Piotr Beczala: "Die Welt ist eine andere geworden"
Kalt erwischt. Anders lässt es sich nicht sagen. Bereits im März sollte Piotr Beczala an der New Yorker Met sein Rollendebüt als heroischer Radames in Giuseppe Verdis „Aida“ geben. Drei Wochen Proben, eine Generalprobe, Corona und keine Premiere.
Stattdessen eine beinahe abenteuerliche „Flucht“ nach Europa. „Meine Frau und ich haben den drittletzten Flieger von Chicago nach Warschau erreicht, dafür mussten wir aber irgendwie dorthin kommen“, lacht der Ausnahmetenor rückblickend im KURIER-Gespräch.
Positiv
Es gelang, mit Mühen. Beczala und seine Gattin Katarzyna erreichten letztlich Warschau und nach weiteren 400 Kilometern ihren Bauernhof. Es folgten Corona-Tests. Positiv! „Wir waren beide bereits in den USA ohne größere Symptome – zwei Tage ein wenig Husten – infiziert und haben uns sofort in Quarantäne begeben. Wir hatten es hinter uns, wollten jedoch niemand anderen in Gefahr bringen.“
Ein täglicher Polizeibesuch inklusive. Beczala: „Die Polizisten waren immer sehr höflich, aber sie haben genau kontrolliert, ob wir auch wirklich zu Hause sind. Hätten wir gegen die Regeln verstoßen, wäre das sehr teuer geworden, 30.000 Zloty, also umgerechnet etwa bis zu 8.000 Euro“, so der Künstler.
Handicap
Doch was hat Beczala in der Zeit des Lockdown gemacht? „Nicht mein Golf-Handicap verbessert“, so der passionierte Hobbysportler. „Aber im Ernst. Ich habe mit meiner Stimme experimentiert, neue Grenzen ausgelotet, um herauszufinden, wohin die Reise in Zukunft geht.“ Diese Reise geht – wie auch das neue, hervorragende Album „Vincerò“ beweist – auch in Richtung Verismo, also in das dramatischere Feld.
„Aber sanft, ganz vorsichtig“, betont Beczala. „Partien wie ein Radames, ein Otello und alle Wagner-Rollen müssen gut überlegt sein. Wobei aufgrund der Corona-Pandemie jetzt ohnehin alles anders ist. Die Welt ist quasi über Nacht eine andere geworden, damit müssen wir uns abfinden. Aber ich freue mich sehr auf Grafenegg und auf Salzburg. Beide Festivals setzen hier wichtige Zeichen.“
Treue
Bei den Salzburger Festspielen wird Beczala am 14. August bei Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ zu hören sein. Beim Musikfestival Grafenegg ist er am 20. August mit Kostproben aus „Vincerò“ zu erleben. Und auch der Wiener Staatsoper hält Beczala unter der neuen Direktion von Bogdan Roščić die Treue. „Wien ist meine Heimat, und ich hoffe, dass ich im Dezember den ,Werther‘, danach den Sänger im ,Rosenkavalier‘ sowie den Prinzen in ,Rusalka‘ interpretieren darf.“
Energie
Doch wie geht es wohl mit der Oper, der klassischen Musik grundsätzlich weiter? „Ich habe grundsätzlich gar kein Problem damit, vor 100 Menschen zu singen. Ich habe bereits für 13 oder drei Leute gesungen. Und das war auch sehr schön. Aber so ein Resonanzraum wie die Wiener Staatsoper braucht das Publikum, damit sich die Energie auf beiden Seiten ganz entfalten kann. Ich wünsche uns allen, dass wir einander im Herbst wieder in einem ausverkauften Haus begegnen dürfen. Denn große Gefühle ohne oder vor kaum Publikum – das funktioniert nicht.“
Und noch einen Wunsch hat Beczala. „Diese Pandemie hat gezeigt, wie sehr freischaffende Künstler von den jeweiligen Veranstaltern abhängig sind. Wie viele plötzlich in Existenznöte geraten können, wenn sie kein Engagement mehr haben. Vielleicht könnte die Politik hier neue, mutige Rahmenbedingungen schaffen. Auch wenn ich das in Polen nach der Präsidentschaftswahl leider bezweifle. Aber die Chance in Europa wäre immerhin da.“
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