Es gibt viel zu erzählen: Eine Familiengeschichte, geprägt von Vertreibung, Flucht und Schicksalsschlägen, mit Stationen in Wien, Argentinien, der Schweiz und Guatemala.
Es gilt aber auch, innezuhalten und zu staunen. Darüber, dass nämlich die Familie, von der hier die Rede ist, zwei Frauen hervorbrachte, die jede für sich ein künstlerisches Werk entwickelten: Es ist abstrakt, ohne offensichtliche Verweise auf die politischen Stürme im Hintergrund, und doch von ihnen geformt.
Dass die Retrospektive der Malerin Elisabeth Wild (1922 – 2020) im Wiener mumok (bis 7.1. 2024) nun mit einer Soloschau ihrer Tochter Vivian Suter (*1949) in der Secession (bis 18. 6. 2023) zusammenfällt, ist ein Zufall, den diversen Verschiebungen der Pandemiezeit geschuldet. Zugleich ist es eine glückliche Fügung, die beiden Werke zusammen sehen zu können.
Wild war als Künstlerin die längste Zeit unbekannt: In Wien geboren, floh sie mit ihrer Familie 1938 vor den Nazis nach Argentinien, wo sie als Textildesignerin tätig wurde. Die Anfeindungen von Exil-Nazis trieben die Familie später zurück in die Schweiz, wo Elisabeth Wild über lange Zeit einen Antiquitätenladen in Basel betrieb.
Zusammengefügte Erinnerungen
In einer für die mumok-Schau angefertigten Rekonstruktion von Wilds Arbeitszimmer sind frühe Gemälde, Erinnerungsstücke und Anzeigen für jenes Geschäft zu sehen, getextet von Martin Suter, bis Anfang der 1980er Ehemann von Tochter Vivian. Diese übersiedelte 1983 auf eine ehemalige Kaffeeplantage in Guatemala, 2007 folgte ihr Elisabeth Wild nach.
Erst 2017, durch eine Präsentation auf der documenta 14, sollte die etablierte Kunstwelt auf die beiden aufmerksam werden. Wild hatte sich da bereits die Praxis angeeignet, jeden Tag eine Collage anzufertigen, 365 davon zeigt das mumok nun. Es sind wundersame, streng komponierte Raumansichten und Formkonstellationen, die ohne klare Referenzen an bereits Gesehenes absolut eigenständig und stimmig wirken.
Malen trotz allem
Der Eindruck, dass Kunst mit ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten einen sicheren Ort erzeugen kann, entsteht auch in dem „Bilderwald“, den Vivian Suter im Hauptraum der Secession gestaltet hat. Ungerahmt hängen hier zahllose Gemälde von Wänden und der Decke, nur auf den ersten Blick erscheinen sie beiläufig hingeworfen: Tatsächlich ist es feine, wohl dosierte Malerei, die teils Vergleiche mit abstrakten Helden wie Clyfford Still oder Arshile Gorky wachruft.
Dass auch diese Werke mit traumatischen Ereignissen in Verbindung stehen – 2005 und 2010 wurde Suters Anwesen von Erdrutschen teilweise zerstört – unterstreicht letztlich die Gelassenheit, die den Bildern innewohnt. Es ist gut, zu wissen, dass Malerei auch dann noch eine Option ist, wenn rundherum die Welt zerbröselt.
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