Stardirigent Riccardo Muti: Corona kann "Kultur nicht zerstören"
Es war ein bewusstes Zeichen, das Stardirigent Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker vergangenes Wochenende im Wiener Musikverein setzten. Vor erlaubten 100 Besuchern erklangen da Franz Schuberts vierte Symphonie, also die „Tragische“, die „Margherita Polka“ von Josef Strauß und zum Finale der „Frühlingsstimmen“-Walzer von Johann Strauß.
„Mir war es wichtig, einen Rück- und einen Ausblick zu geben“, sagt Riccardo Muti im KURIER-Gespräch. „Die ,Tragische’ steht für all das, was wir in den vergangenen Montane aufgrund der Corona-Krise erleiden mussten. Die Werke der Strauß-Dynastie weisen uns aber auf das Jahr 2021 hin, das hoffentlich für alle Menschen ein besseres Jahr werden wird.“
Jubiläum
Am 1. Jänner 2021 wird Riccardo Muti zum sechsten Mal das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker leiten. „Ein Konzert, das mir besonders nahe steht. Die Wiener Philharmoniker sind wohl das beste Orchester der Welt, ihre Klangkultur ist absolut einzigartig. Für mich selbst bedeutet 2021 aber weitaus mehr. 1971 habe ich mein Debüt am Pult der Wiener Philharmoniker gegeben. Wir feiern das 50-jährige Jubiläum unserer Partnerschaft“, so der 78-jährige Maestro.
Doch glaubt Muti daran, dass nach der Corona-Pandemie wieder ein normales kulturelles Leben möglich sein wird? „Nun, das Virus ist extrem schlau und wird uns leider große ökonomische Probleme bereiten. Die Kultur jedoch kann es nicht zerstören. Es gibt zwar ein Europa der Politik, aber es gibt vor allem ein Europa der Kultur. Es ist nicht nur der Euro, der uns hier eint. Nein, es ist das jahrhundertelange kulturelle und musikalische Erbe, das uns miteinander verbindet. Und diese Jahrhunderte kann man nicht auslöschen.“
Tradition
Muti weiter: „Nur einige Beispiele. Allein Wien und Neapel haben eine große gemeinsame Vergangenheit. Italienische Komponisten wie etwa ein Domenico Cimarosa, ein Nicola Porpora, ein Luigi Cherubini oder ein Antonio Salieri haben Wien und Österreich musikalisch sehr geprägt. Von den diversen familiären Banden zwischen den Habsburgern und den Herrschern in Italien rede ich da gar nicht. Aber wir müssen uns dieses gemeinsamen Erbes bewusst werden, müssen diese Tradition an die nächsten Generationen weitergeben. Erst das Wissen um die Vergangenheit kann uns auch eine gemeinsame Zukunft geben.“
Zukunft
Eine Zukunft, die Muti musikalisch lebt. Mit dem von ihm gegründeten „Jugendorchester Luigi Cherubini“ setzt der Chefdirigent des renommierten Chicago Symphony Orchestra auch künstlerisch Zeichen. Bereits heute, Sonntag, wird Muti zum Auftakt des Ravenna Festivals (bis 30. Juli) mit den jungen Musikerinnen und Musikern das erste Konzert in Italien nach dem Lockdown bestreiten. Vor maximal 250 Besuchern und via Live-Streaming (www.ravennafestival.live) werden Werke von Skrjabin und Mozart gespielt. Es folgen am 3. und 5. Juli noch zwei so genannte „Konzerte der Freundschaft“, bei denen auch junge syrische Musiker mitwirken werden. Muti: „Wir haben hier auch eine soziale Verantwortung.“
Verantwortung
Diese verspürt Muti auch in seiner Funktion als Chef in Chicago. „Was in den vergangenen Tagen und Wochen in den USA passiert ist, macht mich unendlich traurig. Aber für all diese Ereignisse ist nicht ausschließlich Präsident Donald Trump verantwortlich. Die ewige Diskriminierung von Farbigen und vieler anderer Bevölkerungsgruppen hat in Amerika leider eine lange Tradition. Ich versuche da gegenzusteuern. Mit der Macht der Musik und mit Konzerten, die für alle offen sind, die bewusst Zeichen setzen sollen.“
Hoffnung
Aber wann wird es in Chicago wieder Konzerte geben? Muti: „Ich glaube nicht, dass wir im September starten können, sondern hoffe auf 2021. Auch an große Tourneen ist vorläufig nicht zu denken. Umso mehr freut es mich, dass ich im August nach Salzburg zurückkehren kann und mit den Wiener Philharmonikern Ludwig van Beethovens neunte Symphonie interpretieren werde. Dieses Werk ist ein Manifest der Hoffnung.“
Mut
Eine andere Hoffnung hat Muti eher aufgegeben. „Ich hätte im Mai an der Wiener Staatsoper Mozarts ,Così fan tutte’ in der wundervollen Inszenierung meiner Tochter Chiara dirigieren sollen. Diese Produktion ist nicht modern, nicht alt – sie ist einfach nur sehr klug. Denn Chiara weiß über Mozart fast mehr als ich. Aber ich denke nicht, dass diese ,Così’ in Wien zu sehen sein wird. Mit der neuen Direktion gibt es bis dato keine Gespräche. Also werden die Wiener Philharmoniker und ich – sobald das möglich ist – die ,Così’ in Japan zeigen. So mutig sind wir.“
Und die weitere Zukunft? „Ich halte es mit einem alten römischen Sprichwort: ,Erst leben, dann philosophieren!’ Also leben wir doch einfach!“
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