Die Klassik ist zurück: So waren Levit und die Symphoniker im Konzerthaus
Wenn der Intendant vor einem Konzert vors Publikum tritt, gibt's meistens Unruhe (hat wer abgesagt? Ist wer indisponiert?) und in diese Unruhe hineingemischt höflichen Applaus. Am Freitagabend aber gab es für den Chef des Wiener Konzerthauses, Matthias Naske, Jubel. Denn Naske läutete mit einer kurzen Ansprache - 88 Tage war geschlossen, länger als zum Ende des Zweiten Weltkriegs - eine Wiederkehr ein: Die klassische Musik ist wieder da in Wien, am Freitag sperrten das Konzerthaus und der Musikverein auf. Und je 100 Leute durften endlich wieder zuhören.
Dass es im Konzerthaus Pianist Igor Levit war, der gemeinsam mit rund drei Dutzend Wiener Symphonikern unter der Leitung von Konzertmeisterin Sophie Heinrich mit Mozart und Grieg das Licht wieder andrehte, ist überaus stimmig, eine Art programmierter Machtbeweis. Denn Levit hat damals vor 88 Tagen, als der Kultur und den mit Kultur lebenden Menschen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, als plötzlich alles still war, gespielt. Abend für Abend. Auf Twitter, nach Hause hinüber zu den Menschen, die dort verloren rumsaßen.
Ihn jetzt wiederzusehen, in echt, hinter einem Klavier, das ist ein gar nicht so kleiner Triumph: Es ist etwas vorbei, jetzt mal, Historie oder Histörchen im Rückblick, und die Musik ist noch da. Sie ist nicht im Internet, im Handybildschirm verschwunden.
Man ist da rasch versucht, sich als Kritiker zurückzulehnen; das erste Konzert durchzuwinken: Hauptsache, gespielt. Zu schön der erste Moment, als das Orchester einsetzte; zu frisch die Ohren, die hier wieder zuhörten. Aber nein: Nichts mit durchwinken, Auch die Kulturkritik ist wieder da, denkt man sich, gemeinsam mit der Musik eine Tradition, die sich nicht einfach aushebeln lässt. Ebensowenig: Der Kaffee (oder anderes) zum Konzert; diesmal - es gibt keine Pause - halt davor.
Im Mozartsaal gab es zwischen den 100 Besuchern viele leere Plätze für jene Elefanten, die bei den Demos oder im Kleinwalsertal keinen Platz mehr hatten, und eine wirklich fußfreie erste Reihe: Der Abstand zwischen Orchester und Publikum ist wesentlich größer als sonst. Maskentragend tritt man ein, ohne Maske sitzend hört man zu, und ja, einmal war auch ein richtiger Konzerthuster da.
Aber mit Aerosolgedanken wollte sich wohl keiner im Publikum aufhalten, dazu war man nicht gekommen. Es gab Musik. (Und Masken geschenkt, die der neue Intendant der Symphoniker, Jan Nast, verteilte).
Und ja, der Kritiker geriet dann doch in eineinviertel Stunden Konzert in die Defensive. Es war schlicht wunderbar, wieder Orchestermusik zu hören.
Es gab am Freitagabend noch ein zweites Konzert, für nochmal 100 Menschen. Drüben im Musikverein spielten die Wiener Philharmoniker mit Daniel Barenboim. Im Juni gibt es auch in der Staatsoper und in der Volksoper und an einigen anderen Orten Konzerte, im August dann Salzburger Festspiele und Grafenegg und mehr. Die Klassik ist wieder da. Man möchte sie nicht nochmal missen.
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