"Nicht mit diesem Mundartdichter!"
Auf der Bühne begrüßte man Preis- und Würdenträger der Buchbranche, besprach Welt- oder zumindest Literaturkrisen, kommende und vergangene Bucherfolge. Zu den heimlichen Stars der jüngsten Wiener Buchmesse zählte indes ein schmaler Band, den eigentlich niemand auf dem Radar hatte. So gut wie jedem, der am Stand des Salzburger Otto-Müller-Verlags vorbeiging, sprang Christine Bustas „Sternenmühle“ ins Auge und die meisten waren überrascht, dieses prägende Buch ihrer Kindheit hier wiederzuentdecken. Die bezaubernd altmodischen, nicht durchgehend heutigen Pädagogikvorstellungen entsprechenden Gedichte über fromme Löwen und kuchenbackende Mütter werden seit 1959 aufgelegt. Mit den einprägsamen Illustrationen des Breslauer Künstlers Johannes Grüger ist „Die Sternenmühle“ zum ikonografischen Kinderbuch geworden. Bei Weitem nicht der einzige Coup einer Verlegerin, die eigentlich etwas anderes machen wollte.
Als Otto Müller 1937 in Salzburg seinen Verlag gründet, positioniert er sich klar gegen den Nationalsozialismus, zwei Jahre später wird er verhaftet. Zehn Jahre danach baut Müller den Verlag wieder auf, stirbt jedoch wenige Jahre später, kurz vor seinem 55. Geburtstag. 1956 tritt seine erst 23-jährige Tochter Erentraud die Nachfolge an.
Don Camillo und Peppone
Schon Otto Müller hatte ein gutes Händchen, was Neuentdeckungen betraf: Er verlegte Giovanni Guareschis Erfolgskomödie „Don Camillo und Peppone“ zum ersten Mal im deutschen Sprachraum. Darauf kam er, weil er mit dem Journalisten Alfons Dalma befreundet war, der die Geschichte für die Salzburger Nachrichten aus dem Italienischen übersetzte. Otto Müller sicherte sich die Rechte für den Roman, er wurde ein Riesenerfolg für den Verlag.
Was dem Vater gelingt, glückt auch der Tochter. Nicht alles ist kommerziell erfolgreich, aber vieles wird einen festen Platz in der Literaturgeschichte finden. Erentraud Müller publiziert Christine Lavant. Die Kärntner Dichterin glaubt an die junge Frau, weil sie, wie Lavant schreibt, „den größten Dickschädel hat und sich durchsetzen wird“. Christine Busta, die als Lyrikerin bereits einen Namen hat, vertraut der Verlegerin ihr erstes Kinderbuch an: Diese vernetzt sie mit dem Illustrator Johannes Grüger und macht das Buch zum größten Erfolg des Verlages. Weit größer als die beiden Lyrikbände eines gewissen Thomas Bernhard, ebenfalls von Erentraud Müller verlegt. Bernhard wird, ist in einem Brief an den Verlag nachzulesen, das verlegerische Tun Müllers wenig schätzen. Insbesondere die gestalterische Arbeit habe sein „literarisches Leben vernichtet“.
Bernhards Tiraden
Erentraud Müller lässt sich von Bernhards Tiraden nicht beeindrucken. Zeitgleich bringt sie das nachhaltig berühmteste Buch des Verlags heraus. Es wird den Dialekt der Wiener Vorstadt in den Literaturkanon eintragen. Der Gedichtband „med ana schwoazzn dintn“ erscheint am 18. März 1958. Es ist das erste Buch von H. C. Artmann und macht ihn schlagartig populär. Der ersten Ausgabe folgen 12 Neuauflagen und zahlreiche Lizenzen. Nicht einmal Artmann selbst ist klar, wie wichtig seine schwoazze dintn werden wird. Er plädiert für „Med da linkn Haund“ oder „I sog eichs meinar söö“. Die prägnante Covergestaltung übernimmt ein Freund des Autors. Insgesamt eine mutige Entscheidung, die sich für alle bezahlt macht. Bloß Bernhard beharrt, er wolle nicht „mit diesem Mundartdichter in einem Prospekt beworben werden“.
Artmann sprach seine Verlegerin als „geehrtes Fräulein Müller“ an. Dass weitere Artmann-Bücher nicht mehr im Otto Müller Verlag erschienen, lag sicher auch daran, dass das „geehrte Fräulein“ die Verlagsleitung abgab, um Medizin zu studieren. Sie wurde Ärztin. Ihr Neffe, der heutige Verleger Arno Kleibel, übernahm 1986. Im zarten Alter von 25 Jahren.