mumok-Chefin Karola Kraus: "Namedropping war nie mein Ding"

Im September eröffnet Karola Kraus ihre letzte Ausstellung als mumok-Chefin, im Oktober übernimmt Fatima Hellberg die Institution, die einst gegründet wurde, um Österreich den Anschluss an internationale Kunstszene zu ermöglichen.
KURIER: Sie haben das mumok 15 Jahre lang geleitet. Welche Identität hatte dieses Museum für Sie, als Sie angetreten sind – und wie ist diese heute anders?
Karola Kraus: Die Identität ist ganz klar: Das mumok ist das österreichische Bundesmuseum für die internationale Kunst von der klassischen Moderne bis in die Gegenwart. Es verfügt über eine kleine, aber sehr feine Sammlung der klassischen Moderne. Seine Schwerpunkte sind die Sammlungen der Sechzigerjahre und darauf aufbauend zeitgenössische Positionen. Mit meiner programmatischen Antrittsausstellung, dem „Museum der Wünsche“, wollte ich ein Zeichen für eine offensive Sammlungserweiterung setzen – und wenn ich heute darauf zurückblicke, kann ich eine äußerst erfolgreiche Bilanz vorweisen. Wir haben insgesamt 5.472 Schenkungen bekommen, konnten mit Mitteln von Sponsoren, Förderern oder von Künstlerinnen und Künstlern 1.486 Ankäufe tätigen – und wir erhielten 386 Dauerleihgaben der Österreichischen Ludwig-Stiftung. Mit diesen Zugängen konnten wir Lücken füllen und neue Akzente in der Sammlung setzen. Darüber hinaus erhielten wir 95.000 Objekte aus Vor- und Nachlässen. Unsere Ausstellungen stellen immer eine Verbindung zu unseren Sammlungen her.

Trotzdem habe ich immer wieder das Gefühl, dass das Museum eine Stop-and-Go-Identität hat. Es gibt die Sammlung Klassischer Moderne, die unter Gründungsdirektor Werner Hofmann begonnen und dann eigentlich nicht weiterverfolgt wurde. Dann kamen Sammlungen von Peter und Irene Ludwig, von Wolfgang Hahn, dann zum Wiener Aktionismus….
Meine Idealvorstellung war eine räumliche Erweiterung für Sonderausstellungen, um im Hauptgebäude unsere Sammlungen dauerhaft präsentieren zu können. Leider ist mir das nicht gelungen. Daher war es mir wichtig, die Sammlung immer wieder unter neuen Blickwinkeln zu präsentieren. Ja, wir haben den Aktionismus nicht mehr, wie mein Vorgänger Edelbert Köb, dauerhaft auf der Ebene minus vier präsentiert – wir haben so viele wunderbare Werke in der Sammlung, weswegen wir uns nicht nur auf eine Bewegung der 60er-Jahre konzentrieren können. Wir haben die Sammlung immer wieder anders kontextualisiert. Das wird von unseren Besucherinnen und Besuchern sehr wohlwollend angenommen. Größte Zustimmung findet die Verknüpfung von Einzel- und thematischen Gruppenausstellungen mit einer darauf abgestimmten Sammlungspräsentation, ergänzt um einen Einblick in das Werk junger Künstler_innen. Durch diesen Wechsel zeigt das mumok immer wieder ein neues Gesicht.
Das heißt, Ihre Nachfolgerin Fatima Hellberg muss jetzt nur mehr Ihr Erbe verwalten?
Meine Nachfolgerin hat das Glück, dass sie ein rundum saniertes Haus übernimmt. Nicht nur, was die bauliche Substanz anbelangt: Wir haben ein sehr gut aufgestelltes Team. Ich hinterlasse meiner Nachfolgerin eine sehr hohe Deckungsvorsorge. Fatima Hellberg kann sich in ihre inhaltliche Arbeit stürzen, ohne dass sie irgendwelche Baustellen vorfindet.
Ist die Sammlung das, womit Sie glauben, Besucher in großer Zahl anlocken zu können? Oder sind es eher Sonderausstellungen?
Beides. Die Besucherinnen und Besucher lesen im Touristenführer die großen Namen unserer Sammlung wie Andy Warhol oder Pablo Picasso. Das sind unsere Markenzeichen. Aber die Sonderausstellungen sind auch ein großer Anziehungspunkt.
Doch anders als die Albertina, die immer mit großen Namen warb, haben Sie dezidiert nie mit Warhol und Picasso geworben, sondern mit Themen.
Ja, Namedropping war nie mein Ding. Wir konnten einmal im Jahr oder zumindest alle zwei Jahre einen Blockbuster präsentieren. Doch das Problem ist, dass unser Jahresbudget in etwa die gleiche Summe ist, wie sie in den großen Museen für eine Blockbusterausstellung budgetiert ist.

