Regisseur Peymann zum Burgtheater: "Schlimmer als jede Viruserkrankung“
Claus Peymann ist zurück: Für den Saisonauftakt des Theaters in der Josefstadt inszeniert er „Der deutsche Mittagstisch“ und andere Dramolette von Thomas Bernhard. Der Autor, mit dem Peymann die größten Triumphe feierte, findet statt dem Haar immer einen Nazi in der Suppe.
Im ersten Facetime-Interview seines Lebens erzählt der längst legendäre Burgtheaterdirektor (1986 bis 1999), der unter anderem Peter Handke zum Popstar machte, über seine schwere Krankheit, die er im Vorjahr nur knapp überlebte, und seine Quarantäne während der Corona-Epidemie in Köpenick. Und wenn er die politische Situation in Österreich analysiert, wird der „Piefke“, 1937 in Bremen geboren, zum gewitzten Stand-up-Comedian: Jede seiner verbalen Watschen mündet in einer Pointe.
KURIER: Anfang 2019 inszenierten Sie in Wien „Die Stühle“ von Eugène Ionesco. Leider konnte man Ihnen am 13. März im Akademietheater nicht applaudieren. Denn Sie waren schwer erkrankt, Leander Haußmann musste kurzfristig einspringen …
Claus Peymann: Ich war quasi die Corona-Avantgarde. Ich hatte keine Grippe, wie das manchmal behauptet wurde, sondern einen Virus eingefangen, der leider bis in den Kopf wanderte. Früher sagte man Gehirnhautentzündung. Ich verbrachte fast ein Jahr im schönen AKH, und dann wurde ich nach Berlin in eine Reha-Klinik geflogen.
Ist es richtig, dass Sie im künstlichen Tiefschlaf lagen?
Ich glaube schon. Aber ich weiß nichts mehr. Die Ärzte klärten jedenfalls Jutta Ferbers, meine Lebensgefährtin, auf, die an meinem Bett Nachtwache gehalten hat: „Sie müssen damit rechnen, dass Ihr lieber Peymann, wenn wir jetzt dieses oder jenes machen, eingeschränkt, möglicherweise ohne Sprachvermögen, zurückkommt.“ Und sie sagten auch: „Die Erkrankung ist derart schlimm, dass nur einer von fünf Patienten überlebt.“ Und das war tatsächlich ich. Das kann auch nur der Peymann sein. Ich überlebe ja alles.
Die Burgtheater-Schauspieler sollen an Ihrem Bett gesessen und rezitiert haben.
Man drängte sich richtig in die Intensivstation. Man war neugierig: Gibt es was Neues beim Peymann? Es gab Lesungen, Violinkonzerte, A-cappella-Chöre. Also, das war schon sehr schön. Obwohl ich alle Besuche gestoppt habe. Soweit ich es konnte!
Haben Sie die fertige Inszenierung der „Stühle“ überhaupt sehen können?
Nein, ich weiß nicht, was der Haußmann da angerichtet hat. Aber alle sind unglaublich begeistert. Im Herbst, wenn ich im Theater in der Josefstadt inszeniere, werd’ ich einmal inkognito gucken, was die da so treiben.
Maria Happel und Michael Maertens schleppen Stühle auf die Bühne. Wie weit waren Sie eigentlich mit Ihrer Umsetzung gekommen?
Das Grundkonzept stand natürlich, es fehlten nur die letzten zehn Seiten. Zum Schluss tritt die Mavie Hörbiger auf. Ich hab’ sie zwar besetzt, aber mit ihr gar nicht proben können. Jutta Ferbers (auch Peymanns langjährige Dramaturgin, Anm.) wusste ja, wohin die Reise geht. Also: Die Zuschauer sehen einen original Peymann!
Genau ein Jahr nach der Premiere brach in Europa die Pandemie aus. Sie blieben strikt in Quarantäne?
Natürlich! Mit 83 fängt ja die Höchstrisikogruppe an. Dass Queen Elizabeth mit ihren 96 noch am Leben ist, ist ja nur Zufall. Für den „Deutschen Mittagstisch“ arbeite ich mit dem Bühnenbildner Achim Freyer zusammen. Er ist 86. Wir dürften eigentlich gar nicht auf die Straße gehen.
Zu Hause bleiben: Können Sie das überhaupt?
Ich lebe in einem sehr schönen Haus in Köpenick mit einem Riesengarten. Die Rosen blühen, die Lupinen wissen gar nicht, wohin mit ihrer Energie: Die Hitze und der viele Regen der letzten Tage hat richtig zu einer Explosion geführt. Die Quarantäne war ein Vergnügen, Jutta kocht gut. Ich hab‘ das Haus nur zwei, dreimal verlassen. Zum Beispiel, um mit Achim Freyer in dessen Haus zu arbeiten. Um nun gehe im Wald spazieren oder setze mich im Seebad ins Kaffeehaus. Aber ich passe ordentlich auf.
Herbert Föttinger, der Direktor, meinte, Sie würden bereits an der Tür der Josefstadt scharren, weil Sie zu proben beginnen wollen.
