Rammstein vor Wien-Konzerten: Deeskalation sieht anders aus
Die Vorwürfe gegen die deutschen Rocker reißen nicht ab; zugleich bewegt sich die Debatte kaum weiter. Sie sagt längst mehr über uns und unser Zusammenleben aus als über die Fakten.
Wer je auf einem Rammstein-Konzert war, der weiß: Kaum etwas ist lauter.
Die Begleitmusik zu den beiden kommenden Wien-Konzerten aber ist es.
Die Band sieht sich seit Wochen mit Schilderungen von Frauen konfrontiert, die ein beklemmendes Gesamtbild ergeben: Junge Frauen sollen gezielt für Sex mit Sänger Till Lindemann rekrutiert worden sein. Andere berichten von traumatisierenden Erfahrungen nach den Konzerten; Erfahrungen, die teils Jahrzehnte zurückliegen. Zuletzt war neben Lindemann auch Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz mit derartigen Schilderungen konfrontiert.
Zwei Mal Stadion
Am Mittwoch und Donnerstag (26. und 27. Juli) treten Rammstein im Happel-Stadion in Wien auf. Die Veranstalter versprechen sichere Konzerte, es gibt einige Maßnahmen, die aus der Debatte um die Band resultieren
Proteste angekündigt
Wie zuletzt schon in Berlin soll auch in Wien vor den Konzerten gegen die Auftritte protestiert werden
Die Band weist die Vorwürfe von sich – und geht gegen Medien und manche junge Frau vor, die ihre Erfahrungen öffentlich gemacht hat.
Wer je auf einem Rammstein-Konzert war, der weiß: Subtil sind sie nicht.
Umso genauer könnte man bei der Debatte um die Band hinhören.
Denn die ist längst mehr als ein #MeToo-Fall im Düsterrock. Sie erzählt auch viel über unangenehme Mechanismen des Zusammenlebens. Etwa, wie brutal der Online-Gegenwind für junge Frauen ist, die öffentlich sprechen: Hier zeigt sich der Online-Mob in all seiner erbärmlichen Widerlichkeit.
Die Verbalgewalt ist beileibe kein Ausrasten nur von verblendeten Fans. Anhand der Rammstein-Causa wird, mal wieder, von gesichtslosen Tastaturtätern um etablierte Machtgefälle gerungen, die sich von #MeToo, von Gleichberechtigung im Prinzip bedroht sehen.
Auf Social Media geht es weniger darum, ob die Vorwürfe berechtigt sind oder nicht – ein toxischer Teil der Bevölkerung will Frauen im Prinzip das Recht absprechen, solche Vorwürfe erstmal zu erheben.
Das Recht des Schwächeren
Dem gegenüber stehen jene, die mit einem prinzipiellen diskursiven Vorrecht der Schwächeren argumentieren: Deren Erfahrungen haben für sich genommen schon einen Wert, wie weit sie sich in der Realität abbilden, kann ja nachher geklärt werden. Auch diese Argumentation birgt natürlich allerlei gesellschaftliche Abwägungsherausforderung.
Die Debatte drüber, was an all dem dran ist, ist schwierig genug – auch ohne obige Begleitmusik. Auch, weil die Medien mit breitem Pinsel über Details drübermalen: Je weiter bedachte Aussagen ihre Kreise durch den Boulevard ziehen, desto mehr Details gehen verloren, desto undifferenzierter das Echo, das sie hinterlassen.
Und noch einmal komplexer ist die Frage, was hier überhaupt rauskommen kann: Man weiß, dass selbst viel belastbarere Vorwürfe gegen mächtige Männer zu nichts führten. Und bisher zumindest wird die gerichtliche Klärung auch überhaupt nicht verfolgt: Die Anzeigen gegen Rammstein, aufgrund derer in Deutschland ermittelt wird, haben unbeteiligte Dritte gestellt, keine der betroffenen Frauen. In Vilnius, wo die Affäre ihren Ausgang nahm, wurden die Ermittlungen eingestellt.
Hier zeigt sich mal wieder: Das Strafrecht, das in anderen Affären (vor allem den politischen) gern als Maßstab herbeigeredet wird, ist nicht annähernd ausreichend, um die Komplexitäten des Zusammenlebens zu regeln.
Und Komplexität überlebt überhaupt nur noch im fiktiven Raum zwischen den Extremen: Kaum jemand, der sich nicht hier oder da einbucht. Es gibt hier kein Wenn, kein Aber. Subtil ist das nicht.
Emotion vor Information
So schwierig das zu entziffern ist, so einfach ist etwas anderes abzulesen: wie meinungsaufgeladen die Informationsaufnahme ist.
Für viele sind die gefühlten Vorwürfe sowohl schlimmer als auch verfestigter als das, was vorliegt: Sie haben bereits Täterschaft erkannt, wo gerade die betroffenen Frauen selbst oft Unsicherheitsräume offenlassen. So wird die Absage von Rammstein-Konzerten mit eindeutigen Formulierungen gefordert; dass auch österreichische Politikerinnen, die Faktenlage überholend, „Keine Bühne für mutmaßliche Täter!“ postulieren, ist aber eine Unschärfe, die doch bedenklich scheint.
Auf der anderen Seite stehen jene, die partout vom Gegenteil überzeugt bleiben: Die Tournee lief nicht nur von Band-Seite, sondern auch von den Fans her ziemlich ungerührt weiter. Und ja, dazu zählen auch ganz viele junge Frauen, die hier entweder scharf Werk und Künstler trennen – oder die Sache mal nicht so eng sehen.
Apropos Werk: Der wohlige Sex- und Gewalt-Grusel, mit dem Rammstein berühmt geworden sind (weitere Zutat: Spaß mit Politiktabus), wird nun gegen sie verwendet – und steht als erster Posten in manchen der Rechnungen, die nun argumentativ beglichen werden. Das jedenfalls ist ein Debatten-Totalschaden in zweierlei Hinsicht: In der Debatte um unbequeme Kunst waren wir schon viel weiter. Das rückaufzurollen, ist über Rammstein hinaus ein Fehler. Und ja, Rammstein weisen in ihrer Musik auf Randaspekte der menschlichen Existenz hin, die es halt gibt. So erwachsen muss man bleiben, das nicht wegzuwischen.
Die Wien-Konzerte jedenfalls werden nicht ohne Begleitmusik abgehen. Proteste sind angekündigt und werden auf Fan-Trotz treffen. Und auf eine unkommunikative Band: Lindemann zündelte zuletzt in Berlin, indem er hämisch einen Songtext umformulierte („Sänger vögeln nicht mehr“). Deeskalation schaut anders aus.
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