Robert Dornhelm: "Hollywood wird immer mehr zur Industrie"
von Gabriele Flossmann
Robert Dornhelm – der Österreicher mit Hollywoodkarriere – ist, soviel ist gewiss, viel unterwegs. Derzeit pendelt er vor allem zwischen Budapest und Wien – den Schauplätzen seiner aktuellen Filme, wie etwa den drei neuesten Folgen der Krimi-Serie „Vienna Blood“ mit Matthew Beard und Juergen Maurer (ab 30. Dezember in ORF2 zu sehen) und der Historien-Serie „Rise of the Raven“ über den mittelalterlichen Heerführer János Hunyadi, die gerade in Ungarn entsteht.
Eine der nächsten Reisen führt ihn wieder nach Kalifornien, wo er mit Familie und Freunden die Feiertage verbringen will. Dort möchte er vor allem dem Rummel rund um seinen 75. Geburtstag entkommen. Die Tage und Wochen in seinem Haus in Malibu sind möglicherweise schon gezählt – hat er doch für die nächsten Jahre seines überaktiven Lebens neue Bleibe gesucht – und vielleicht auch schon gefunden. In Wien.
Anlass für seinen aktuellen Wien-Aufenthalt ist allerdings die Vorstellung der neuen Staffel von „Vienna Blood“. Die international erfolgreiche Psycho-Thriller-Reihe spielt in der einstigen Metropole der Donaumonarchie und ist eine Gemeinschaftsproduktion von ORF, ZDF, der MR-Film und der britischen Produktionsfirma Red Arrow. Sie spielt in der Zeit des Fin de Siècle. Kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert, als Sigmund Freud seine revolutionären Erkenntnisse der Psychoanalyse verkündete.
Im Mittelpunkt von „Vienna Blood“ steht Max Liebermann – ein (fiktiver) Schüler von Sigmund Freud, der bekannt ist für seinen kühlen Verstand und für seine unkonventionellen Methoden der Mordaufklärung. Gemeinsam mit dem Wiener Polizeiinspektor Oskar Reinhardt bildet er auch in den neuen drei Folgen der Krimi-Serie ein außergewöhnliches Ermittlerduo. Wieder ist es der britische Schauspieler Matthew Beard, der den Psychiater Max Liebermann spielt – und an seiner Seite agiert wieder Jürgen Maurer als Oskar Rheinhardt.
Stimmige Ausstattung, authentische Kostüme, aufwändige Szenen und jede Menge „Suspense“. Das ist die erfolgversprechende Mixtur, für die Robert Dornhelm zu sorgen weiß. Seine für den ORF gedrehten Filmen wie „Maria Theresia“, „Das Sacher“ oder „Kronprinz Rudolf“ wurden zu Publikumshits. Trotzdem will Dornhelm nicht als Spezialist für die filmische Wiederauferstehung einer großen Vergangenheit mit Starbesetzung gesehen werden. Obwohl er – was die Starbesetzung betrifft – auch in Filmmetropole Los Angeles mit großen Namen arbeitete. Darunter Jeff Bridges, Dennis Hopper, Keith Carradine, Tom Waits, Tom Hulce und Lauren Bacall. Dabei war für den gebürtigen Rumänen, der als 13-Jähriger mit seinen Eltern auf der Flucht vor dem Ceausescu-Regimes nach Wien kam, die internationale Filmkarriere alles andere als vorgezeichnet.
Sein Studium an der Filmakademie brach er ab und arbeitete stattdessen als Cutter – unter anderem beim ORF. Als er 1977 für sein Dokumentarfilm-Debüt „Kinder der Theaterstraße“ Grace Kelly – damals bereits Fürstin Gracia Patricia von Monaco – als Erzählerin gewinnen konnte, begann Dornhelms Aufstieg in der internationalen Filmwelt. Die Doku wurde für einen Oscar nominiert. Einen Emmy gewann er 2001 für die TV-Serie „Anne Frank“, Oscar-Preisträger Ben Kingsley spielte darin den Vater der Titelheldin. Davor drehte Dornhelm auch Kinofilme, darunter zwei nach Drehbüchern seines Freundes Michael Köhlmeier: „Requiem für Dominik“ (1991) und die märchenhafte Gesellschaftssatire "Der Unfisch" (1997) mit Maria Schrader. (Deren US-Regiedebüt „She Said“ übrigens gerade in den österreichischen Kinos zu sehen ist). Am 17. Dezember feiert Dornhelm seinen 75er. ORF2 zeigt aus diesem Anlass heute (Montag, 23.30 Uhr) in der Reihe „Orte der Kindheit“ ein Porträt des Regisseurs.
KURIER: Sie haben einmal gesagt, dass Sie das Kriminalfilm-Genre kaum interessiert. Wie kommt es, dass Sie nun schon eine ganze Reihe von Folgen der erfolgreichen Serie „Vienna Blood“ gemacht haben?
