Salzburg, die Festspielstadt der Frauen
Hugo von Hofmannsthal lässt zwar einen Mann, einen Jedermann, sterben. Aber auch jede Frau ereilt dieses Schicksal. Und auch Jedefrau ist im Augenblick des Todes allein. Wäre es daher nicht an der Zeit, auf der Bühne vor dem Salzburger Dom eine Frau sterben zu lassen? Nein, nicht eine Frau in Männerkleidern. Sondern eine Frau – als Frau.
Bei den diesjährigen Festspielen, die am 1. August beginnen, wird dies passieren. Oder zumindest thematisiert. Wenn auch nicht auf dem Domplatz, sondern in der Szene Salzburg. Dort soll am 19. August die „Jedermann“-Paraphrase „Everywoman“ zur Uraufführung gelangen.
Bei ihren Recherchen in Hospizen haben die Schauspielerin Ursina Lardi und der Regisseur Milo Rau – beide stammen aus der Schweiz – eine Frau kennengelernt, die an Krebs erkrankt war und nicht mehr therapiert werden kann. Eine der zentralen Fragen in den Gesprächen, auf Video aufgezeichnet, war: Wie muss man leben, damit man am Ende sagen kann, dass es sich gelohnt habe?
Kein Feminismus
In „Everywoman“ wird Ursina Lardi, seit 2012 Ensemblemitglied der Berliner Schaubühne, allein auf der Bühne stehen – im Dialog mit der Frau aus dem Hospiz. Es sei aber, sagte sie gegenüber den SN, kein feministisches Stück: „Es werden keine spezifischen weiblichen Themen verhandelt. Der Abend wird von zwei Frauen gespielt, das ist alles.“ Als sei es das Natürlichste auf der Welt.
Ähnlich gelassen argumentiert Markus Hinterhäuser, der Intendant, wenn es um Joana Mallwitz geht. Es sei ihm nie um eine Frauenquote gegangen, sagt er zum KURIER. Ausschlaggebend seien für ihn immer die Qualität und die Konstellation.
Die 34-Jährige aus Hildesheim, Generalmusikdirektorin des Staatstheaters Nürnberg, hätte als erste Frau einer Salzburger Opernproduktion Mozarts „Zauberflöte“ dirigieren sollen. Doch Corona machte einen Strich durch die Rechnung. Aber wundersam fügte sich, dass „Così fan tutte“ realisiert werden kann – in einer rasanten Fassung ohne Pause. Und Mallwitz, für die Zeitschrift Opernwelt der dirigierende Mensch des Jahres, macht begeistert mit: Auch Mozart hätte immerzu eine Möglichkeit gefunden, seine „Così“ auf die Bühne zu bringen.
Im Gegensatz zum Spiel rund um Tarnen, Täuschen und Ehebetrug ist „Elektra“ von Richard Strauss weit kompatibler mit den Corona-Schutzmaßnahmen. Die Oper in einem Aufzug durchtauchte den Lockdown ohne einschneidende personelle Veränderungen: Die litauische Sopranistin Aušrine Stundyte singt die Titelrolle, als deren Schwester Chrysothemis wird eine Landsfrau, ebenfalls in Vilnius geboren, begeistern: Asmik Grigorian, die 2017 ihr Salzburg-Debüt gab, sorgte vor zwei Jahren in einer anderen Strauss-Oper, in „Salome“, für frenetischen Jubel.
Und so ließe sich die Reihe der starken, selbstbewussten Frauen bei den Salzburger Festspielen noch länger fortsetzen – ganz besonders in dem von Bettina Hering verantworteten Schauspiel.
Sex-Appeal und Witz
Mit Caroline Peters wird wieder eine neue Buhlschaft, die vierte in bloß fünf Jahren, den Jedermann betören: Die Schauspielerin, Mitglied des Burg-Ensembles, kombiniert den Senta-Berger-Sex-Appeal mit unendlich viel Witz. Und sie hat keine Scheu davor, das Spiel um das Kostüm mitzumachen. Erstmals mit dabei ist auch Pauline Knof vom Josefstädter Theater – als des Schuldknechts Weib. Und weil man sich die Mutter nicht aussuchen kann, mahnt wieder Edith Clever, die große, alte Dame, den lasterhaften Sohnemann zum gottgefälligen Leben.
Nicht unerwähnt bleiben darf Friederike Heller, 1974 in Berlin geboren. Sie inszenierte bereits mehrere Stücke von Peter Handke, darunter 2004 im Akademietheater dessen „Untertagblues“ und 2006 bei den Salzburger Festspielen „Die Unvernünftigen sterben aus“. Nun bringt die sehr präzise, nachdenkliche Regisseurin „Zdeněk Adamec“, das neue Stück des Literaturnobelpreisträgers, zur Uraufführung. Eine der sieben Figuren spielt Sophie Semin, die zweite Ehefrau von Handke – eine lebenslustige, ungemein charmante Französin.
Und auch Brigitte Kowanz hat erwähnt zu werden – wenngleich außer Konkurrenz: Die „Lichtkünstlerin“ ist mit zwei Ausstellungen – als Bildhauerin in der Galerie Ruzicska und als Zeichnerin im Kunstraum St. Virgil – vertreten. Doch über all diesen Frauen sticht eine ganz besonders hervor: Helga Rabl-Stadler, die 72-jährige Präsidentin der Salzburger Festspiele. Sie hatte mehr Mumm als die meisten männlichen Kollegen – und glaubte fest an die Möglichkeit von Festspielen auch in Zeiten von Corona. Sollte der Mensch des Jahres gewählt werden: Man wird sie nicht übersehen können.
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