Doch nun, am Freitag, hatte „Heldenplatz“ am Grazer Schauspielhaus Premiere. In einer Inszenierung, die so gut wie alles unternimmt, um sich von der legendären Peymann-Produktion abzuheben. Zunächst mit Erfolg.
Schäferhund
Weil ja die Waldheim-Kiste und die Erregung um Sätze aus „Heldenplatz“, die vorab an Medien gespielt wurden, nicht jedem präsent sein dürften, erlaubt sich Regisseur Franz-Xaver Mayr, der damals noch in den Windeln lag, einen didaktischen Prolog: Sarah Sophia Meyer, von Michaela Flück dominahaft eingekleidet, empfiehlt dem Publikum weiterführende Literatur, sie verweist auf „Waldheims Walzer“ – und fragt keck, ob die damalige Zeit, die man doch nicht so einfach los wird, da sei. Sie ist es naturgemäß: Sie sitzt als Chor, ergänzt um einen Schäferhund, in einer Loge – mitten im Publikum.
Dass Meyer den Landauer, einen Kollegen Schusters, spielt, weiß man noch nicht. Umso größer ist die Überraschung, wenn Frau Zittel, die Wirtschafterin, im bloß angedeuteten Garderobenzimmer (Bühne von Korbinian Schmidt) zu ihrem Redeschwall anhebt. Florian Köhler, hergerichtet als betuliche, an Elisabeth II. erinnernde Gouvernante, versteht meisterhaft, mit Bernhards Sprachmelodie umzugehen. Nicht nur Raphael Muff als blondes, schüchternes Hausmädchen, das dem Führer wohl gefallen hätte, hört mit großen Augen zu.
Auch der Beginn der zweiten Szene beeindruckt: Nein, es gibt keinen Volksgarten im Novembernebel, nur eine schwarze Bühne, von der – nach einem prasselnden Gewitter – kühle Luft strömt. Anna und Olga, die Töchter des Verstorbenen, nähern sich nicht langsam. Und sie scheinen auch nicht vom Begräbnis zu kommen: Ihre Kleidung ist very british, sehr orange, ins Absurde gesteigert. Der Vater, 1938 nach Oxford geflohen, wäre ja besser nie nach Wien zurückgekehrt – und schon gar nicht in eine Wohnung am Heldenplatz. Evamaria Salcher monologisiert als Anna, Oliver Chomik spricht als Olga mit den Mundwinkeln.
Doch dann nähert sich Robert, der Bruder des Toten. Auch wenn jedes Stereotyp vermieden, jede Erwartungshaltung zerstört wird: Die junge Julia Franz Richter als alter, störrischer Mann – das funktioniert leider nicht. Sie sagt dessen Sätze teilnahmslos auf, die Wirkung der Worte wird völlig verschenkt. Und die zentralen Passagen – die Erregung über die sogenannten Sozialisten und den Kanzler als Staatsverschacherer – übernimmt der groteske, von hinten hinzutretende Chor. Dieser Eingriff zerstört zudem Bernhards Dramaturgie der Steigerung.
Mayr bricht nach der Massenszene ab – und fängt nach der Pause noch einmal mit dem Gespräch zwischen Robert und seinen Nichten an. Auch im dritten Teil kleistert er grell alles zu. Gefährlichkeit lässt beim Leichenschmaus bloß Franz Solar als Professor Liebig aufblitzen, dessen schwarze Trauerkleidung etwas von einer SS-Uniform hat: Wenn er sich über den „Unrat“ ereifert, den die Zeitungen schreiben würden, dann blitzt aus ihm ein kleiner Hitler hervor. Die damalige Zeit: Sie ist nicht weg.
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