Handkes Ehefrau Sophie Semin: „Peter hat mich erkannt“
In Peter Handkes neuem Stück beschäftigt sich eine Gruppe von Personen fragend und erklärend mit Zdeněk Adamec, der sich 2003 auf dem Wenzelsplatz in Brand steckte. Jemand berichtet von einem Traum, in dem der Sonderling „mit einer Feder im Haar“ und einer Karte in den Händen herumwanderte: „Und das Studieren dieser Landkarte machte dem Zdeněk Beine, und wie! Beine aber nicht, um draufloszumarschieren, sondern um abzuzweigen, Abzweigung um Abzweigung.“ Im Traum habe dieser „bei einer jeden Abzweigung gejauchzt“. Und wenn er nicht gestorben ist, so zweige er noch heute ab.
Auch Handkes zweite Frau, Sophie Semin, zweigt immer wieder ab: „Ich war Juristin, hätte Rechtsanwältin sein können. Aber dann hatte ich eine neue Idee im Kopf“, erzählt die 1961 geborene Französin. „Mein Vater hatte eine Kleiderfabrik in Lothringen – und ich wollte mit ihm arbeiten.“
„Nur im Traum“
Semin besuchte das neue Institut Français de la Mode. „Aber danach bin ich doch nicht in die Fabrik meines Vaters gegangen, sondern zu Yohji Yamamoto.“ Sie war ab 1987 für die Kommunikation und Werbung in Europa zuständig. „Das war sehr schön. Und dann …“ Sophie Semin stockt, sucht sich die deutschen Worte zusammen. „Ich wollte vielleicht schon immer Schauspielerin sein, aber es war mir nicht bewusst. Denn in meinem Dorf in Lothringen fehlte mir die Vorstellungskraft dafür. Die Schauspielerei war zu weit weg von meiner Welt. Es gab sie nur im Traum. Aber nun wollte ich Schauspiel studieren.“
Und dann traf sie Handke. Das war 1990 in Paris. „Ich war mit einem Freund in einem Restaurant. Er kannte Luc Bondy, der mit Peter Handke und anderen da war. Nach dem Essen, für den Kaffee, setzten wir uns zu ihnen an den Tisch, und ich saß dann direkt neben Peter. Er sagte, dass er mich zwei Tage zuvor im Film gesehen hätte.“
„Das ist nicht möglich!“
Und zwar in der Doku „Yamamoto – Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten“ von Wim Wenders. „Ich dachte mir: Das ist nicht möglich! Denn ich tauche nur einen Moment auf.“ Am Ende – in einem Gruppenbild. „Aber Peter hat mich erkannt.“ Sophie Semin lacht auf. „Jetzt erzähle ich zu viel! Ich muss weg!“ Doch sie bleibt sitzen – und erzählt weiter: „Es war die Zeit der großen Defilees der Haute Couture. Ich lud Peter zu der Schau von Yohji Yamamoto am nächsten Tag ein. Und er kam tatsächlich.“
Handke, der im Sommer 1990 ein Haus in Chaville bei Paris erwarb, und sie wurden ein Paar: „Ich hatte ein schönes Angebot von Yves Saint Laurent. Aber ich wollte nicht länger in einem Büro arbeiten. Ich wusste, es gibt etwas anderes für mich. Zwei Jahre habe ich jedoch nichts gemacht. Nur ein Kind, Léocadie.“ Sophie Semin zwinkert. Eine Tochter zur Welt zur bringen, das ist ja nicht Nichts! „Und dann bat mich Peter, in seinem Film ,Die Abwesenheit‘ mitzuspielen – als Amateurin. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, mit Jeanne Moreau und Bruno Ganz zu spielen, aber ich sagte, ich würde es versuchen, wenn ich mich darauf vorbereiten könnte. Doch Peter wollte das nicht. Und so kam es, dass ich am ersten Tag der Dreharbeiten das erste Mal vor einer Kamera stand.“
Der Film, der zum Teil in Handkes Haus gedreht wurde, hatte seine Premiere im September 1992 bei den Filmfestspielen von Venedig. „Da habe ich mich zum ersten Mal auf einer Leinwand gesehen. Ich war nicht zufrieden mit meiner Leistung.“ Der Film war kein großer Erfolg – und sollte Handkes letzte Arbeit fürs Kino bleiben. „Aber die Dreharbeiten waren eine so schöne Zeit! Und ich hatte zum ersten Mal etwas nur für mich gemacht.“ Semin überlegte zwar, als Rechtsanwältin zu arbeiten: „Aber es hatte sich ein neues Gefühl in mir entwickelt. Und es verschwand nicht.“ Daher absolvierte sie von 1993 bis 1995 eine Schauspielausbildung in Paris. Ihr erstes Stück war „Nur eine Scheibe Brot“ von Rainer Werner Fassbinder im Théâtre de la Bastille.
