Nina Proll: "Luder bedeutet in Tirol dasselbe wie in Wien"
Nina Proll hat wieder einmal keinen Genierer. Im neuen Song „I zag di au“ macht sie sich über überzogene Corona-Maßnahmen, leidenschaftliche Vernaderer und Österreichs Versorgungsmentalität lustig. Und sie bewirbt den Song in gewohnt provokanter Manier.
KURIER: Wie ist Ihr Song „I zag di au“ entstanden?
Nina Proll: Es war eine Gemeinschaftsarbeit mit der Band. Ich wollte unbedingt etwas mit dem Satz „I zag di au“ machen, darüber, dass die meisten Menschen sich mittlerweile mehr vor einer Anzeige fürchten als vor dem Virus. Und natürlich über die Absurdität von Maßnahmen, die nicht einmal für jene einzuhalten waren, die sie beschlossen haben.
Wurde überreagiert?
In den ersten drei Wochen, als es darum ging, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, nicht. Aber als man nach drei Wochen wusste, dass das nicht der Fall ist, hätte man deeskalieren müssen. Alles einem Virus unterzuordnen und dabei sämtliche Grundrechte zu verletzen, halte ich für ein massives Problem. Es gibt kein Recht auf Gesundheit, weil Krankheit zum Leben gehört. Ein Recht auf persönliche Freiheit, freie Erwerbstätigkeit, Gleichbehandlung sowie Achtung des Privat- und Familienlebens gibt es aber sehr wohl.
Die Zeile „Bald wird jeder wen kennen, der wen kennt, der wen au'zagt hat“ ist ein ziemlicher Seitenhieb auf den Kanzler. War die Panikmache verantwortungslos?
Ich glaube, dass sie aus falsch verstandenem Verantwortungsbewusstsein entstanden ist. Mit dem Narrativ der 100.000 Toten hat man eine Gesellschaft kreiert, die permanent in Angst lebt und den Mitmenschen als Bedrohung sieht. Sie spaltet sich in vermeintliche Lebensretter und Lebensgefährder. In Blockwarte und Verschwörungstheoretiker.
Können die Österreicher das „Vernadern“ besonders gut?
Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es Menschen gibt, die mit Freiheit nicht umgehen können und sich in einem strengen gesetzlichen Korsett wohler fühlen. Egal mit welchem ideologischen Inhalt. Sie gedeihen in einem System der Denunzierung, und ihre einzige Freude ist, anderen auch ihre Freiheiten zu nehmen.
Das war ja schon vor Corona ein großes Thema für Sie.
Ja. Früher verstand man unter Freiheit, dass man tun und lassen darf, was man will. Heute versteht man darunter, was andere unterlassen sollen, damit man nicht gestört wird.
Sie leben in Tirol, das wegen seines Umgangs mit Corona in der Kritik steht. Zurecht?
Ich sehe es nicht als Aufgabe der Regierung, den Menschen zu sagen, ob sie zum Après-Ski gehen dürfen oder nicht. Die Menschen gehen dort freiwillig hin.
Sie wären wohl nicht hingegangen, wenn sie gewusst hätten, dass sich das Virus dort dermaßen verbreitet.
Da bin ich mir nicht sicher. Aber klar: Die Regierung hat die Pflicht, uns zu informieren. Vertuschung ist nicht zu rechtfertigen.
Ist das Wort „Luder“ in Tirol tatsächlich so alltäglich, wie der ÖVP-Landeshauptmannstellvertreter behauptet?
Das Wort Luder bedeutet in Tirol dasselbe wie in Wien. Die Tatsache, dass Frauen sich wochenlang damit beschäftigen, was irgendein Mann über sie gesagt hat, beweist für mich, wie wenig sie sich emanzipiert haben. Kein Mann würde auch nur eine Sekunde darüber verschwenden.
Die Grüne Ingrid Felipe meinte, in ihrer feministischen Grundhaltung gehe es auch um „Versöhnlichkeit“. Sind Sie d'accord? Oder gehören bei der Bekämpfung von Sexismus einfach auch einmal Grenzen gesetzt?
