"Vertigo": Das Kunst-Kuriositätenkabinett der Illusionen
Ein farbintensives Band mit dem Titel „Promenade Chromatique Vienne“ von Carlos Cruz-Diez führt derzeit über die Freitreppe im Museumsquartier hinauf zum Eingang des Mumok. Es arbeitet mit dem Effekt des Nachbildes: Fokussiert man den Blick für einige Sekunden auf eine rote Fläche und wendet ihn anschließend ab, bleibt die Form für einen Moment im Auge erhalten – aber in Grün, der Komplementärfarbe.
Der Eyecatcher verweist auf eine Ausstellung, die parallel zur Retrospektive Dorit Margreiters angeboten wird – und sich (bis 26.10.) mit Phänomen der Wahrnehmung und der Illusion beschäftigt. Die Warnung ist kaum zu überlesen: „Durch das Betrachten einiger Kunstwerke kann es durch visuelle Reize zu körperlichen Beschwerden wie Schwindel, Übelkeit, Erbrechen oder epileptischen Anfällen kommen.“ Zumindest aber zu Aha-Erlebnissen wie zur Erkenntnis, dass tatsächlich nichts so ist, wie es scheint.
Der Titel „Vertigo“ bezieht sich auf den gleichnamigen Film von Alfred Hitchcock, in dem es um einen handfesten Schwindel wie um ein Gefühl von Schwindel geht. Im Zentrum steht die Op Art, eine Gegenbewegung zur informellen Malerei, die sich unter anderem aus dem Konstruktivismus entwickelt hat und eng mit der kinetischen Kunst in Verbindung steht. Sie arbeitet zumeist mit geometrischen Mustern und zielt auf einen optischen Effekt ab.
Flimmernde Spirale
Lange Zeit hat man die Op-Art als oberflächlich abgetan. Vielleicht auch deshalb, weil die Grenze zur Illustration oder zum Gimmick mitunter nicht einfach zu ziehen ist. Victor Vasarely etwa, einer der Op-Art-Heroen, schuf das Logo für Renault (mit der Raute) oder für die Olympischen Spiele 1972 in München (mit einer flimmernden Spirale).
Eva Badura-Triska und Markus Wörgötter haben nun Beispiele, die über jeden Zweifel erhaben sind, auf zwei Ebenen zusammengetragen. Sie stellen dabei die Arbeiten der Österreicher Helga Philipp und Marc Adrian richtigerweise in eine Reihe mit jenen von Bridget Riley oder eben Vasarely.
Aber sie belassen es nicht bei der Op Art im engeren Sinn, sondern betten diese in eine Geschichte des Schwindels von 1520 bis 1970 ein. Das führt zu einigen wunderbaren Konfrontationen – etwa von Rileys wellenförmigem Bild „Cataract“ mit einer Zeichnung eines enorm welligen Faltenwurfs von Matthias Grünewald.
Vielfach ergibt sich der Effekt erst, wenn der Betrachter seine Position verändert. Wechsel- oder Wackelbilder werden u.a. um ein faszinierendes Riefelbild aus dem 17. Jahrhundert ergänzt: Je nachdem, von welcher Seite man sich nähert, sieht man Maria oder Jesus.
Es gibt auch viele verblüffende Installationen, man hat die dreidimensional erscheinenden Kreise von Marina Apollonio (aus 1966) aufgemalt und bietet ein Kuriositätenkabinett. Das Tarnen und Täuschen ist allerdings ein derart umfangreiches Thema, dass manche Bereiche nur angerissen werden konnten. Die Scheinarchitektur z.B. würde sich eine eigene Ausstellung verdienen. „Vertigo“ ist dennoch ein Vergnügen. TRENK
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