Der dritte Teil der "Schnitzelbeat"-Serie fördert wieder eine Vielzahl von raren heimischen Rock-Schätzen zutage. Ein Gespräch mit dem dafür verantwortlichen Musik-Archäologen.
Der Begriff „Schnitzelbeat“ hat nichts mit der österreichischen Leidenschaft für Gebackenes oder irgendwelche Wirtshaus-Traditionen zu tun, sondern steht für ein musikarchäologisches Projekt, das von Al Bird Sputnik und seinem 2007 gegründeten Kulturverein Trash Rock Archives ins Leben gerufene wurde. Mit dem Ziel, vergessene heimische Musikschätze auszugraben, die (noch unterbeleuchtete) österreichische Musikgeschichte zu erforschen und die Ergebnisse der Öffentlichkeit in Form von Tonträgern (CD, Vinyl) zur Verfügung zu stellen.
Nach "Schnitzelbeat Volume 1", auf der die Ankunft des Rock ’n’ Roll in Österreich verhandelt wird, "Schnitzelbeat Volume 2", die die heimische Beatmusik-Phase der 60er-Jahre abbildet, wurde vor Kurzem der dritte Teil vorgestellt. Der KURIER hat sich dafür mit Al Bird Sputnik über die Hippie-Kultur in Österreich, seine Funde und Recherchen unterhalten.
KURIER:Was war diesmal bei der Auswahl wichtig? Welche Zeit, welches Genre steht im Fokus?
Al Bird Sputnik: „Schnitzelbeat Volume 3“ erzählt nun die Geschichte der österreichischen Musikindustrie, die ab 1967/68 Motive der internationalen Flower-Power-Popkultur und Hippie-Bewegung reflektiert. Gleichzeitig begegnen uns in dem betreffenden Zeitraum aber auch etliche kulturelle Dissidenten und Außenseiter, die subversive Positionen der zeitgenössischen Kunstszene verarbeiten. Oder damit beginnen, politische Botschaften zu formulieren und sich nun endgültig loslösen vom Image einer stets gut gelaunten und radiotauglichen Tanzband.
Welche Kriterien muss ein Song erfüllen, damit er es auf den Sampler schafft?
Die Songs, die es in die Auswahl schaffen, müssen den Sound und den Spirit der jeweiligen Zeit und Strömung repräsentieren, welche die Zusammenstellung behandelt. Aber gleichzeitig – und das ist ebenso wichtig – muss jedes Stück auch international gute Figur machen: Die „Schnitzelbeat“-Sampler sind tatsächlich auch in Plattenläden in London, Berlin oder Paris erhältlich und werden von DJs und Plattensammlern in aller Welt rezipiert.
Wie viel Songs mussten Sie diesmal zurücklassen?
Die LP-Version des Samplers umfasst 16 Aufnahmen, auf der CD-Version sind 20 Stücke zu hören. Um zur finalen Auswahl zu gelangen, habe ich einige hundert österreichische Nummern aus dem betreffenden Zeitraum berücksichtig. Zu den Pop- und Rock-Spielarten Psychedelik, Folk Rock und Proto-Punk gäbe es natürlich noch sehr viel mehr seltenes und hörenswertes Material aus österreichischen Studios und Proberäumen, aber man muss letztlich eine Auswahl treffen.
Besitzen Sie selbst jeden der veröffentlichten Songs auf Vinyl?
Ja, beinahe. Von 60 Songs, die wir auf der „Schnitzelbeat“-Serie bisher wiederveröffentlicht haben, habe ich 57 in Form der jeweiligen Tonträger auch physisch im Archiv. Aber ich arbeite daran, die letzten drei Singles auch noch aufzutreiben (lacht). Einige der Nummern, die wir nun auf CD und Vinyl wiederveröffentlicht haben, sind derartig selten, dass es tatsächlich Jahre gedauert hat, bis sich ein halbwegs sauberes Exemplar finden ließ, von dem wir dann eine digitale Version anfertigen konnten. Bei anderen Songs war es schwierig, die betreffenden Künstler beziehungsweise deren Familienangehörige zu finden. Aber der Aufwand hat sich letztendlich gelohnt.
