Das Thema des Selbstmords ist Handke nah: In „Wunschloses Unglück“ (1972) erzählt er aus dem deprimierenden Leben seiner Mutter Maria, die im November 1971 eine Überdosis Tabletten genommen hatte. Damals war das Warum die Frage. Und sie ist es auch jetzt: In „Zdeněk Adamec“, soeben in Buchform erschienen, versucht Handke, dem tragischen Helden gerecht zu werden.
Eigentlich hätte die Beschäftigung mit dem Sonderling auch einen „Versuch“ ergeben können – wie jene über den geglückten Tag, die Jukebox oder den Pilznarren. Handke entschied sich jedoch für einen dramatischen Text, „eine Szene“. Eine Handlung aber gibt es nicht. Außer dass es allmählich Nacht wird.
„Zdeněk Adamec“ ist ein typisches Handke-Stück. Es erinnert an „Das Spiel vom Fragen“ oder auch an „Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“ – etwa in der Beschreibung der „weiträumigen“ Szenerie, „dicht bevölkert mit Feierabendleuten“. Es herrscht ein „Kommen und Gehen, hin und her, kreuz und quer“.
Handke lässt vieles offen, darunter den Schauplatz: Er bietet „ein ehemaliges Klosterrefektorium in der spanischen Provinz Ávila“ oder, was näher liegt, den Festsaal von Humpolec in Böhmen an. Denn aus diesem Ort stammt Zdeněk Adamec. Und als hätte er die Maßnahmen gegen die Epidemie vorhergesehen, stehen „wir alle, so oder so, im Abstand zueinander, einzeln, ein jeder für sich“.
Eine Gruppe rund um einen dominanten Erzähler redet in mehrfachen Anläufen über Adamec – und beobachtet währenddessen Vorgänge im Freien. Einer sagt, er sei lang genug „ein Gefangener all der Aktualitäten“ gewesen. Adamec hingegen ist eine aus der Zeit gefallene Figur – und Handke rückt ihn wie nebenbei in die Nähe des Erlösers. Denn draußen steht ein Bus mit der Aufschrift „Hier gebe ich mein Blut“; aber niemand scheint spenden zu wollen. Der Abschiedsbrief („Bitte, haltet mich nicht für einen Narren“) sei ein „Psalm“, „ein gewaltiger Menschenkindjammer“.
Mit Fortgang erfährt man immer mehr über Adamec. Angeführt werden detaillierte Zahlen: Humpolec hätte 6.472 Einwohner gezählt, die Fahrdistanz nach Prag betrage 98,4 Kilometer, eine Busfahrt würde zwischen 77 und 91 Minuten dauern. Eine wahre Geschichte also, unterfüttert mit Fakten, Medienberichten und multiperspektivischen Einschüben? Mitnichten. Weder der Erzähler, der eifrig recherchiert haben will, was aber bezweifelt wird („Recherchen, du? Ganz was Neues!“), noch sonst jemand war tatsächlich Augenzeuge.
Und so wird mehrfach zur Diskussion gestellt, ob es sich um eine „wahre Geschichte“ handelt – oder eine „erfundene“. Immer schwingen Zweifel mit: „Wo steht das geschrieben?“ Und die Antwort lautet: „Im Buch der Bücher.“ Oder: „Die Zeit der Märchen ist vorbei.“ – „Keine Angst. Die Geschichte ist wahr.“
Handke bietet natürlich „nur“ seine Erklärung an. Er reimt sich – „Märzenbecher, Schmerzensbrecher“ – eine Geschichte zusammen. Aber eine, die plausibel erscheint.
Und diese ist aus Versatzstücken des Handke-Kosmos zusammengesetzt. Immer geht es um das Absolute: In „Die Lehre der Sainte-Victoire“ (1980) ist vom Mantel der Mäntel die Rede, hier nun von der „Entdeckung der Entdeckungen“. Und immerzu geht es um das Scheitern.
Adamec hütet den Ort, wo er Heimat gefunden hat, wie ein Geheimnis. Einmal aber zeigt er den „Zauberort aller Zauberorte“ einem Anderen. Und dieser ist nicht „stumm vor Staunen“, es gibt nicht einmal „einen Moment des Maulaffenfeilhaltens“. Nein, kein „Platz für ein kleines Halleluja“: Die Geschichte führt von der „Lichtung“ in die „Dunkelkammer“ – und der Held schließt sich der subversiven Gruppe „The Darkers“ an.
Mehr sei hier nicht verraten. Die Geschichte wird am 2. August bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt – in der Regie der Handke-erfahrenen Friederike Heller.
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