Am Montagnachmittag gab das Kuratorium der Salzburger Festspiele grünes Licht – für ein reduziertes Festival im August. Helga Rabl-Stadler, die unermüdliche Festspielpräsidentin, strahlt – hörbar selbst beim Telefoninterview.
KURIER: Respekt vor Ihrem Durchhaltevermögen! Wie haben Sie diese nervenaufreibenden Wochen überhaupt durchgestanden?
Helga Rabl-Stadler: Ich lebe ja allein – und habe mich die ersten fünf Wochen des Lockdowns auch nicht besuchen lassen. Zudem bin ich ein Gesellschaftsmensch. Trotzdem habe ich mich nie einsam gefühlt. Für mich war das Virus ein großer Schub vorwärts in Sachen IT und Social Media. Am Anfang wollte ich nicht glauben, dass Corona unsere Festspiele betreffen könnte. Ich war überzeugt, dass bereits die Pfingstfestspiele stattfinden würden.
Aber die Prognosen wurden laufend düsterer …
Daher beschlossen wir, uns bis 30. Mai Zeit zu lassen. Dafür wurden wir ja aus aller Welt kritisiert: „Eiern Sie nicht herum!“ Und ich antwortete: „Es ist kein Herumeiern! Es ist ein besonnenes Reagieren auf sich ständig ändernde Pandemie-Parameter!“ Ich war von dieser Vorgangsweise überzeugt – und konnte mein Team überzeugen. Natürlich: Unsere Zweifel wurden immer größer, da die Maßnahmen nicht und nicht gelockert wurden. Trotzdem haben wir uns konsequent der Frage gewidmet, was wir in diesem oder jenem Szenario realisieren könnten.
Als Minimalvariante wurde ein Lebenszeichen Mitte August angedacht.
Wir mussten feststellen, dass der Juli auf keinen Fall gehen wird, was mich programmatisch schmerzte, und konzentrierten uns auf den August. Nie zuvor haben Intendant Markus Hinterhäuser, Lukas Crepaz, der kaufmännische Direktor, und ich so viel miteinander telefoniert wie in dieser Zeit. Wir wussten: Wir müssen ein starkes Zeichen für die Kraft der Kunst in schwierigen Zeiten setzen. Denn das war ja die Philosophie unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkrieges. Ich sagte: „Ich würde mich bei einer Absage ob unseres Kleinmuts genieren – vor den Gründungsvätern und auch jenen, die 25 Jahre später, nach dem Zweiten Weltkrieg, aus Schutt und Asche das Festival wiederbelebten.“
Das zentrale Datum war für Sie der 22. August? Denn an jenem Tag des Jahres 1920 fand vor dem Domplatz die erste Salzburger „Jedermann“-Vorstellung statt.
Genau. Und wir dachten: Vielleicht bringen wir ein großes Konzert zusammen? Naheliegend war Beethovens Neunte. Je länger wir darüber redeten, desto größer wurde die Hoffnung, noch mehr realisieren zu können. Und wir hatten das Glück, dass uns Landeshauptmann Wilfried Haslauer sehr unterstützt hat.
Kein Wunder. Denn die Festspiele sind, wie Sie immer betonen, ein enormer Wirtschaftsmotor für das Land.
Das stimmt natürlich. Jedenfalls: Wir fassten die Zeit rund um Mariä Himmelfahrt, also Ferragosto, ins Auge. Und dann stellte sich heraus, dass es aufgrund der Lockerungen bereits ab 1. August viel einfacher werden könnte. Wir waren plötzlich in einer schwierigen Situation. Denn wir hatten uns bereits mit der Idee der zwei Wochen angefreundet: Das reicht in diesen unsicheren Zeiten! Aber dann sagten wir uns: Das ist unverantwortlich, wenn man die Chance hat, etwas Größeres zu machen. Die Künstler wollen ja spielen! Und wir bekamen unglaublich viele Zuschriften: „Bitte spielt!“ Wir erkannten, wie groß die Sehnsucht nach einem wirklichen Erlebnis – und nicht nur nach einem virtuellen – ist. Die Entscheidung, den ganzen August Programm zu machen, fiel aber erst vor zwei Wochen. Und nach der Zustimmung des Kuratoriums ist klar: Mit 31. Mai endet die Kurzarbeit, ab dann wird voll gearbeitet!
Wie war das, als die Bregenzer Festspiele am 15. Mai die Absage bekannt gaben? Sie verloren einen Mitstreiter.
Viel schwieriger war es Ende März, als Bayreuth abgesagt hat. Diese Entscheidung fand ich völlig falsch – und blieb beharrlich: „Wir sind Kraftbringer! Wir müssen bis zum Schluss kämpfen!“ Die Absage von Bregenz kann ich verstehen. Denn die Seebühne hat 7000 Plätze. Wenn die Vorstellung nur von 1000 oder 1.250 Menschen besucht werden darf, ist das wirtschaftlich unsinnig.