Es gibt keine Debatte, die scheinheiliger geführt wird als die Sexismusdebatte. Wie würden Sie denn Sexismus definieren?
Sexismus bedeutet, dass man aufgrund seines Geschlechts anders, schlechter behandelt wird.
Jeder und jede von uns handelt manchmal sexistisch. Wir haben alle Vorurteile dem anderen Geschlecht gegenüber. Aber Frauen messen mit zweierlei Maß. Wenn es für sie von Vorteil ist, betonen sie ihr Frausein und ihr damit verbundenes Schutzbedürfnis. Wenn es von Nachteil ist, verlangen sie, nicht auf das Geschlechtliche reduziert zu werden. Wenn man „Frauenfilmfestivals“ macht, Podiumsdiskussionen für „Frauen in der Kunst“ und für die „Frauen in der Wirtschaft“, dann diskriminiert man Frauen noch mehr, denn man suggeriert damit, dass sie in der „richtigen Wirtschaft“, bei den „richtigen Filmen“ nicht mithalten können. Man errichtet damit eine Art Kindergarten für sie. Und dadurch erreicht man das Gegenteil: Man verhindert den gemeinsamen Wettbewerb von Mann und Frau auf Augenhöhe.
„Auf Augenhöhe“: Das bedeutet Gleichberechtigung. Feminismus ist Einsatz für Gleichberechtigung: Sind Sie also Feministin?
So gesehen bin ich Feministin, ja. Der Kampf gegen Sexismus ist für mich aber nicht dasselbe.
Sie haben sich in der MeToo-Debatte sehr kontroversiell geäußert. Gilt der Satz von den Kolleginnen, die sich „auf Schöße setzen und hinterher behaupten, sie sind sexuell belästigt worden“ noch?
Ich wüsste nicht, warum nicht. Ich wollte dieses „Mit-zweierlei-Maß-Messen“ ansprechen. Warum ist ein heraushängender Busen weniger Belästigung als breitbeiniges Sitzen?
Es gibt auch andere Formen von Sexismus. Nämlich klare Ungleichbehandlungen, gerade in Ihrer Branche, wo Männer deutlich höhere Gagen bekommen. Haben Sie diese Erfahrungen nicht gemacht?
Ja, natürlich. Aber das Publikum – vorwiegend Frauen – geht nun einmal lieber in Filme mit Til Schweiger und Josef Hader als in Filme mit Nina Proll. Es ist ein Fakt, dass männliche Protagonisten bessere Zugpferde sind. Ich finde das auch ungerecht. Aber so funktioniert das Business. Angebot und Nachfrage. Dazu kommt, dass es tausendmal mehr Schauspielerinnen als Schauspieler gibt. Wenn ich sage, ich mache etwas nicht für eine bestimmte Gage, dann stehen da zehn hoch qualifizierte Kolleginnen, die das sehr wohl machen. Bei Männern ist das nicht der Fall, die können da gagenmäßig mehr Druck machen. Das ist aber nicht Sexismus, das ist Wirtschaft.
Warum rütteln Sie so gerne „am Watschenbaum“?
Ich merke natürlich, dass es manchmal nicht so gut ankommt, wenn ich selbstbewusst auftrete. Das muss man aushalten. Kritik trifft mich dann, wenn sie von Menschen kommt, die mir etwas bedeuten. Wenn mich irgendwelche Leute auf Facebook beschimpfen, ist mir das egal.
Sie haben auf Instagram die provokante Frage gestellt: „Mit wem muss man eigentlich schlafen, um in österreichischen Radios gespielt zu werden? Wenn wer wen kennt, der wen kennt, bitte PN an mich.“
Ich wollte damit verdeutlichen, dass es in öffentlich-rechtlichen Radios wie Ö3 nahezu unmöglich ist, als österreichischer Künstler gespielt zu werden. Seit 15 Jahre erhalte ich, egal, welchen Song ich veröffentlicht habe, das exakt wortgleiche Absagemail.
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