Auf dem Weg zum Eingang des Salzburg Museums in der Neuen Residenz schreitet man durch den Innenhof über einen roten Teppich. Promis waren ja schon immer das Salz in der Festspielsuppe. Und sogleich steht der Besucher vor der ersten Installation. Sie schafft den Brückenschlag ins Heute. Denn sie besteht aus der originalgetreu gezimmerten Holzbühne des Jahres 1920, auf deren Pläne man bei den Recherchen im Archiv der Festspiele gestoßen war, und Zitaten der aktuellen Produktion, den Metallbögen und dem flatternden Vorhang. Hier kann auch jederfrau Jedermann sein.
Auf die ursprüngliche Situation stößt man gleich noch einmal: Ein historisches Foto, das die gesamte Szenerie samt Publikum – natürlich bei Jedermanns Fest – zeigt, bildet, raumfüllend aufgeblasen, die begehbare Kulisse für die Präsentation einer 15-minütigen ORF-Doku von Werner Horvath über die Salzburger Festspiele. Man sitzt, wie einst, auf weißen Holzsesseln und bekommt im Schnelllauf die Geschichte erzählt – von Max Reinhardt über Herbert von Karajan, der sich gesamtkunstmäßig im Großen Festspielhaus austobte, bis zum Erneuerer Gerard Mortier.
Man darf sich auch amüsieren – etwa über den „Notlichtskandal“ oder den „Fliegenkrieg“. Sie verweisen auf die komplizierte Geschichte mit Thomas Bernhard. Die Festspiele hatten bereits 1965 bei ihm ein Stück in Auftrag gegeben, verzichteten aber auf die Uraufführung, weil man dem Publikum den Anblick von beinamputierten Krüppeln in „Ein Fest für Boris“ nicht zumuten wollte.
1972 hob Claus Peymann „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ aus der Taufe; das Stück musste aber nach der Premiere abgesetzt werden: Die Feuerwehr hatte verboten, das Publikum zwei Minuten ohne Notlichtbeleuchtung in der Finsternis sitzen zu lassen. Bernhard schnaubte. Und so kam es erst 1985 zur nächsten Uraufführung. Peymann hatte allerdings auf die Mitwirkung von 700 bis 800 Fliegen in „Der Theatermacher“ zu verzichten ...
Auf all das und viel mehr stößt man in der zum Schaudepot umgestalteten, vom Logo dominierten Max-Gandolph-Bibliothek: Margarethe Lasinger, die Leiterin des Festspielarchivs, zeigt 100 sprechende Objekte. Sie tat es Peter Greenaway gleich: 1992 hatte der Filmemacher auf Einladung der Akademie der bildenden Künste in Wien „100 Objects To Represent The World“ in Szene gesetzt.
Von 1920 bis inklusive 2020 müssten es an sich 101 Gegenstände sein. Aber 1924 gab es aus Geldmangel keine Festspiele: Die Glasvitrine bleibt leer. Ein Telegramm von Arturo Toscanini steht für das Jahr 1938: Er wundere sich, dass man „die Endgültigkeit meiner Entscheidung“ (aufgrund der NS-Machthaber in Österreich abzusagen) nicht verstanden hätte. Und für das Jahr 1944 – aufgrund des Zweiten Weltkriegs gab es bloß die Generalprobe der Richard-Strauss-Oper „Die Liebe der Danae“ – fand Lasinger eine schöne Metapher: einen schwarzen Stoffballen.
Zu sehen sind weiters das „Jedermann“-Regiebuch von Reinhardt, das bezaubernde, rote Kleid von Anna Netrebko für „La traviata“ und das Fahrrad, mit dem Miriam Fussenegger als Buhlschaft auf die „Jedermann“-Bühne fuhr – der damalige Intendant Sven-Eric Bechtolf schrieb darüber betört sogar ein Gedicht. Auch die Aufregung, die George Tabori 1987 mit seiner Inszenierung von „Das Buch mit sieben Siegeln“ in der Kollegienkirche auslöste, fehlt nicht: Der Klerus übte Zensur und verbot weitere szenische Vorstellungen.
Allein dieser Archivraum fesselt für Stunden. Doch Martin Hochleitner, der Direktor des Salzburg Museums, hat in Zusammenarbeit mit den Werkstätten der Festspiele einen faszinierenden Parcours aus begehbaren Bühnenbildern angelegt. Es gibt u. a. ein „Foyer“ mit Zahlen, Daten, Fakten. Im Untergeschoß wurde die Felsenreitschule nachgebaut: mit Kostümen aus legendären Produktionen in den Arkaden – und mit dem roten Vorhang des Großen Festspielhauses, den Mortier als Zeichen hatte abnehmen lassen.
Tatsächlich bleibt kein Aspekt unbeleuchtet – nicht einmal das schwierige Thema Tracht und Konservativismus. Die Vielfältigkeit der Zugänge ergibt sich auch aufgrund der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und zeitgenössischen Künstlern, darunter Eva Schlegel, Lionel Favre, John Bock und ganz besonders Yinka Shonibare: Er verknüpft in seiner Skulptur den Papageno aus Mozarts „Zauberflöte“ mit einer Kritik am Kolonialismus – und lässt die in den Käfigen gefangenen Vögel wieder frei.
Für die berührendste Installation sorgt das Jüdische Museum Wien: Es ließ den Blick nachbauen, den Reinhardt von Schloss Leopoldskron auf den Untersberg hatte. Nach dem Durchschreiten des kitschigen Wandelgangs stößt man auf die Realität: Rechter Hand wird die NS-Zeit behandelt, die Reinhardt bereits im Herbst 1937, ein halbes Jahr vor dem „Anschluss“, in die USA emigrieren ließ. Und linker Hand sieht man Fotos des Mausoleums, in dem Reinhardt begraben liegt. Dort hängt ein Glasmosaik. Es zeigt genau den Blick auf den Untersberg.
Die Schau ist ab Sonntag bis 31.10.2021 zu sehen. Sie sollte aber als permanente Einrichtung erhalten bleiben!
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