Der Jäger verlorener Vinylschätze

Auf der Suche nach neuen Schätzen: Al Bird Sputnik zu Besuch im Wiener Plattenladen Teuchtler.
Al Bird und seine Trash Rock Archives widmen sich längst vergessenen Bands.

Schallplatten. Überall Schallplatten: Sie hängen an der Wand, liegen am Boden und sind chronologisch in Kisten geordnet. Dazwischen wohnt Al Bird Sputnik, ein junger Mann der seinen bürgerlichen Namen nicht preisgeben möchte. Der Sammler obskurer Raritäten hortet in seinen eigenen vier Wänden in Wien-Meidling rare Tondokumente, die den Großteil der Trash Rock Archives ausmachen. Eine Initiative, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, unbekannte österreichische Musik der Gegenkultur zu präsentieren.

Es geht um Beatmusik, die 1965 beim ersten Österreich-Gastspiel der Rolling Stones als unmoralische Lärmorgie verteufelt wurde. Zu einer Zeit, in der lange Haare kleine Familientragödien auslösten und heimische Teenager Idolen wie The Kinks nacheiferten. Sie lernten die nötigen Akkorde, probten in Gara-gen und nannten sich fortan The Gamblers, The Slaves oder The Meadows aus Neudörfl. Es sind genau diese Geschichten, die Al Bird Sputnik interessieren: Obskure, längst vergessene Aufnahmen aus einer Zeit jugendlicher Revolte, die in der offiziellen Geschichtsschreibung höchstens als Fußnote vorkommen.

2013 veröffentlichte er die erste Ausgabe der Reihe "Schnitzelbeat", die sich heimischen Rock-’n’-Roll-Bands aus den Jahren 1957 bis 1966 widmet. Mit "Schnitzelbeat Vol. 2 – You Are The Only One" wurde soeben der Nachfolger präsentiert.

KURIER: Wo finden Sie all diese Vinyl-Schätze?
Al Bird: Ich gehe am Wochenende gerne auf Flohmärkte und kaufe in Secondhand-Läden. Das ist mit einer gewissen Spannung verbunden, denn man weiß vorher nicht, was man alles finden wird. Das hat hohes Suchtpotenzial.

Wie viel gibt man für so eine Sucht aus?
Natürlich stellt sich dabei immer die Frage: "Wie kann man das Ganze praktizieren, ohne pleitezugehen?" Denn die Möglichkeit, mit ein paar Klicks im Internet Platten um viel Geld zu kaufen, ist immer gegeben. Aber ich würde niemals 500 Euro für eine Platte ausgeben. Man kann auch mit 30 Euro in der Tasche abenteuerliche und tolle Schallplatten finden.

Was war der beste Fund auf einem Flohmarkt?
Da gibt es viele. Aber Werner Gavac mit der Cover-Version des Chart-Hits "I Love You Baby" ist schon etwas Besonders. Mit diesem Einzelstück, das er 1958 in einer Tonaufzeichnungskabine der Firma Voice-O-Graph machte, fing auch das "Schnitzelbeat"-Projekt an.

Der Jäger verlorener Vinylschätze
Trash Rock Archives

Woher kommt die Leidenschaft für heimische Beatmusik?
Da gab es etliche Schlüsselmomente. Einen davon hatte ich als Teenager, als ich mit Freunden in der Neustiftgasse unterwegs war. Dort gab es damals den Plattenladen VEB Sacro, in dem an diesem Tag "Es Chaos is die Botschaft!" präsentiert wurde. Ein österreichischer Punk-Sampler, auf dem sich seltene Singles der ersten und zweiten Punk-Generation befinden. Während in Wien sich kaum jemand dafür interessierte, wurde die Sammlung mit Bands wie den Böslingen in den USA und England abgefeiert. Das war eine Art Initialzündung für mich: Ich habe zum ersten Mal gemerkt, dass auch in Wien aufregende Musik produziert wurde.

Was unterscheidet Volume 1 von Volume 2?
"Schnitzelbeat Vol. 1" hat die Geschichte des Rock ’n’ Roll in Österreich und artverwandten Genres und Beat-Vorläufern erzählt. Volume 2 geht den chronologischen Schritt in die Mid-Sixties und befasst sich mit der ersten Hochphase österreichischer Beatmusik.

Was war das Besondere an dieser Hochphase der Beatmusik?
Mitte der 60er-Jahre haben Bands gemerkt, dass sie die kommerziellen Studios mit ihren Orchestern nicht mehr für ihre Aufnahmen brauchen. Sie stiegen in den Bus, kratzten das letzte Geld zusammen und fuhren in die Schweiz oder nach Deutschland, weil man dort für leistbare Beträge eine Single aufnehmen konnte. Es sind abenteuerliche Geschichten, wie damals Schallplatten entstanden sind: Jede 7-Inch einer österreichischen Beat-Formation ist eigentlich eine kleine Sensation.

Welche Band war damals besonders erfolgreich?
Wenn man sich die frühen 60er-Jahre ansieht, muss man die Bambis erwähnen. Die erste Band, die in Österreich mit dem Beatsound viel Geld verdiente. "Melancholie" hieß ihr Hit im Jahr 1964, mit dem sie damals auch den Beatles-Song "A Hard Day’s Night" von Platz 1 der Radiocharts verdrängten. Danach haben immer mehr österreichische Bands den deutschsprachigen Raum erobert – etwa Horst Chmela mit The Sunset-Four oder The Beatniks aus Kärnten.

Wie reagieren die Bandmitglieder, wenn man sie mit der Vergangenheit konfrontiert?
Am Anfang waren einige skeptisch, aber als die Arbeitsweise der "Schnitzelbeat"-Serie verständlich wurde, hat die Zusammenarbeit in fast allen Fällen geklappt. Ein einziges Mal wollten ehemalige Band-Mitglieder nicht, dass ihre Songs wieder an die Oberfläche geholt werden, weil sie sich für ihre amateurhafte Spielweise geschämt haben. Das ist zwar schade, muss man aber natürlich akzeptieren.

Der Jäger verlorener Vinylschätze
Trash Rock Archives
Wird es einen weiteren Teil der "Schnitzelbeat"-Reihe geben?
Ja. Ein kommende Platte wird etwa die letzten schwarzen Flecken der heimischen Beatmusik-Szene beleuchten und sich härterem Garagen Rock der ausklingenden 1960er- und früher 1970er-Jahre widmen. Eine weitere "Schnitzelbeat"-Serie könnte sich auch den kommerziellen Tanzbands der 70er-Jahre widmen: Junge Männer mit Seitenscheiteln in grellen Smokings, die uns unglaubliche Aufnahmen hinterlassen haben. Das könnte noch recht erheiternd werden.

Mehr Infos zur "Schnitzelbeat"-Reihe finden Sie hier.

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