Mira Lobe: Damit die Sehnsucht kommt

Mehr als hundert Kinderbücher hat Mira Lobe geschrieben. Klug und sinnstiftend, und dabei herzerfrischend komisch.
Am Dienstag wäre sie 100 Jahre alt geworden. Ihre Kinderbücher prägten Generationen.

Jeder hat seine Lieblingsgeschichte. Etwa die von der Katze: Es ist Hochwasser, die Katze hat sich auf einen Baum gerettet. Nun ist er umgestürzt und treibt mit ihr in den Fluten. Mit den Wellen kommen andere Tiere, die in Not sind: „Komm“, sagt die Katze und lässt jeden auf den rettenden Baumstamm: das Schwein, den Hund, den Hahn. Auch der Fuchs, vor dem sich viele fürchten, darf mit.

Mira Lobes Buch „Komm, sagte die Katze“, erschien 1974 und erzählt davon, wie man denen, die in Not sind, selbstverständlich hilft; dass jeder einen Platz braucht, an dem er leben kann. Und dass das Boot nicht so schnell voll ist, wie manche behaupten.

Lobes tatsächlich hochpolitische Kinder- und Jugendbücher begeistern junge Leser seit mehr als 60 Jahren. Sie sind verspielt, klug und sinnstiftend; sie erzählen vom menschlichen Umgang miteinander, von der Toleranz gegenüber Außenseitern und wie man Schwächere in die Gemeinschaft aufnimmt; davon, wie man aufrecht geht und sich selbst und andere akzeptiert– ohne je übertrieben pädagogisch oder mit erhobenem Zeigefinger daherzukommen.

Die Akzeptanz

Allein die wunderbare Feststellung des bunt karierten, namenlosen kleinen Tieres, dass es „Ich bin ich“ ist: Eine große philosophische und zugleich tröstliche Erkenntnis (siehe Zusatzbericht) sowie ein Plädoyer zur Akzeptanz des anderen.

Das kleine „Ich bin ich“ mit seinen Pony-Fransen, Dackelohren und den schönen Stampferbeinen hat seit seinem Erscheinen 1972 Generationen von Kindern durchs Leben begleitet und ist mit mehr als 900.000 Exemplaren ein Bestseller im Kinderbuchbereich.

„Der tiefere Sinn der Schreiberei für Kinder ist meiner Meinung nach der, dass sie zur Selbstbestimmung gebracht werden sollen. Produzieren ist schön, einfach schön, da fühlt man sich leben. Das ist nach der Liebe das zweitbeste Gefühl“, sagte Mira Lobe 1991 in einem Interview.

Die Flucht

Mira Lobe wurde 1913 in Görlitz in Schlesien als Hilde Mirjam Rosenthal geboren. Schon als Kind begann sie zu schreiben, wollte später Journalistin werden. Ein Publizistik-Studium verwehrten ihr die Nazis als Jüdin jedoch, und sie begann, Hebräisch und Maschinenstricken zu lernen. 1936 flüchtete sie nach Palästina, wo sie den Schauspieler und Regisseur Friedrich Lobe heiratete, mit dem sie zwei Kinder hatte, Claudia und Reinhardt.

1951 kam Lobe mit ihrer Familie nach Wien, wo ihr Mann ein Engagement am kommunistischen „Neuen Theater in der Scala“ hatte. Hier wurde im März 1953 auch ihr sozialkritisches Theaterstück für Kinder „Herr Hecht und der Geheimverein“ unter der Regie von Otto Tausig aufgeführt. Als das Theater geschlossen wurde, ging die Familie nach Ostberlin, kehrte jedoch bald in die neue und endgültige Heimat Wien zurück, wo Mira Lobe am 6. Februar 1995 starb.

Bereits in ihrem ersten Buch, dem 1948 in Tel Aviv in hebräischer Sprache erschienenen „Insu-Pu“, geht es um ihre Kernthemen Akzeptanz und Mut. Elf Kinder fliehen vor dem Krieg auf eine einsame Insel und schaffen es, einen perfekt funktionierenden Kinderstaat aufzubauen. Ein Thema, das sie ihr Leben lang beschäftigte.

Die Auszeichnungen

Insgesamt verfasste die mehrfache Preisträgerin (1965, 1976, 1986 Österreichischer Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur, 10-mal Österreichischer Kinderbuchpreis) mehr als 100 Bücher für Kinder unterschiedlichen Alters, die in über 30 Sprachen übersetzt wurden, viele davon von Susi Weigel oder Angelika Kaufmann illustriert. Zu ihren bekanntesten Werken gehören „Das kleine Ich bin ich“ (1972), „Valerie und die Gute-Nacht-Schaukel“ (1981)und „Die Omama im Apfelbaum“ (1965), alle im Jungbrunnen-Verlag erschienen.