Diesmal steht die Hippie-Phase, psychedelischer Rock und Proto-Punk im Zentrum der Playlist. Gab es in Österreich eigentlich gelungene Entsprechungen zu Jimi Hendrix und MC5?
Ja, die gab es. Etliche Zeitzeuginnen haben beispielsweise den jungen Karl Ratzer (alias Charles Ryder) damals als einen österreichischen Jimi Hendrix erlebt. Und wenn man die Vehemenz und Aggressivität von US-amerikanischen Bands wie den Stooges oder MC5 schätzt, sollte man sich vergleichsweise auch die Aufnahmen der österreichischen Formationen Novaks Kapelle, The Seals oder Albatross anhören: Derbe Proto-Punk-Stücke, die die Essenz des Punk schon vorwegnehmen, noch bevor es Punk eigentlich gibt, findet man tatsächlich auch in Österreich. Und einige dieser wegweisenden Tondokumente haben wir nun auf der neuen Veröffentlichung versammelt.
Wie präsentierte sich die heimische Musikszene in den 60ern und 70ern in Bezug auf psychedelische Musik? Die Hippie-Kultur war hierzulande nicht sonderlich ausgeprägt, oder?
Im Grunde sollte man davon ausgehen, dass es jede Nische der internationalen Popkultur – in der einen oder andern Form – auch bei uns in Österreich gegeben hat – beziehungsweise gegeben haben muss. Das legen allein schon überlieferte Fotografien, Plakate, Flyer und Zeitungsartikeln aus dem betreffenden Zeitraum nahe. Dennoch können wir über gewisse Szene-Entwicklungen häufig nur Mutmaßungen anstellen, da die Infrastruktur (Presswerke, Labels, Fanzines) für junge Musikschaffende hierzulande noch äußerst spärlich besiedelt war und die meisten KünstlerInnen und Bands der Nachwelt daher keine repräsentativen Tonträger hinterlassen konnten. Jeder einzelne Tonträger, der damals trotz der widrigen Produktionsbedingungen in Österreich auf den Markt gekommen ist – und darüber hinaus zeitgeistige Pop-Phänomene behandelt – sollte als eine kleine Sensation gewertet werden. Von den meisten österreichischen Bands dieser Ära sind ja nicht einmal mehr Proberaum-Mitschnitte erhalten. Und auch die Vernetzung unter den einzelnen Szenen war noch äußerst rudimentär: Wenn beispielsweise eine Tanzband populär wurde in Graz, Linz, Klagenfurt oder Innsbruck, dann hat mit hoher Wahrscheinlichkeit niemand von dieser Gruppe in den anderen Bundesländern Notiz genommen. Gleichzeitig mussten sich österreichische Beat-MusikerInnen, wie auch ihre Fans aufgrund ihres alternativen Lebensentwurfs oder ihres unangepassten Erscheinungsbildes tagtäglich mit den Ressentiments einer konservativen Mehrheitsbevölkerung herumschlagen.
Der Vinyl-Hype, das Sammeln von Schallplatten hält seit Jahren an. Ist der Konkurrenz-Druck gestiegen?
Trends kommen und gehen, aber mein persönlicher Zugang zu dem Medium Schallplatte war immer stark getrieben von einer Leidenschaft für Zeit-, Kunst- und Musikgeschichte. Ich verspüre keinen Druck, stehe dabei auch nicht in Konkurrenz zu anderen Sammlern. Es ist eher schön zu sehen, wenn Menschen durch ihre Liebe zu Musik (und die Medien, die Musik transportieren) zueinander finden.
Welcher Schallplatte jagen Sie gerade hinterher – und warum?
Ich bin immer auf der Suche nach österreichischen Veröffentlichungen aus dem Zeitraum 1950 bis zirka 1990, die ich noch nicht kenne. Schallplatten, die die Entwicklungen österreichischer Pop- und Subkulturen dokumentieren oder den bekannten Erzählungen neue Facetten verleihen können. So gesehen ist die spannendste Schallplatte immer die, die ich gerade neu entdeckt habe.
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