Die Aufsässigkeit der Mira Lobe

Mira Lobe, hier 1980, las in Schulen und Kindergärten vor, der Kontakt zu ihren Lesern war ihr wichtig
Das Wien Museum zeigt, warum die Geschichte vom "Ich bin Ich" hochpolitisch ist.

Mira Lobes Kinderbücher, allen voran "Das Kleine Ich bin Ich", sind Plädoyers für Eigensinn, Selbstfindung und Toleranz. Eine gesellschaftspolitische Ansage, lang bevor das Wort "Kinderrechte" zum Schlagwort wurde. Und die seit mehr als vierzig Jahren Bestseller ist: "Das Kleine Ich bin Ich" wird heute 30.000 Mal im Jahr verkauft.

Die Aufsässigkeit der Mira Lobe
lobe/weigel
Das Wien Museum widmet der 1995 mit 81 Jahren verstorbenen Jugendbuchautorin nun in Zusammenarbeit mit dem Ludwig Boltzmann Institut eine Ausstellung, die sich an alle Generationen richtet. In der Schau, die neben Lobe auch der Illustratorin Susi Weigel gewidmet ist, können junge Leser Bücher entdecken, auf einem "Geggis"-Spielplatz in die Welt der bunten Feindbild-Zerstörer eintauchen oder sich von Cornelius Obonya vorlesen lassen.

Der Burgschauspieler hat einige der schönsten Lobe-Texte aufgenommen: Mit geschlossenen Augen auf den eigens für die Schau getischlerten Holzbänken die Lautmalerei Lobes (wieder) zu entdecken, ist auch für Erwachsene ein Erlebnis. Unter den Aufnahmen ist auch ein heute fast vergessenes Jugendbuch Lobes: "Die Räuberbraut", ein modernes Robin-Hood-Märchen einer kämpferischen 13-Jährigen, die die Welt retten will. Kein Zufall, dass die sozialistische Arbeiterzeitung das Buch lobte, während es die konservative Wochenpresse als "Anleitung zum Terror" verteufelte, wie in der Ausstellung nachzulesen ist.

Bücher von Mira Lobe

Die Aufsässigkeit der Mira Lobe

Lollo…
Die Aufsässigkeit der Mira Lobe

Zwei Elefanten....…
Die Aufsässigkeit der Mira Lobe

Der Tiergarten....…
Die Aufsässigkeit der Mira Lobe

Das Städtchen....…
Die Aufsässigkeit der Mira Lobe

Die Geggis …
Die Aufsässigkeit der Mira Lobe

Die Omama ....…
Die Aufsässigkeit der Mira Lobe

Valerie...…
Die Aufsässigkeit der Mira Lobe

Selbstbehauptung

Das heute vergriffene Buch ("Wenn ich etwas nicht leiden kann, dann ist es der Satz: Das ist nun einmal so!") ist typisch für Lobe, aber auch für weite Teile der österreichischen Jugend-Literatur der 60er- und 70er-Jahre: Lobe war Gründungsmitglied der "Gruppe". In dem Autorinnen-Kollektiv beschäftigen sich Schriftstellerinnen wie Käthe Recheis, Hannelore Valencak oder Friedl Hofbauer mit feministischen, emanzipatorischen und ökologischen Fragen.

Gerechtigkeit, Gemeinsamkeit und Solidarität, aber auch Selbstbehauptung ihrer Protagonisten waren Hauptanliegen Lobes. Und das Bewusstsein für die österreichische Sprache: "Typisch Wienerisch" war sie selbst allerdings nicht und sprach auch nicht so – nachzuhören in Interviews in der Ausstellung. Geboren 1913 als Hilde Mirjam Rosenthal in Görlitz, Sachsen, wuchs sie in einer bürgerlichen jüdischen Familie auf. Zur Sozialistischen Arbeiterjugend zog sie ihr Mitleid für Schwächere: "Ich hatte irgendein Schuldgefühl, dass es mir so gut ging und dass ich wusste, anderen geht es weniger gut."