Man hat dem mumok immer wieder eine hermetische Abschottung attestiert. Den Ruf konnten Sie meines Erachtens nie abschütteln, ob nun zu Recht oder zu Unrecht.
Diese von Ihnen wahrgenommene Abschottung hat sicher mit dem Gebäude zu tun. Und die Treppe ist eine Hemmschwelle. (Kraus zeigt eine architektonische Planungsdarstellung, die anstatt der Treppe einen ebenerdigen Zugang durch einen Glaskubus vorsieht). Ich bedaure es sehr, dass meine Erweiterungspläne nicht realisiert werden konnten, doch ich hatte das Pech, dass es den letzten 15 Jahren so viele Regierungswechsel gab. Immer, wenn ich die Verantwortlichen für meine Ideen begeistern konnte, kam der oder die nächste Verantwortliche. Auch Herr Babler hat momentan andere Probleme, als Erweiterungswünsche zu genehmigen. Ich bin mir sicher, dass das mumok das Potenzial hätte, die Besucherzahlen zu verdoppeln, wenn wir die großartigen Sammlungen permanent präsent hätten. Aber was ich vehement von mir weisen möchte, ist, dass wir kein lebendiges Haus sind oder nicht versuchen, viele Menschen an unser Haus zu binden. Da sind wir bei unseren Vermittlungsangeboten: wir bieten Programme, die Barrieren abbauen wie Führungen für gehörlose Menschen, haben Tage bei freiem Eintritt für Familien und mit dem Pass für Hunger auf Kunst und Kultur können Menschen mit wenig Einkommen täglich ins mumok kommen. Wir programmieren mit Kindern, es gibt einen Chor von Frauen, die in unseren Ausstellungen singen, und, und und. Wir öffnen das Haus in jede Richtung.

Stichwort „Menschen ans Haus binden“: Es gab in Ihrer Anfangszeit Präsentationen von Privatsammlungen, dazu Kooperationen mit privaten Playern, die Kunstpreise vergeben. In jüngerer Zeit ist da wenig passiert. Warum?
Einige wenige Personen haben die Pandemie zum Anlass genommen, sich vom Museum abzuwenden. Aber der ganz enge Kontakt zur internationalen Sammlerwelt ist nach wie vor da – wir eröffnen bald die Ausstellung von Tobias Pils, in der wir Leihgaben aus der ganzen Welt und auch von österreichischen Sammlungen ausstellen. Die 5.472 Werke, die wir als Schenkungen erhalten haben, kommen ja nicht von irgendwoher.
Doch eine Sammlung ganz übernehmen – wie die Sammlung Essl, die an die Albertina ging – wollten Sie nicht?
Keine Sammlung ist von A bis Z nur von höchster Qualität. Mein Anliegen war immer, sich gezielt Werke schenken zu lassen, die unser Profil schärfen. Die Sammlung von Dieter und Gertraud Bogner fügt sich mit ihrer konzeptuellen, konstruktiv reduzierten Ausrichtung wunderbar in unser Sammlungsprofil, aber auch da haben wir nicht alles angenommen. Und wir haben alle Dauerleihgaben retourniert. Bis auf die der Österreichischen Ludwig-Stiftung, die vertraglich fest an unser Haus gebunden sind.

Wie sehen Sie die unmittelbare Zukunft des Mäzenatentums?
Ich glaube, es wird immer schwieriger. Wir leben in einer Krisenzeit. Wir haben in den vergangenen Jahren in internationalen Förderungen und internationalen Kooperationsprojekten großes Potenzial gesehen – und ich glaube, das wird nicht rückläufig sein, weil die Stiftungen, die hier aktiv sind, sehr viel Kapital und hohe Kapitalerlöse haben. Aber ich bin sicher, dass das reine Mäzenatentum zurückgehen wird. Auch meine Nachfolgerin Fatima Hellberg hat ein großes Netzwerk und wird gewiss Förderer und Sponsoren mitbringen.
Wie geht es bei Ihnen weiter? Bleiben Sie in Wien oder haben Sie Lust, die Stadt zu verlassen?
Eigentlich hatte ich die Entscheidung getroffen, dass ich in Wien bleibe, weil ich schon halbe Wienerin bin und hier einen sehr großen engen Freundeskreis habe. Mein Mann und ich suchen seit sechs Jahren eine Wohnung, wir waren kurz vor Vertragsabschluss, doch leider hat es dann nicht geklappt. Ich habe aber meinem derzeitigen Vermieter versprochen, dass ich Ende Oktober ausziehen werde. Ich werde also nun zu meinem Mann nach Frankfurt ziehen. Wir führen seit 17 Jahren eine Fernbeziehung!
Zur Person
Karola Kraus, 1961 in St. Georgen im Schwarzwald geboren, entstammt der Sammlerfamilie Grässlin. 2010 übernahm sie die Leitung des mumok in Wien.
Inhaltliche Erfolge
Kraus konfrontierte das mumok erfolgreich mit zeitgenössischer Kunst. Aus einer Ausstellung von Jakob Lena Knebl (2017) erwuchs u. a. Österreichs Biennale-Beitrag von 2022, bei dem Kraus als Kuratorin agierte. Weitere Highlights waren große Personalen, die oft unbekannte Seiten von Künstlerinnen und Künstlern zum Vorschein brachten - etwa Claes Oldenburg (2012), Andy Warhols Frühwerk (2021), der Schweizer Künstlerin Elisabeth Wild (2023/'24) oder Medardo Rosso (2024). Die bestbesuchte Ausstellung in Kraus' Direktionszeit, "Vertigo" (2019/'20) widmete sich der Op-Art.
Zahlen
Zweimal war das mumok während Kraus' Amtszeit für Umbauten geschlossen, was sich in Einbrüchen der Besuchszahlen niederschlug. Ein Spitzenwert wurde 2019 mit 289.237 Besuchen erreicht. Der post-pandemische Höchststand lag 2023 bei 220.331 Besuchen, 2024 meldete das Museum umbaubedingt nur 142.322 Besuche.
Kraus konnte für das Museum 5.472 Schenkungen lukrieren, dazu kamen 1.486 Ankäufe mit Sponsormitteln und 386 Dauerleihgaben der Österreichischen Ludwig-Stiftung. Das mumok erhielt dazu 95.000 Objekte aus Vor- und Nachlässen.
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