Wie sind Sie bei Plan B, der Produktionsfirma von Brad PItt gelandet?
Eines dieser Gespräche, die ich im Frühsommer 2020 geführt habe, war mit Dede Gardner, der Präsidentin von Plan B. Ich wusste, was das für eine Firma ist. Damit meine ich gar nicht nur unbedingt Brad Pitt (dem die Firma gehört, Anm.), sondern vor allem die tollen Filme, die von Plan B produziert wurden wie „The Big Short“, „12 Years a Slave“ oder „Moonlight“. Zudem ist Dede Gardner die einzige weibliche Produzentin, die zwei Oscar gewonnen hat. Es ist einfach eine interessante, starke Firma. Brad Pitt bin ich aber nicht einmal begegnet.
Haben Sie ein fertiges Drehbuch vorgefunden, oder konnten Sie Ihre eigenen Ideen einfließen lassen?
Das Besondere an „She Said“ war, dass wir das Projekt all den betroffenen Personen gegenüber geöffnet haben. Die Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey haben aktiv Einfluss auf das Drehbuch genommen, Szenen im Detail nacherzählt – auch aus ihrem eigenen Privatleben. Wir hatten Zugang zu einigen Interviews, die mit betroffenen Personen – Männern und Frauen – geführt worden sind. Es ist also ein sehr vielstimmiges Projekt, was ich sehr gut finde. Bei so einem Projekt ist es in meinen Augen zwangsläufig, den Opfern Mitsprache zu geben, wie wir ihre Erlebnisse erzählen. Nachdem sie von Hollywood so schlecht behandelt und dann zum Schweigen gebracht wurden, kehren sie jetzt anders nach Hollywood zurück: Als diejenigen, die jetzt eine Stimme haben.
Sie wussten im Vorfeld natürlich schon sehr viel über den Fall Weinstein. Gab es Details oder Aspekte, die Sie trotzdem überrascht haben?
Ich war damals schon schockiert, als ich den Artikel von Megan Twohey und Jodi Kantor erstmals gelesen habe – über das Ausmaß des Missbrauchs und wie lange das ging. Gleichzeitig war ich auch nicht komplett überrascht. Während der Arbeit an dem Film habe ich Dinge erfahren, die ich so nicht wusste, beispielsweise die bestürzenden Details über die Verschwiegenheitsvereinbarungen (die Opfer erhielten Geld für ihr Schweigen, Anm.), die die Frauen eingingen, nachdem sie von Weinstein missbraucht worden sind. Und mir war nicht klar, was genau dieses Abkommen eigentlich bedeutete und in welche Isolation die betroffenen Personen dadurch geschickt wurden. Dass das legal ist und bis heute praktiziert wird, finde ich skandalös. Wir bekommen im Verlauf der Geschichte gemeinsam mit Jodi und Megan den Verdacht, dass es – auch unabhängig von Weinstein und seiner spezifischen Firma – gesellschaftliche Strukturen gibt, die in so einem Fall eher die Täter schützt, als den Menschen hilft, sich gegen sie zu wehren. Missbrauch ist natürlich ein großes und Jahrhunderte altes Thema.
Sie selbst verzichten auf explizite Gewaltszenen. Wie zeigt man sexuelle Übergriffe im Kino?
Ich selbst bin nicht daran interessiert, weitere Vergewaltigungsszenen in die Welt zu bringen. Ich denke, es gibt genug. Ich wüsste auch nicht, was ich durch Gewaltszenen Neues oder Interessantes erzählen könnte. Und dann würde ich den Vorgang, dass Frauen zu Opfern gemacht würden, im Film nur wiederholen. Ich finde es viel außergewöhnlicher, den Weg zu gehen, den wir gewählt haben: Dass betroffene Personen Jahrzehnte später, nachdem ihnen Gewalt widerfahren ist, ihre Erfahrungen mit eigenen Worten beschreiben und dadurch auch reflektieren können. Ich gehe natürlich auch davon aus, dass es anderen Menschen so geht wie mir: Dass, während man diese Erzählungen hört, im Kopf der Zuseher und Zuseherinnen eigene Bilder entstehen. Und die sind individuell und nähren sich unter Umständen von eigenen, persönlichen Erfahrungen. Und darum geht es ja auch im Kern von „She Said“: Dass Harvey Weinstein eine Repräsentationsfigur für etwas geworden ist, das überall auf der Welt, in unterschiedlichen Arbeits- oder Abhängigkeitsverhältnissen passiert ist, und immer noch passiert. Machtmissbrauch hat viele unterschiedliche Gesichter und ist sicher nicht auf die Filmindustrie beschränkt.
Harvey Weinstein hat nur einen einzigen Auftritt, bei dem man sein Gesicht nicht sieht. War diese Entscheidung von Anfang an klar?
Es war von Anfang an klar, dass Jodi und Megan unsere Hauptfiguren sind und wir aus ihrer Perspektive erzählen. Und dass wir von Harvey Weinstein so viel sehen, wie sie von ihm gesehen haben. Klar, am Schluss gibt es seinen überraschenden Besuch bei der New York Times, wo er mit seiner Delegation auftaucht und versucht, den Artikel zu verhindern. Zu diesem Zeitpunkt ist sowohl den Journalistinnen als auch uns, dem Publikum, klar, dass er diese Macht nicht mehr hat. Der Artikel wird veröffentlicht. Ich empfinde es als konsequent und auch viel interessanter, in dieser besonderen Szene das Gesicht von Megan Twohey bei der Gegenüberstellung zu beobachten als Weinstein eine Großaufnahme zu geben.
In „She Said“ passiert dank des Handys unglaublich viel Recherchearbeit auf belebten Straßen: Die Öffentlichkeit wird zum Büro.
Zumindest in meinem Beruf kenne ich das gut, dass man die Arbeit nicht im Büro lässt, sondern wichtige Anrufe auf dem Nachhauseweg, an der roten Ampel entgegennimmt. Im Fall des entscheidenden Anrufs von Gwyneth Paltrow war das so. Die Journalistinnen sind einfach 24 Stunden erreichbar – im häuslichen Bereich oder auch nachts. Das führt zu einer interessanten Kollision zwischen dem persönlichem und dem privaten Raum. Ich selbst habe das Buch von den beiden Journalistinnen atemlos gelesen. Es ist ein Thriller, auch wenn wir den Ausgang der Geschichte kennen.
Sie konnten in den Büroräumen der New York Times drehen?
Ja. Wir haben während des Lockdowns gedreht. Die Reporter waren im Homeoffice und wir konnten mit Hunderten von Statisten dort drehen. Ich hatte die Möglichkeit, nicht nur die beiden Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey mehrfach zu sprechen, sondern auch mit ihren Editoren Rebecca Corbett und Matt Purdy und Chefredakteur Dean Baquet, die ebenfalls im Film vorkommen. Und was beispielsweise Dean Baquet angeht: Er ist ein Mann im ungefähr gleichen Alter wie Harvey Weinstein, er steht ebenfalls an der Spitze einer Hierarchie, aber er bekleidet diese Machtposition vollkommen anders als Weinstein. Es ist schön und komplex, dass ich die Möglichkeit hatte, einen Mann in mächtiger Position zu porträtieren, der nicht Angst und Schrecken verbreitet, dem es darum geht, Transparenz und Teamgedanken zu stärken und die Angestellten mit Respekt zu behandeln. Ich habe überhaupt kein Interesse an Generalisierung und zu behaupten: Männer sind immer so, und Frauen sind immer so. Das ist alles Quatsch.
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