Doch auch ihr ging es nicht immer gut: 1936 flüchtete die Familie vor den Nazis nach Palästina, wo Mira den Regisseur Friedrich Lobe, mit dem sie 1950 nach Wien kam, heiratete. Noch in Palästina veröffentlichte sie ihr erstes Buch "Insu-Pu".

In Wien lernte sie bei der kommunistischen Kinderzeitung UZ die Illustratorin Susi Weigel kennen: Miteinander gestalteten sie mehr als 100 Bücher und wurden zur "Marke": "Kennst du die bunten Mira-Susi-Bücher?" warb der Verlag für das Dream-Team, dessen Werdegang in vier Ausstellungsteilen nachgezeichnet wird.

Im Katalog zur Schau (Hg.: Ernst Seibert, Georg Huemer, Lisa Noggler-Gürtler, Residenz, 26 €) schreibt neben Germanisten und Zeitgeschichtlern auch Renate Welsh über ihre Erinnerungen an ihre Freundin Mira Lobe.

Das rosa-weiß karierte Wesen mit orangen Dackelohren und blauen Ponyfransen ist verzweifelt. Der Frosch auf der Blumenwiese will wissen, was es für ein Tier ist. Das bunte Wesen findet darauf keine Antwort. „Wer nicht weiß, wie er heißt, wer vergisst, wer er ist, der ist dumm. Bumm“, quakt der Frosch und hüpft davon.

In „Das kleine Ich-bin-ich“ schickt Mira Lobe ihren Protagonisten auf die Suche nach sich selbst. Doch weder Pferde, Fische, Vögel noch Hunde können ihm sagen, wer und was es ist. „Ob’s mich etwa gar nicht gibt?“, fragt sich das Wesen.

Auch 41 Jahre nach seinem Erscheinen wird Lobes Buch in Kindergärten und Schulen verwendet. Die Botschaft soll Kindern Mut machen, sich als eigenständig wahrzunehmen. Und zu verstehen, dass sie nicht so sein müssen wie andere es erwarten, um akzeptiert zu werden.

Identitätssuche

Die Identitätssuche des bunten Wesens spiegelt Entwicklungsstadien von Kindern wieder, sagt die Psychologin Verena Schlosser-Windauer. „Identitätsfindung ist ein Schritt in die Eigenständigkeit. Im Vorschulalter nehmen sich Kinder zum ersten Mal selbst wahr. Sie äußern Wünsche und Bedürfnisse, versuchen, Kontrolle auszuüben und darum ihren Willen durchzusetzen.“ Die Psychologin bezeichnet Mira Lobe als Vordenkerin. Was sie 1972 zu Buch brachte, fanden Studien erst Jahre später heraus.

Neben Selbstfindung spielen in Lobes Geschichten die sozialen Kompetenzen eine wichtige Rolle. Und, dass Kinder Dinge tun sollen, die nicht immer den Erwartungen Erwachsener entsprechen. So handeln die jungen Helden in Lobes Buch „Die Geggis“ entgegen den Wünschen ihrer verfeindeten Familien. Gil von den grünen, schwimmenden Sumpfgeggis und Rokko von den roten, kletternden Felsgeggis begegnen einander im Kampf. Ein unfairer Griff führt dazu, dass sich einer der beiden entschuldigt. Die zwei kommen ins Gespräch und erkennen, dass sie nicht unterschiedlich sind. Sie werden Freunde und helfen einander, die Fähigkeiten des anderen zu lernen. Lobe greift hier Selbsterkenntnis, Respekt und Hilfsbereitschaft auf. „Um Kindern diese Botschaft zu vermitteln, reicht es nicht, das Buch zu lesen. Wichtig ist, darüber zu sprechen“, sagt Schlosser-Windauer. Dazu gehört auch, dass Kinder lernen, zu scheitern, oder mit Häme und Spott umzugehen. Das erfährt auch das bunte Wesen mit den Ponyfransen während seiner Reise. Letztlich steht es über all dem und findet sich selbst.

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