Mira Lobes Sohn Reinhardt Lobe, Psychotherapeut und dreifacher Vater, erinnert sich an die Kindheit mit der schreibenden Mutter: „Meine Mutter las mir und meiner Schwester viel vor. Nicht nur eigene Texte. Auch etliches von Astrid Lindgren. Pippi Langstrumpf war eine meiner größten Heldinnen.“

Waren die Kinder auch Ratgeber? „Ich sagte meiner Mutter, wenn ich der Meinung war, dass eine Geschichte weitergehen sollte.“ Reinhardt war es auch, der seine Mutter zu ihrem ersten großen Erfolg inspirierte: „Die Omama im Apfelbaum“:

„Alle Kinder in der Straße hatten eine Großmutter. Manche hatte sogar zwei. Nur Andi hatte keine,“ heißt es darin. Andi, das war Reinhardt. „Ich war traurig, weil ich keine Oma hatte. Meine Mutter schrieb mir eine.“

Was Mira Lobes anhaltenden Erfolg ausmacht? „Sie schrieb über soziale, moralische und ethische Grundsätze – und das durchaus humorvoll. Und sie konnte sich mit den Probleme, die Kinder erlebten, identifizieren“, sagt der Sohn.

„Bücher“, schrieb Mira Lobe einmal, „sind zu mancherlei da. Damit man lacht zum Beispiel. Lachen ist wichtig. Damit man gescheiter wird. Gescheit sein ist wichtig. Damit man Sehnsucht bekommt. Das ist vielleicht das Wichtigste“.

Info: Am 17. September feiert das Jüdische Museum Mira Lobe mit einer Lesung. Direktorin Danielle Spera liest aus den bekanntesten Werken. Reinhardt Lobe wird über seine Mutter und ihr Leben sprechen. Ab 16.30 Uhr. Jüdisches Museum Wien. Dorotheergasse 11, 1010 Wien

Das rosa-weiß karierte Wesen mit orangen Dackelohren und blauen Ponyfransen ist verzweifelt. Der Frosch auf der Blumenwiese will wissen, was es für ein Tier ist. Das bunte Wesen findet darauf keine Antwort. „Wer nicht weiß, wie er heißt, wer vergisst, wer er ist, der ist dumm. Bumm“, quakt der Frosch und hüpft davon.

In „Das kleine Ich-bin-ich“ schickt Mira Lobe ihren Protagonisten auf die Suche nach sich selbst. Doch weder Pferde, Fische, Vögel noch Hunde können ihm sagen, wer und was es ist. „Ob’s mich etwa gar nicht gibt?“, fragt sich das Wesen.

Auch 41 Jahre nach seinem Erscheinen wird Lobes Buch in Kindergärten und Schulen verwendet. Die Botschaft soll Kindern Mut machen, sich als eigenständig wahrzunehmen. Und zu verstehen, dass sie nicht so sein müssen wie andere es erwarten, um akzeptiert zu werden.

Identitätssuche

Die Identitätssuche des bunten Wesens spiegelt Entwicklungsstadien von Kindern wieder, sagt die Psychologin Verena Schlosser-Windauer. „Identitätsfindung ist ein Schritt in die Eigenständigkeit. Im Vorschulalter nehmen sich Kinder zum ersten Mal selbst wahr. Sie äußern Wünsche und Bedürfnisse, versuchen, Kontrolle auszuüben und darum ihren Willen durchzusetzen.“ Die Psychologin bezeichnet Mira Lobe als Vordenkerin. Was sie 1972 zu Buch brachte, fanden Studien erst Jahre später heraus.

Neben Selbstfindung spielen in Lobes Geschichten die sozialen Kompetenzen eine wichtige Rolle. Und, dass Kinder Dinge tun sollen, die nicht immer den Erwartungen Erwachsener entsprechen. So handeln die jungen Helden in Lobes Buch „Die Geggis“ entgegen den Wünschen ihrer verfeindeten Familien. Gil von den grünen, schwimmenden Sumpfgeggis und Rokko von den roten, kletternden Felsgeggis begegnen einander im Kampf. Ein unfairer Griff führt dazu, dass sich einer der beiden entschuldigt. Die zwei kommen ins Gespräch und erkennen, dass sie nicht unterschiedlich sind. Sie werden Freunde und helfen einander, die Fähigkeiten des anderen zu lernen. Lobe greift hier Selbsterkenntnis, Respekt und Hilfsbereitschaft auf. „Um Kindern diese Botschaft zu vermitteln, reicht es nicht, das Buch zu lesen. Wichtig ist, darüber zu sprechen“, sagt Schlosser-Windauer. Dazu gehört auch, dass Kinder lernen, zu scheitern, oder mit Häme und Spott umzugehen. Das erfährt auch das bunte Wesen mit den Ponyfransen während seiner Reise. Letztlich steht es über all dem und findet sich selbst.

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