Modern ohne Ende: Das mumok zeigt alte und neue Schätze
Es gibt Menschen, die das „Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien“, kurz mumok, des Etikettenschwindels bezichtigen: Das Haus zeige doch gar keine moderne Kunst, heißt es dann, das Programm sei mehr an späteren und zeitgenössischen Kunstphänomenen interessiert.
Abgesehen davon, dass die Trennlinie zwischen der „klassischen“ Moderne – mit Expressionismus, Surrealismus oder Kubismus als dominanten Stilrichtungen – zu dem „Danach“ (mit Pop Art, Minimalismus oder Konzeptkunst) nicht immer scharf verläuft: Der Vorwurf lässt sich spätestens durch die neue Sammlungsausstellung „Enjoy“, die sich bis April 2022 über fast alle Ausstellungsebenen des mumok zieht, entkräften.
Gestern und heute
Es ist ein enorm dichter, anspruchsvoller Parcours, der voller Querbezüge zwischen Historie und Gegenwart steckt und „Moderne Kunst“ als fortlaufenden Prozess innovativ vor Augen führt.
Die Schau ist keine Konsequenz der durch coronabedingte Sparkurse in Museen oft eingeforderten „Arbeit mit den eigenen Sammlungen“. Vielmehr gilt es Jubiläen zu begehen: Neben 20 Jahren mumok am Standort MuseumsQuartier und 40 Jahren österreichischer Ludwig-Stiftung ist es auch 10 Jahre her, seit Direktorin Karola Kraus mit ihrer ersten Ausstellung „Museum der Wünsche“ ihre Ideen zum Ausbau der Sammlung präsentierte.
Was „Enjoy“ spannend macht, ist aber weniger die Leistungsschau der Ankäufe (laut Museum gab es seit 2011 ca. 350 davon) und Schenkungen (1100). Vielmehr besticht deren Dialog mit den „Klassikern“, die die 1962 als „Museum des 20. Jahrhunderts“ gegründete Institution einst ins Moderne-Nachzüglerland Österreich brachte. Da ist etwa Picassos „Sitzende Frau“ von 1960 frech „primitiven Masken“ gegenübergestellt, die Judith Hopf 2013 aus Schachteln von Tablet-Computern baute. Daneben nimmt die Fotoserie von Andrea Fraser über westliche Touristen in Afrika die Begeisterung der Moderne für das „Primitive“ intelligent aufs Korn.
Etwas weiter unten – die Schau ist vom obersten Geschoß abwärts zu absolvieren – beschäftigt sich eine Sektion mit Skulptur. Der Dreiklang einer am Menschen orientierten Figur von Fritz Wotruba, einer stärker abstrahierten Nachempfindung von Joannis Avramidis und einer bunt aufgelösten Form von Roland Goeschl straft hier all jene Lügen, die behaupteten, Österreichische Kunst der Zeit nach 1945 würde in Wien nicht gezeigt.
Aktionistinnen
Auch eine Sektion zum Wiener Aktionismus ist Teil der Schau – Kuratorin Naoko Kaltschmidt setzt hier aber bewusst feministische Ansätze von Elke Krystufek, VALIE EXPORT oder Carolee Schneemann neben die männlichen Klassiker.
Wer das Programm des mumok über die vergangenen Jahre verfolgt hat, wird Déja-Vus erleben – den Kanon um weibliche Positionen zu erweitern, war stets ein Anliegen von Direktorin Kraus gewesen. Daraus ergeben sich nun auch überraschende neue Dialoge – etwa zwischen Maria Lassnigs Bildern und den Techno-Körpern der Otto-Mauer-Preisträgerin 2020, Barbara Kapusta.
Die „Pattern and Decoration“-Bewegung der 1970er Jahre, 2019 in einer großen Schau im mumok gewürdigt, findet sich ebenso an mehreren Stellen wieder. Auch eine Künstlergeneration, die auf die exakte Analyse von Bildmedien, ihrer Eigenheiten und Codes setzt (Dorit Margreiter, Mathias Poledna, Fareed Armaly) hat im mumok eine Heimat gefunden.
Prägende Mäzene
Doch eine Sammlungsschau zeigt nie nur Kunst: Sie bildet auch die Netzwerke ab, die – durch Schenkungen, Spenden – die Identität eines Museums mitprägen. Es lohnt, zum Vergleich die mit Großmalerei gefüllte Schau „Wonderland“ in der Albertina Modern (bis 19. 9.) zu sehen, um zu begreifen, wie die Idee einer „Sammlungsausstellung mit Kunst seit 1945“ zu eklatant unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.
Im mumok, wo neben Ankäufen der Ludwig-Stiftung zuletzt u. a. der Verein „Phileas“ und die Sammlerfamilien Bogner, Herbert oder Schürmann deutliche Spuren hinterließen, ist die Ausbeute jedenfalls in einem Durchgang kaum zu bewältigen: Es braucht Energie und auch etwas Vorwissen, um den Reichtum dieses Angebots adäquat zu würdigen.
Und so mischt sich in die Freude über die hervorragende Präsentation auch der Wunsch, dass mehr getan wird für eine Kunst-Allgemeinbildung, die über die Klassiker hinausgeht: Es gibt so viel zu entdecken – und die Werke gehören uns allen.
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