Ja, ich bin gut drauf. Der Föttinger ist es aber auch. Er war der Einzige der nennenswerten Wiener Theaterleute, der es gewagt hatte, diese Zensur durch Gesundheitsbehörde und Bundeskanzleramt zu kritisieren. Indem er sagte: „Stopp! Wir bestimmen, wie Theater funktioniert – und nicht ihr!“ Man hatte das Gefühl, dass die Verordnungen von drittklassigen Beamten erlassen wurden, die keine Ahnung haben. Sie sind absurd und abwegig! Föttinger führt eine sehr erfolgreiche Bühne, die aber natürlich total auf die Einnahmen angewiesen ist. Es darf daher nicht Realität werden, was von diesen Totschlägern der Oper, des Schauspiels und der Musik gefordert wurde. Denn die Einnahmenverluste wären enorm. Hinzu kommt, dass die Krise und die Angst vor einer Ansteckung, die sich ja längst zu einer speziellen Infektion der Seelen erweitert hat, benutzt wurde – wer weiß mit welchen auch bösen Absichten.
Sie sind ja auch Zuschauer. Würden Sie sich jetzt angstfrei ins Theater setzen?
Ich war schon immer todesmutig. Ich bin ja auch freiwillig nach Wien ans Burgtheater gegangen. Das war schlimmer als jede Viruserkrankung! Wer freiwillig ans Burgtheater geht, hat entweder nicht alle Tassen im Schrank – oder er ist tollkühn. Ich war tollkühn. Aber es war eine herrliche Zeit! Auch weil sie so gefährlich war.
Warum denn?
Es war ein Kampf gegen die Konventionen am Burgtheater, gegen einen bestimmten Schauspielstil, gegen einen gewissen Zuschauertypus. Das war definitiv gefährlicher, als von Ansteckung bedroht in einem Saal zu sitzen! Denn die tödliche Grippe lauerte damals im Parkett! Was ich damals, 1988, anlässlich „Heldenplatz“ von Thomas Bernhard einstecken musste! Oder anlässlich der Peter-Handke-Uraufführungen! Aber nicht nur mir, allen wollte man an die Kehle, auch Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek und Peter Turrini. Da hat man vor nichts zurückgeschreckt! In den Herzen der Wiener sitzt ja auch immer der Anarchist und der Verbrecher. Das wusste ich natürlich nicht, als ich 1986 von Bochum kam. Aber bald war mir klar: Man muss immer damit rechnen, dass bei jeder Umarmung gleich das Messer im Rücken steckt. Umgekehrt ist das auch das Herrliche: Weil eben jeder Wiener im tiefsten Herzen ein Anarchist ist, werden völlig unsinnige Reglementierungen mit viel Fantasie nicht befolgt. Man wird im Theater einen Weg finden, die Verbote zu umgehen, und es so machen, wie man es eigentlich will. Das unterscheidet ja die Österreicher von den Deutschen. Die Deutschen sind obrigkeitshörig. Die Österreicher tun nur so.
Treibt die Hassliebe Sie zurück nach Wien?
Dass ich jetzt so gerne nach Wien zurückkomme, hängt auch mit der Erinnerung an eine Legende zusammen. Heutzutage habe ich natürlich Angst, dass die Leute etwas erwarten, was ich gar nicht mehr erfüllen kann. Damals war ich, aufgewiegelt von Thomas Bernhard, voll von produktiver Wut. Meine Befürchtung ist nun, dass ich diese Aggressivität, die man manchmal braucht, um eine richtig fette „Watsch’n“ zu schlagen, nicht mehr habe.
Ich kann Ihnen versichern: Die Angst ist unbegründet!
Und natürlich hat sich Wien verändert. Das Publikum ist durch meine Zeit verwöhnt und stellt andere Ansprüche. Wehe, man genügt diesen Ansprüchen nicht!
Ich hab’ mir das Programmheft vom „Deutschen Mittagstisch“ rausgesucht. Die Dramolette hatten als 22. Produktion Ihrer Direktionszeit am 23. Oktober 1987 auf dem Lusterboden Premiere. Es spielten u.a. Susi Nicoletti, Maresa Hörbiger, Annemarie Düringer, Hilke Ruthner …
Ja, die ganzen „Hexen“ haben mitgespielt! Bernhard wollte den Abend gar nicht, aber dann war er doch überwältigt von der Boshaftigkeit, mit der die das gespielt haben. Ein Assistent von mir, Alexander Seer, hat inszeniert. Es war die erfolgreichste Burgtheater-Produktion überhaupt: Die Dramolette wurden über 200 Mal gespielt!
Eigentlich wollten Sie ja jetzt Bernhards „Ein Fest für Boris“ inszenieren.
Ich hab’ das Stück 1970 in Hamburg uraufgeführt, war aber mit dem Ergebnis nicht uneingeschränkt zufrieden. Ich wollte es daher noch einmal inszenieren und sicherte mir beim Suhrkamp Verlag das Recht dazu. Es wäre passend gewesen für die Josefstadt; der Föttinger hat ja eine wunderbare Truppe.
Warum haben Sie dann gewechselt?