Kommen wir nochmals zu den Festspielen als Motor …
Ich kann mich noch gut erinnern: Die Wirte haben vor ein paar Jahren gejammert, dass niemand mehr essen gehe, weil die Opern so lang dauern. Franz Welser-Möst konterte: „Lasst die Festspiele einmal ausfallen, damit die Salzburger merken, was sie an ihnen haben!“ Dieser schreckliche Fall wäre heuer fast eingetreten. Das hat viele zur Besinnung gebracht. Egal ob Gemüsefrau oder Gastwirt: Alle beschworen mich, Festspiele zu machen. Denn die Touristen kommen, auch wenn sie in keine Vorstellung gehen, allein wegen der Festspielatmosphäre hierher.
Im Kuratorium sitzt daher auch der Tourismusverband. Hat er Druck ausgeübt?
Nein, das musste er gar nicht. Denn wir fühlen uns mitverantwortlich für die wirtschaftliche Situation.
Aber auch um den Preis, dass der Festspielbezirk zum Corona-Hotspot werden könnte? Ihr Publikum gehört zum Großteil zur Risikogruppe…
… wie auch die Präsidentin. Ich wirke immer so optimistisch und furchtlos. Aber natürlich sehe ich die Teufel, die in jedem Detail lauern. Wir gehen daher sehr sorgsam mit der Eigenverantwortung um, die uns und allen Veranstaltern nun von der Bundesregierung zugebilligt wird. Wir werden aber noch strengere Sicherheitsmaßstäbe anlegen, als es die Verordnung vorsieht. Konkret: Wir werden nicht nur alle Mitwirkenden testen lassen, sondern auch die Mitarbeiter, etwa die Maskenbildner. Und wir wollen nur Vorstellungen ansetzen, die keine Pause brauchen. Denn vor dem Buffet und dem WC kommt es gerne zu Schlangen.
Trotzdem: Im Saal könnte ein Infizierter sitzen, der, wie in Ischgl, viele ansteckt …
Wir sind in den letzten Wochen beinahe zu Virologen geworden – und versuchen, das Risiko zu minimieren. Wir wollen daher nur personalisierte Karten ausgeben. Wir verzichten auf das Mozarteum, denn dort sind die Gänge eng, und transferieren die Konzerte ins Haus für Mozart. Und so weiter. Aber: Anstecken kann man sich überall, auch im Restaurant. Es stimmt: Jeder Corona-Fall wäre einer zu viel. Wir brauchen daher auch Glück.
Sie müssen jetzt den Kartenverkauf rückabwickeln. Viele werden das eingezahlte Geld als Guthaben für 2021 stehen lassen. Aber wie schaffen Sie es budgetär? Sie bringen aufgrund der Abstandsregeln am Domplatz oder im Festspielhaus maximal die Hälfte der Zuschauer unter.
Wir haben 180.000 Karten um 24,5 Millionen Euro verkauft. Anbieten können wir jetzt wohl nur 65.000 Karten. Und die Einnahmen fallen aufgrund der neuen Bestuhlung geringer aus. Aber auch wenn das Angebot reduziert werden muss, bleibt die Subvention bei 16,8 Millionen Euro. Und wir dürfen die zwei Millionen verbrauchen, die wir fürs Jubiläumsjahr bekommen haben.
Also: Der Eigendeckungsgrad sinkt , aber es kommt zu keinem Finanzkollaps?
Richtig. Der Schaden durch Corona beläuft sich auf 15 Millionen Euro. Weil wir ja auch Pfingsten absagen mussten. Es wird beinhart werden. Aber ich bin zuversichtlich.
Sie sagten, dass jeder, der Karten hat, beim neuen Verkauf bevorzugt behandelt wird. Gäste aus Übersee werden ausbleiben. Wie soll sich das trotzdem ausgehen?
Wir können das noch nicht einschätzen. Wenn wirklich alle, die interessiert sind, kommen, werden die Karten nicht reichen. Notfalls müssen wir sie verlosen.
Hinterhäuser wird das modifizierte Programm erst Anfang Juni vorstellen. Klar ist, dass es keine großen Musiktheaterproduktionen geben wird, weder „Don Giovanni“ noch „Intolleranza 1960“. Und der „Jedermann“-Tag?
Wir hatten am 22. August ein Fest mit zigtausend Menschen in der ganzen Stadt vor, die unter anderem an „Jedermann“-Tafeln sitzen: Auch das ist natürlich unmöglich.
Hat die Handke-Uraufführung Realisierungschancen?
Chancen hat sie.
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