Zum 1000. Mal "Am Schauplatz": Nach den Rosenheim-Cops die Realität
Zum tausendsten Mal „Am Schauplatz“. Für Peter Resetarits fühlt sich die Zahl unglaublich an. „Ich kann mich noch gut erinnern, wie Christian Schüller und ich gesagt haben: Das können wir vermutlich zwei Jahre machen, dann gehen uns die Themen aus.“ Gerhard Zeiler, damals ORF-Generaldirektor, habe dem Format immerhin zehn Jahre gegeben, erzählt Resetarits. „Getäuscht haben wir uns alle, wir sogar mehr als Gerhard Zeiler, denn wir sind jetzt im 28. Jahr.“
Mittlerweile sei „eine zweite Generation von Journalisten dazu gekommen“, sagt Resetarits. 2011 löste Heidi Lackner Sendungschef Schüller ab, 2020 folgte Klaus Dutzler. Als man 2013 den Sendeplatz direkt nach dem Zugpferd „Rosenheim-Cops“ am Donnerstagabend bekam, gingen die Quoten weiter nach oben. „Das Prinzip, dass die Geschichten auf der Straße liegen, und man sie nur aufklauben muss, dass Sozialreportagen über die Realität der einfachen Leute gut funktionieren, das haben wir total unterschätzt“, meint der Moderator.
Am 7. März 1995 war erstmals die minimalistische, aber charakteristische rhythmische Signation zu hören. Die Reportage „Der Hausherr“ erzählte von einem Immobilienspekulanten, der mit allerlei Schikanen Mieter aus seinen Zinshäusern drängte. Dass er ihn vor die Kamera bekam, sei „ein Mysterium, das mich heute noch beschäftigt“, sagt Resetarits.
Keine Bussis
Der Rechtsanwalt gab in seinem Mercedes 600 Auskunft, fuhr mit Resetarits zu den Zinshäusern. Kurz vor Ausstrahlung habe er sich in die Karibik abgesetzt, bei der Rückkehr klickten die Handschellen. „Ich hab ihn dann im Gefängnis Sonnberg besucht, in einem schlossähnlichen Zimmer, und habe gefragt, ob er mir böse ist. Erstaunlicherweise fand er alles korrekt. Der Gefängnisdirektor hat gesagt: ,Aber Herr Doktor, im Winter die Fenster herausreißen, die Gasheizung abdrehen, das ist nicht fein.‘ Er hat an seiner Zigarette gezogen und gesagt: ,Eines ist klar. Bussis hat’s ned gegeben.‘“ Kurze Zeit später ist der Ex-Hausherr verstorben.
Bei „Am Schauplatz“ bekommen Menschen eine Stimme, die in Medien sonst kaum zu Wort kommen. „Die Idee war, nicht einfach zum Würstelstand zu gehen oder auf die Donauinsel, sondern bestimmte Themen, sei es die Obdachlosenproblematik oder die Lebenswelt von Jugendlichen am rechten Rand, ausführlicher zu erzählen.“
In den Neunziger Jahren seien Magazinsendungen „mit Themen vollgestopft gewesen, die Beiträge immer kürzer geworden, auch immer verspielter. Damals kamen die Schnittcomputer auf, wo das Bild oft einen mehrfachen Überschlag gemacht hat. Wir haben uns gedacht: Keine Musik im Hintergrund, puristischer. Vielleicht funktioniert es ja, wenn Leute einmal eine Minute reden, einen Gedanken ausformulieren können.“
Möglichst unverstellt
Man setzte Funkmikros ein, konnte Leute so auch während einer Tätigkeit, etwa beim Holzschlichten, befragen. „Die Zuseher sollten den Eindruck haben, dass sie hier gerade dazugekommen sind. Eine möglichst unverstellte Realität zu zeigen, war die Grundidee“, sagt der 62-Jährige.
Manchmal müsse man Gesprächspartner auch vor sich selber schützen, meint Resetarits. „Wir wollen nicht alles spielen, was uns gesagt wird. Wenn jemand etwas sagt, das ihn zum Gespött der Umgebung machen wird, dann lassen wir das aus. “
Vor manchen Sendungen gab es Klagsdrohungen. Oft seien es „leere Drohungen“ gewesen, mitunter fand man sich auch vor Gericht wieder. Von 2010 bis 2017 gab es wegen der Skinhead-Doku „Am rechten Rand“ einen Rechtsstreit mit der FPÖ, den Reporter Ed Moschitz letztlich gewann.
„Sendungschef Klaus Dutzler bestärkt die Redakteure darin, dort hinzugehen, wo es wehtun kann", sagt Resetarits, der selbst promovierter Jurist ist. "Wenn es einmal eine Klage gibt, werden die Redakteure nicht mit Vorwürfen überhäuft.“
Probleme bei Jüngeren
Bei manchen Themen wie Jugendbanden oder Bettelei sei es „extrem mühsam“ Gesprächspartner zu finden. Nora Zoglauer, die über die Verhüttelung der Landschaft berichtet, kann sich hingegen der Hinweise kaum erwehren, „da melden sich die Leute freiwillig.“
Schade findet Resetarits, dass die „Am Schauplatz“-Dokus nach der Ausstrahlung im Archiv landen. „In den Reportagen steckt so viel Mühe drinnen, und die rennen dann ein Mal, sind sieben Tage in der TV-Thek und dann war’s das. Ich halte es echt für absurd, dass das dann in den Archiven verschwindet. Wenn nicht bald eine politische Lösung zustande kommt und wir durch ein neues ORF-Gesetz eine zeitgemäße Plattform bekommen, werden wir Probleme bekommen. Insbesondere beim jüngeren Publikum, das völlig andere Sehgewohnheiten hat, zum Teil überhaupt nicht mehr fern schaut. Die gehen uns dann verloren.“
Auf Youtube gesehen
Manche Folgen landen aber auch auf YouTube, von der Redaktion nicht bekannten Leuten hochgeladen. „Das hat zu einem bemerkenswerten Erlebnis geführt", erzählt Resetarits. "Ich bin einmal in Wien an einem Fußballkäfig vorbei gegangen. Plötzlich stürmen alle auf mich zu: ,Hey, ich kenn dich vom Fernsehen!‘ Ich dachte: Was, die schauen nach den Rosenheim-Cops um 21.05 Uhr ORF2? Ich fragte: ,Wo habt's ihr das gesehen?‘ Die Buben: ,Youtube, Doku über Afghanen und Tschetschenen!‘ Ich konnte dadurch eine Viertelstunde Berühmtheit genießen mit den Buam.“
Quotenstark
Die erste „Am Schauplatz“-Reportage lief im März 1995. Im Schnitt mehr als 500.000 Zuseher hatte die Sendung 2022 (rund 20 % Marktanteil)
1.000. Sendung
Die „Am Schauplatz“-Reportage über Ischgl im Coronajahr 2020 war mit 1,02 Mio. Zuschauern die erfolgreichste. Reporter Ed Moschitz hat sich für die Jubiläumssendung am 2. Februar (21.05 Uhr, ORF2) wieder in Tirol umgehört. Auch Beate Haselmayer, Kim Kadlec, Tiba Marchetti, Nora Zoglauer und Robert Gordon kehren an vergangene Schauplätze zurück. Ab 0.05 Uhr folgt eine „Lange Nacht“ mit Klassikern
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