In ganz Europa hat es einen gewaltigen Rechtsruck gegeben, Österreich hat das exemplarisch vorgeführt. Die aktuelle Situation, der Verlagerung der demokratischen Mitte nach rechts, macht es erforderlich, den politischen Bernhard zu zeigen. Ich bin dem Föttinger dankbar, dass er mir diese Satiren vorgeschlagen hat, in denen Bernhard prophetisch die Entwicklung vorhergesehen hat.
Zentral ist das Dramolett „Alles oder nichts“ …
Ja, es nimmt genau das vorweg, was wir im Moment erleben: Dass die Politiker selbst eine Seuche für ihre Zwecke, den Machterhalt, missbrauchen. In dieser Farce tun die Politiker alles, um Wählerstimmen zu bekommen. Bis hin zum Eingeständnis, dass sie Nazis sind. Und sie schmieren sich mit Scheiße ein, damit das Publikum begeistert ist.
Die Figuren finden im „Mittagstisch“ einen „Nazi in der Suppe“ – und Frau Bernhard sagt: „Schließlich habt ihr ja alle den Nationalsozialismus mit dem Löffel gegessen.“
Die Nazisuppe gibt es auch jetzt – mit der „Alternative für Deutschland“. Oder: Schauen Sie sich den zurückgetretenen FPÖ-Politiker an, der mit Seinesgleichen nachts die Nazi-Lieder gesungen hat! Vom Nazi-Lied zur Nazi-Suppe ist nur ein einziger Schritt.
All diese Dramolette entstanden rund um 1980 – und beziehen sich auf Deutschland. Werden Sie die Namen der Politiker, darunter Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher, ersetzen?
Nein, ich werde sie einfach streichen. Diese Piècen sind so allgemeingültig, dass sie auch ohne Namen funktionieren. Das Josefstädter Publikum ist ja nicht dumm, es wird den Text schon richtig dechiffrieren. Ich würde mich freuen, wenn es ein bisschen schockiert reagiert. Aber ich bin nicht auf Schock aus, ich bin auf Erkenntnis aus.
Und einige der Szenen sind auch vom Dialekt her eindeutig nach Bayern verortet, darunter „A Doda“ oder „Maiandacht“ …
Der Dialekt spielt für mich keine Rolle. Als sich nach Wien kam, dachte ich, dass Österreich eine Unterabteilung von Bayern ist. Bis ich gelernt habe, dass es eher umgekehrt ist. Ich glaube, dass es Bernhard nicht um das bayrische Idiom ging, sondern um eine plastische, bildhafte Sprache, die es da wie dort gibt. Eines kann ich Ihnen aber versprechen: Ich werde den Text nicht auf Berlinerisch sprechen lassen. Das wäre fürchterlich. Der Pekinese allerdings, der in „Alles oder nichts“ vorkommt, spricht in seinem Bellen ein astreines Hochdeutsch.
Wann sollen nun die Proben beginnen?
Am 3. August. Die Premiere ist am 17. September. Ich finde es sehr schön, dass Föttinger das Stück zur Eröffnung der Spielzeit angesetzt hat – und dass Bernhard in dieses Theater einkehrt, das er, wie ich weiß, sehr geliebt hat. Wenn im Theater in der Josefstadt vor Beginn der Vorstellung der große Luster in den Himmel hinauffährt, krieg ich jedes Mal die Gänsehaut. Ich denke an Max Reinhardt und all die großen Schauspieler. Dass dort jetzt der Dramatiker und Patriot Bernhard gespielt wird, ist genauso konsequent wie Nestroy oder Raimund am Burgtheater, die das auch nicht zu ihren Lebzeiten erlebt haben.
Und wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?
Ich habe Verbindungen zum Theater in Linz und zu verschiedenen Berliner Bühnen. Aber wenn man 83 ist, macht man keine weitreichenden Pläne. Man ist jeden Tag froh, den man lebt.
Frankfurt: Peter Handke
Claus Peymann, geboren am 7. Juni 1937 in Bremen, gelang schon bald der Durchbruch: Er brachte 1966 in Frankfurt die „Publikumsbeschimpfung“ zu Uraufführung. Peter Handke wurde zum Popstar der Literatur – und Peymann durfte viele seiner Stücke aus der Taufe heben
Hamburg: Thomas Bernhard
Vier Jahre später brachte er in Hamburg „Ein Fest für Boris“ von Thomas Bernhard zur Uraufführung. Es entstand eine Lebensfreundschaft, Peymann hob in der Folge viele Bernhard-Stücke aus der Taufe – etwa 1972 bei den Salzburger Festspielen
Wien: Jelinek & Turrini
Von 1974 bis 1979 war er Direktor in Stuttgart, danach in Bochum. 1986 besetzte er mit seiner „Peymannschaft“ (Gert Voss, Martin Schwab, Kirsten Dene u. a.) die Burg. Es gab Konflikte ohne Ende, die Uraufführung von „Heldenplatz“ 1988 geriet zur Staatsaffäre. Peymann brachte zudem (mit Co-Direktor Hermann Beil) viele Stücke von Elfriede Jelinek und Peter Turrini heraus. Von 1999 bis 2017 war er Intendant des Berliner Ensembles
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