Philosophie wird zur Musik: Barenboim mit Beethoven
Kann man am Klavier tatsächlich über das Leben philosophieren?
Man kann.
Wie, das ließ Daniel Barenboim im Wiener Musikverein mit Beethovens letzten drei Klaviersonaten erleben.
Kein Murmeln, kein Rascheln, kein Räuspern, kein Husten vor Konzertbeginn und in den Satzpausen – als hätte sich die Stille der vergangenen Wochen aus dem Lockdown ihre Bahn ins Jetzt gebrochen. Doch sie hatte keine Macht mehr, als Barenboim mit tiefsinnigem Ernst die ersten Töne der Sonate in E-Dur anschlug.
Hoffnung
Seit sechzig Jahren widmet sich der Dirigent und Pianist Beethovens Klaviermusik. Alle 32 Klaviersonaten des musikalischen Jahresregenten hätte er in den letzten Wochen der Amtszeit von Musikverein-Intendant Thomas Angyan aufführen sollen. Dass man drei davon noch diesen Juni hören sollte, wagte man nicht einmal zu hoffen. Doch es geschah auf faszinierende Weise.
Barenboim machte die Brüche dieser Kompositionen hörbar. Jede Phrase leuchtete er tiefgründig aus. Wenn er in den langsamen Passagen den Flügel zum Singen brachte, ließ er vergessen, dass ihm Maßnahmen-bedingt nur Hundert zuhören durften.
Er erfüllte den Goldenen Saal mit seinen Reflexionen an den Tasten. Das war pure Philosophie.
Atemberaubend machte er die Bizarrerien und gewaltigen Eruptionen seines Lebenskomponisten spürbar. Hier wurde das Leben zur Musik. Mit einem Höchstmaß an Innigkeit erklang die Sonate in As-Dur, deren
Fuge zur überwältigenden Schmerzensmusik geriet. Zur Offenbarung wurde das Opus 111. Düster hob er an. Da changierten Dramatik und Verklärung und führten in eine andere, eine bessere Welt. Stehende Ovationen.
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