Im Herbst 1995 heirateten Sophie Semin und Peter Handke. Seit 2001 wohnt sie allerdings nicht mehr in Chaville. Um mit Handke gemeinsam leben zu können, müsse man ein Schloss mit zwei Flügeln besitzen, sagte sie. „Aber man hat halt kein Schloss.“
Man kann googeln, dass Handke danach mit der Schauspielerin Katja Flint, Exfrau von Heiner Lauterbach, zusammen war. Doch zwischen den beiden Ereignissen gibt es, meint Sophie Semin, keinen Zusammenhang. Und es stimme nicht alles, was Biografen schreiben.
Mehr zu erfragen, schickt sich nicht. Sophie Semin erzählt dennoch, in Paris zu leben. Sie hätte viele Wanderungen mit Handke zu dessen „Niemandsbucht“ unternommen, aber jetzt ginge er lieber allein. „Und er kommt fast jeden Abend nach Paris. Es ist fast wie ein Ritual. Das heißt nicht, dass er zu mir kommt. Ich bin nicht Paris. Aber wir treffen uns immer wieder und immer noch.“
„Mantel der Mäntel“
Natürlich hat sie alle, fast alle Bücher von ihm gelesen. In der französischen Übersetzung, aber nun liest sie Handke auf Deutsch. Für sie ist „Die Wiederholung“, 1986 erschienen, besonders wichtig. „Denn es handelt von Peter und Slowenien. Ich kann mir so gut vorstellen, wie er als junger Mensch war.“
Ihr erstes Buch von Handke sei, erzählt sie, „Die Lehre der Sainte-Victoire“ aus 1980 gewesen: „Ich war im Sommer in Südfrankreich. Ich habe das Buch zufällig gelesen, bei Freunden, und konnte nicht mehr aufhören. Ich dachte mir damals: Ich würde so gerne mit diesem Mann wandern gehen – aber ich wusste damals gar nichts über Peter Handke.“
In dieser Erzählung steckt Handkes ganze Philosophie. Unter anderem wird von einer Freundin namens Dominique erzählt, die in Paris Kleider macht – und auf den „Mantel der Mäntel“ aus gewesen sei. In Handkes neuem Stück heißt es, dass Zdeněk Adamec die „Entdeckung der Entdeckungen“ gemacht und den „Zauberort aller Zauberorte“ gefunden habe.
Es gibt noch mehr Verbindungen zwischen den beiden Büchern. Denn in der „Lehre“ geht es auch darum, wie Paul Cézanne die Landschaft sah – und in „Zdeněk Adamec“ heißt es: „Wie tut das Sehen gut ohne den ewigen öden Scharfblick. (...) Mein’ Sach auf nichts gestellt!“ Doch das führt zu sehr in eine neue Abzweigung hinein.
„Es ist unglaublich“
Jedenfalls: Sophie Semin spielt in der Uraufführung von „Zdeněk Adamec“ – am 2. August bei den Salzburger Festspielen in der Regie von Friederike Heller – mit. „Peter wollte es“, sagt sie. „Es ist unglaublich, seine Sprache im Original zu sprechen. Ich war erstaunt, wie leicht es mir fiel, den Text zu lernen.“
Eine Gruppe von Personen beschäftigt sich erklärend und fragend mit jenem Mann, der sich in Flammen steckte. „Meine erste Arbeit mit Peter war ,Die Abwesenheit‘. Und nun sprechen wir über jemanden, der abwesend ist, weil er gestorben ist. Aber auf der Bühne ist es so, als sei er mitten unter uns.“
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