Robert Dornhelm: Vor der ersten Folge hatte ich ein Streitgespräch mit dem englischen Produzenten, der meinte: Sie wissen, dass wir von Ihnen eine klassische "Who’s done it"-Story wollen, bei der es also nur darum geht, dem Täter auf die Spur zu kommen. Daraufhin wollte ich aus dem Projekt gleich wieder aussteigen, weil es mich Null interessiert, WER etwas getan hat – mir geht es immer um das WARUM. Mit Hilfe der Psychoanalyse kann man die Charaktere der Mörder und ihrer Opfer deuten – und das ist viel interessanter als eines der klassischen Kriminalrätsel. Ich habe beim Lesen des ersten Drehbuchs gleich an „Der Fremde“ von Albert Camus gedacht. In diesem Roman zündet sich der Protagonist beim Begräbnis seiner Mutter eine Zigarette an. Er wird aufgrund dieser Geste psychologisch als „gefühlskalt“ diagnostiziert. Mit solchen Beobachtungen zu spielen, hat mich interessiert. Und da einer der Ermittler ein Psychiater ist, schien es mir logisch, diesen Aspekt der Mordaufklärung in den Fokus zu rücken. Darum geht es ja auch dem Autor der Krimi-Reihe, Frank Tallis. Und schließlich konnte ich mich auch mit den englischen Koproduzenten einigen. Die österreichische Seite – also in erster Linie der ORF war ohnehin immer für psychologische Lesart der Liebermann-Krimis.
Die Liebermann-Krimis spielen im Wien der Jahrhundertwende. Ist das eine Epoche, die Sie besonders interessiert?
Ich habe die Romane von Frank Tallis gelesen, der selbst Psychiater und Freud-Experte ist, und ich war und bin fasziniert von seiner Schilderung der damaligen Atmosphäre Wiens. Tallis beschreibt Wien als Hotspot der Psychoanalyse, der Wissenschaft und der modernen Kunst, in dem man aber auch sehr deutlich die wachsenden Tendenzen zu Faschismus, Nationalismus und Antisemitismus erkennen konnte. Mich fasziniert am Liebermann-Stoff aber auch die Tatsache, dass er in der Vergangenheit spielt, sich aber sehr modern mit Bezügen zu heute erzählen lässt.
Mit Freud hat sich in der Rechtsprechung – und damit auch in der Kriminalliteratur – die Erkenntnis durchgesetzt, dass Täter in irgendeiner Weise oft selbst Opfer der Gesellschaft sind. Dass sie daher für ihre Verbrechen nicht immer voll verantwortlich sind. Ist das auch ein Aspekt, den Sie thematisieren?
Ja, unbedingt! Das war immer schon ein Bestreben meiner Filme, dass ich nicht mit erhobenem Finger auf „die Bösen“ und deren Untaten zeigen, sondern die gesellschaftlichen Ursachen für seelische Abgründe erforschen will. Das entspricht auch meinem Glauben an die Besserungsfähigkeit von Menschen. Ein Glaube, der allerdings angesichts der rechtspopulistischen Tendenzen auf der Welt und auch hierzulande, ziemlich auf die Probe gestellt wird. Überhaupt interessieren mich mehr die Graubereiche der menschlichen Charaktere. Ich habe die Welt nie schwarz-weiß gesehen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich in letzter Zeit bisweilen in ein But-Böse-Denken verfalle - besonders in der heutigen Zeit. Aber mein Hauptprinzip im Leben war immer so, dass wir das Böse in uns selbst zu unterdrücken sollen und das zu fördern, was uns zu besseren Menschen machen könnte. Das versuche ich auch in meiner Filmarbeit das auszudrücken Möglichst ohne moralischen Zeigefinger.
Nach einer erfolgreichen Hollywood-Karriere drehen Sie immer mehr in Europa. Fehlt Ihnen bei den zunehmend computergenerierten Special-Effects-Filmen der amerikanischen Produktionen der menschliche Aspekt?
Hollywood wird immer mehr zur Industrie. Es werden Filme produziert, die der Jugend wie Fast Food verfüttert werden. Bevor sie weltweit in die Kinos kommen, gibt es Test-Screenings und je nach dem Ergebnis dieser Publikumsbefragung werden die Filme verändert, egal ob das den Regisseuren gefällt oder nicht. Mit dem klassischen Hollywood, wie es Filmemacher wie Billy Wilder, Fritz Lang oder Fred Zinnemann kannten – um die einst sehr erfolgreichen Österreicher in diesem Business zu nennen –, hat das nichts mehr zu tun. Und mit dem europäischen Autorenfilm schon gar nicht. Obwohl es auch in Amerika eine Independent-Szene gibt, die sehr interessante Filme hervorbringt.
Sie haben mit Dokumentarfilmen begonnen, wo es keine Kostüme, kein Make-up, keine Set-Bauten gibt, und jetzt sind Sie zum Spezialisten für aufwendige Historienfilme geworden.
