es im Großen und Ganzen egal, was mit den Schildern passiere, so Gauger. Daher liegt es an den privaten Initiativen wie etwa dem Verein "Stadtschrift", der historische Schriftzüge abmontiert und vor der Müllpresse rettet.

Neon

Dass es auch anders geht, beweisen Warschau und Havanna. In der kubanischen Hauptstadt versucht ein privates Projekt mit öffentlicher Unterstützung, Schilder zu erhalten. Und in Warschau habe das Neon-Museum dazu geführt, "dass Unternehmen wieder ihre alte Neonschrift aufhängen", sagt Gauger, der mit der "Sign Week" Unternehmen ansprechen möchte. "Wir möchten sie zur individuellen Gestaltung von Fassadenbeschriftungen animieren", sagt Gauger. "Macht wieder schöne Portale!"

Programm
Da es der Stadt Wien an der Bereitschaft fehlt, die Geschäftsportale und Schriften zu erhalten, haben Achim Gauger und Tom Koch das Festival „Sign Week Vienna“ initiiert, das bis Mittwoch (27. September) zu Workshops, Ausstellungen und Rundgängen lädt. In der Ausstellung „Signs From different worlds“ werden Geschäftsschilder Wiens jenen aus Havanna gegenüberstellt (Mariahilferstr. 103 – täglich von 14 bis 18.30 Uhr). Heute, Freitag, gibt es den Rundgang „Geschäfte mit Geschichte“. Start ist um 15 Uhr. Treffpunkt: Mühlgasse 4 (1040). Die Teilnahme kostet 15 Euro.

Am Montag (2. 10.) lädt Achim Gauger KURIER-Leser zum exklusiven Stadtrundgang bei freiem Eintritt. Treffpunkt 15 Uhr beim Blumensalon Matern (Herrengasse 10). Anmeldung: achim@ViennaCityTypeFace.at.

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