Bis heute erschrecke ich, wenn ich zu meinem eigenen Set komme und dort eine Reihe riesiger Trucks und ein paar hundert Leute sehe, die dort herumrennen, um die Dreharbeiten vorzubereiten. Eben weil ich vom Dokumentarfilm komme, versuche ich mit möglichst vielen Menschen am Set eine menschliche Beziehung aufzubauen. Das ist oft auch anstrengend, aber immer lohnend. Schlimm sind für mich die Szenen, die ich gerade für die Hunyadi-Serie ("Rise of the Raven", Anm.) drehe. In denen geht es um den Krieg zwischen Europa und dem osmanischen Reich. In einer Zeit, in der man im Fernsehen die Grausamkeiten des Krieges von Russland gegen die Ukraine sieht, fällt es mir schwer, Kampfhandlungen zu inszenieren – auch wenn sie im Mittelalter spielen. Bei meiner Verfilmung von „Krieg und Frieden“ (2007, Anm.) ist es mir ähnlich gegangen. Die Wahl der Waffen hat sich mit den Jahren und Jahrhunderten verändert – aber das menschliche Leid ist gleichgeblieben.
Sie betonen, dass es Ihnen auch bei Historienfilmen immer um die Bezüge zur heutigen Zeit geht. Worin sehen Sie diese beim Stoff zu „Rise of the Raven“ über den mittelalterlichen Heerführer János Hunyadi?
Die liegen auf der Hand, weil ja Hunyadi wegen seiner Kämpfe gegen die Osmanen als Retter eines christlichen Europas gilt. Man sieht das schon bei den Flüchtlingsströmen, die nach Europa kommen. Die Ukrainer werden hier – übrigens auch in Ungarn – mit offenen Armen aufgenommen. Weil sie aus einem christlichen Kulturraum kommen. Wenn Syrer oder Afghanen über verzweifelte Mittelmeer-Routen bei uns landen wollen, würde man sie am liebsten gleich wieder davonjagen. Die Angst der Europäer vor der Islamisierung ist auf jeden Fall eine der Parallelen zwischen dem Mittelalter und der heutigen Zeit. Die Angst, dass die Spitze des Stephansdoms nicht mehr von einem Kreuz geziert wird, sondern von einem Halbmond. Ich verstehe, dass viele hier Angst haben, dass die christliche Werte verschwinden, aber da fallen mir auch etliche sogenannte echte Österreicher ein, die mit Werten – ob sie nun christlich sind, oder nicht – nicht mehr viel am Hut zu haben scheinen.
Teilen Sie die Sorge mancher Medien, dass die Tatsache, dass die Hunyadi-Serie in Ungarn gedreht wird, dazu führen könnte, dass sie eine rechte, beziehungsweise Orbán-gerechte Schlagseite bekommen könnte?
Ich verstehe diese Sorge, weil ja die ungarische Regierung nicht unbeträchtliche Geldmittel für diese Serie zur Verfügung gestellt hat. Aber ich bin überzeugt, dass – solange ich die Regie habe und solange ich von meinen fünf Folgen für die Endfassung verantwortlich bin –, diese Sorge unbegründet ist und bleibt.
Sie sind dabei, sich einen neuen Wohnsitz in Wien einzurichten. Verspüren Sie so etwas wie eine Österreich- oder Europa-Nostalgie?
Der Grund für meine Rückkehr nach Österreich lässt sich schnell auf den Punkt bringen: Es gibt hier offenbar mehr Filmstoffe, die mich wollen und die ich will. Ansonsten habe ich lange Zeit recht gern in Kalifornien gelebt – aber seit Donald Trump ist das anders. Allerdings ist die Zunahme des Rechtspopulismus in Europa – und Österreich – auch besorgniserregend. Aber natürlich ist meine Beziehung zu diesem Land sehr groß und ich habe auch viele Freunde hier. Daher werde ich auch in Zukunft viel Zeit – vielleicht sogar mehr als bisher – hier verbringen.
Gibt es ein Wunschprojekt, das Sie im Laufe Ihrer Karriere nicht verwirklichen konnten?
Es gibt ein vierzig Jahre altes Projekt, dessen Verwirklichung mir bis heute nicht gelungen ist. Mit Richard O’Brien hatte ich – gleich nach dem durchschlagenden Erfolg seiner „Rocky Horror Picture Show“ – zwei Drehbücher entwickelt. Eines davon war ein Musical über den Sänger Blondel – jenen Minnesänger, der mit einem Lied den verschollenen König Richard Löwenherz aufgespürt hat, als er in der Burg Dürnstein gefangen war. Mithilfe von Richard O’Brien hatte ich schon eine Reihe von Rockstars kontaktiert, die zusagten, bei diesem Projekt mitzumachen.
Können Sie einige der Namen nennen?
Das waren Cher, die eine Vampirin spielen wollte, zwei der Rolling Stones haben zugesagt, einer der Beatles und Demis Roussos hätte dem Riesen gespielt. An die Liedtexte, die Richard O’Brien damals geschrieben hat, kann ich mich heute noch erinnern …
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